Dieser Text stammt aus dem Familien-Newsletter der Süddeutschen Zeitung, der jeden Freitagabend verschickt wird. Hier können Sie ihn abonnieren.
Liebe Leserin, lieber Leser,
ein in den sozialen Netzwerken beliebtes Meme geht in etwa so:
Fragen, die Kinder der Mama stellen: „Wo sind meine Socken?“ „Kannst du mir den Knopf zumachen?“ „Wie oft muss ich noch schlafen, bis Ferien sind?“ „Darf ich ans Tablet?“ „Was gibt es zum Mittagessen?“ „Krieg ich was Süßes?“
Fragen, die Kinder dem Papa stellen: „Wo ist die Mama?“
Ein Klischee, natürlich. Aber auch ein bisschen Wahrheit, zumindest die Gefühle vieler Frauen scheint dieser Comic gut auszudrücken, wenn man die Kommentare so liest. Viele Mütter sind - zumindest in den ersten Lebensjahren ihrer Kinder - deren vorrangige Bezugsperson, egal, wie sehr sie dagegen arbeiten. Über diese frustrierende Erfahrung schrieb die Autorin Linda Tutmann vor einiger Zeit im SZ-Magazin. Warum es für kleine Kinder wichtig ist, eine klare Nummer 1 zu haben (und dass die Nummer 2 oft eher Nummer 1,01 ist), erklärt ihr darin die Pädagogin Fabienne Becker-Stoll. Ich empfehle Ihnen den Text sehr.
Auch meine Kinder schrien viele Jahre lang „Mama, Mama, Mamaaaa“. Ich glaube mittlerweile, ich war gar nicht immer persönlich gemeint. „Mama“ schreit es sich nun einmal schneller als „ich brauche was, kann die diensthabende Elternperson bitte kurz kommen?“ Jedenfalls gewöhnten mein Mann und ich uns an, beide darauf zu reagieren.
Und vielleicht fiel es mir deshalb gar nicht auf, dass sich der Ruf in den vergangenen Jahren veränderte. Ich stockte meine Arbeitszeiten auf, mein Mann reduzierte. Er arbeitet viel am Wochenende, weswegen er wochentags häufiger da ist als ich. Wenn ich morgens mit den Kindern alleine bin, fehlt mir bei einigen Fragen mittlerweile die Routine: Wo ist der Sportsack? Welcher Käse ist aktuell gewünscht? Braucht der Sohn dienstags den Atlas?
Ich frage das dann meine Kinder. Und die häufigste Frage, die sie mir stellen, ist: „Wo ist der Papa?“ Wenn sie etwas brauchen, schallt „Papa“ durch den Flur. Ich antworte dann auch - er ist schließlich nicht immer persönlich gemeint, sondern der Ruf bedeutet manchmal nur: „Ich brauche was, kann die diensthabende Elternperson bitte kurz kommen?“ Ich bedaure meine Degradierung zur Bezugsperson Nummer 1,01 nicht im Geringsten - sondern finde sie entlastend.
Ein schönes Wochenende wünscht
Barbara Vorsamer