Kinder - der ganz normale Wahnsinn:"Wenn du tot bist, kriege ich deine Kleider"

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"Oma, wann stirbst du?" Kinder gehen mit dem Tod um wie mit allem anderen: sehr offen.

(Foto: J. Hosse)

Früher oder später tritt der Tod in das Leben einer jeden Familie und wirft bei den Kindern eine Menge Fragen auf: Wie kommt die Seele in den Himmel? Gibt es einen oder mehrere Himmel für Menschen und Tiere? Und sieht die Oma ihre Enkel, wenn Wolken die Sicht verdecken? Da fehlen Eltern oft die Worte.

Von Katja Schnitzler

Der Tod trat erstmals in Gestalt einer jungen Amsel ins Familienleben. Die Eltern der Amsel hatten den Fehler gemacht, ihr Nest in einem katzenreichen Neubaugebiet zu bauen. Der noch nicht flugfähige Jungvogel hatte keine Chance gegen den jagderfahrenen Nachbarskater. Das Einzige, was ihn vor dem tödlichen Finale des grausamen Katzenspiels bewahrte, waren die jungen Zuschauer.

"Ihr müsst den kleinen Vogel retten!", schrien sie entsetzt. Und die Mütter retteten. Eine kletterte über den Gartenzaun und griff sich den Vogel, bevor der Kater erneut zuschnappen konnte. Die andere hielt eine Schachtel bereit, um das verletzte Tier aufzunehmen. Es hyperventilierte, hatte Schlagseite und starrte panisch zu den Kindergesichtern hinauf, die die Schachtel verdunkelten. Zehn Minuten später war der Vogel tot.

Die Kinder weinten bittere Tränen. Sie hatten schon die ersten Regenwürmer aus der Erde gezogen und sich vorgestellt, wie sie ihrem kleinem Kameraden das Fliegen beibringen würden, auf dass er sie künftig auf dem Weg zum Kindergarten begleite. Daraus wurde nun nichts. Die Mütter erzählten vom Vogel-Himmel, wo die kleine Amsel zwischen den schönsten Bäumen herumflattern durfte, keine Katze weit und breit. Das Weinen wurde leiser. Die Mütter atmeten auf.

Reglos lag das Amseljunge vor den Kindern. Schluchzend fragte das erste: "Darf ... ich ... den Schnabel ... anfassen?" Klar. "Und ich den Flügel?", fragte das zweite Kind, den Kummer vergessend. Dann wurden Schwungfedern begutachtet, Beinchen gestreckt, Schwanzfeder gespreizt. "Können wir den Vogel nass machen?", fragten die kleinen Forscher begierig, die Augen glänzten nun nicht mehr wegen der Tränen. Das war nun doch eine zu große Störung der tierischen Totenruhe, fanden die Mütter. Der Jungvogel wurde mehr oder weniger feierlich am Waldrand bestattet.

Doch der thematische Dreiklang Sterben, Bestattung und Leben nach dem Tod beschäftigte die Kinder von nun an. Sie verhielten sich kindgerecht und fragten. Immer, überall und ohne Vorwarnung.

Beim Bäcker: "Wenn die Oma stirbt, begraben wir sie auch am Waldrand?" "Nein, das werden wir natürlich nicht ... wie bitte, doch, ja, das Sonnenblumenbrot ... nein, Menschen begräbt man auf dem Friedhof."

Im Bus: "Mama, gibt es für jedes Tier einen eigenen Himmel?" "Äh, wahrscheinlich." "Und für die Menschen? Gibt es einen Oma-Himmel? Und einen Opa-Himmel? Und treffen die sich dann gar nicht, wenn sie tot sind?" "Also Menschen, die haben wohl eher einen gemeinsamen Himmel." "Dann wird es da aber ganz schön voll."

Im Kindergarten: "Mama, wenn du tot bist, ziehe ich deine Kleider an!" Die Mutter seufzt. "Gell, Mama?" "Sie gehören dann alle dir."

Wie die Seele in den Himmel kommt

Beim Arzt: "Wie kommt die Seele aus dem Körper raus? Und sehen wir sie dann? Und wo steckt sie jetzt in mir drin?" "..." "Mama? Die Seele, wie sieht die Seele aus?" "Äääh ..." "Hast du eigentlich auch eine Seele?"

Bei der Großmutter: "Oma, wenn du tot bist und im Himmel, siehst du mich überhaupt, wenn Wolken da sind?" Die Mutter schnappte nach Luft, die Oma blieb gelassen: "Die Wolken puste ich dann einfach zur Seite."

Dann starb die Großmutter.

Nach einer Operation am Herzen war sie nicht mehr aufgewacht. Im Krankenhaus konnte die Familie sie noch einmal sehen. Die Mutter saß leise weinend am Kopfende des Bettes, der Vater stand am Fußende; er trauerte ohne Tränen und trug das Kind auf dem Arm. Es war sehr still. Blass betrachtete die Enkelin die Großmutter im Bett, ihr Gesicht, das gar nicht mehr nach Oma aussah. Etwas fehlte.

Das Kind blickte sich suchend im Zimmer um. Dann strampelte es sich vom Arm, schob einen Stuhl unter das Fenster und rüttelte am Griff. "Was machst du denn?", fragte der Vater.

"Das Fenster auf. Damit Omas Seele in den Himmel kann, bevor sie Erde auf sie draufwerfen."

Die Mutter stand auf, der Vater trat hinzu. Gemeinsam öffneten sie das Fenster und blickten in den blauen Himmel. Das Kind winkte. Dann nahmen sie sich in den Arm und weinten alle drei.

"Vielleicht bringt die Oma jetzt dem kleinen Vogel das Fliegen bei. Wenn sie ihn besucht. Im Vogel-Himmel."

Beim Tod von Angehörigen trauern die Eltern und müssen zugleich ihren Kindern durch diese schwere Zeit helfen. Pädagogin Trudi Kühn erklärt, warum Eltern vor ihren Kindern Gefühle zeigen sollten - und warum sie auch den Tod eines geliebten Haustieres nicht als unwichtig abtun dürfen.

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