Kinder - der ganz normale Wahnsinn:Oh je, du Fröhliche!

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Vor Weihnachten ist die Vorfreude groß. An Heiligabend ist die Aufregung überwältigend. (Foto: J. Hosse)

Wer darf Weihnachten mit den Enkeln verbringen und welche Großeltern müssen bis zu den Feiertagen warten? Viele Eltern kennen das Problem. Warum also nicht mit allen Omas und Opas gemeinsam feiern? Das ist nicht immer eine gute Idee.

Eine Kolumne von Katja Schnitzler

Einer der großen Vorteile daran, Kinder zu haben, ist: Weihnachten bereitet mehr Freude. Warten aufs Christkind ist viel schöner, wenn ein Teil der Anwesenden noch daran glaubt. Mit Kindern ist der ganze Zauber der Weihnacht spürbar: die Vorfreude, das kaum auszuhaltende Warten, das Glöckchen-Bimmeln, die roten Backen, die glänzenden Augen! Daher entbrennt alle Jahre wieder der Streit, welche Großeltern daran teilhaben dürfen.

Vor allem junge Eltern, die entscheiden dürfen, wo das oder die einzigen Enkelkinder feiern, sind in der Zwickmühle: zu ihm oder zu ihr? Im jährlichen Wechsel? Oder Totalverweigerung und Feiern ganz ohne Großeltern? Ein vorweihnachtliches Minenfeld der Gefühle. Das wollten die Eltern in diesem Jahr umgehen.

Also beschlossen die Eltern, ein wahres Familienfest zu feiern, mit beiden Opas und beiden Omas. Leider war ihre Wohnung dafür zu klein. Daher erklärten sie den Großeltern mütterlicherseits mit dem ausziehbaren Tisch und dem abschließbaren Wohnzimmer, wie gerne sie mit ihnen feiern würden, aber in diesem Jahr seien ja eigentlich die anderen dran - was sie denn davon hielten, wenn alle gemeinsam Heiligabend bei ihnen ...?

Leider fängt es schon stressig an: Der Zug von Oma und Opa väterlicherseits hat Verspätung. Daher stehen sie bei der Kindermette ganz hinten und die Tochter (dreieinhalb Jahre) sieht beim Krippenspiel weder Maria noch Josef, geschweige denn das Jesuskind. Dafür schreit der eigene Sohn (sechs Monate) recht laut.

Auf dem Heimweg muss sich die Dreijährige vor Aufregung in den Kirchhof und auf den Rock ihres Weihnachtskleides übergeben. Die Oma väterlicherseits hatte nämlich arglos gesagt: "Vielleicht war das Christkind schon da, während wir in der Kirche waren?" Das Baby schreit, es hat Hunger.

Daheim will die Tochter kein frisches Kleid überziehen, wenn vielleicht gerade jetzt das Christkind im Wohnzimmer wartet. Doch die Großmutter mütterlicherseits (die mit dem Ausziehtisch) hatte auf sofortigen Kleiderwechsel bestanden: "Den Gestank kriegen wir sonst heute Abend nicht mehr raus!" Also schält die Mutter die Tochter trotz ihres Widerstandes aus dem Festtagskleid, während diese eine Kostprobe ihres neuerworbenen Kindergartenwortschatzes gibt: "Du blöde Pipi-Kacka-Mama!"

"Also da nimmt das Christkind gleich alle Geschenke wieder mit, wenn es dich so schimpfen hört", mischt sich der Opa väterlicherseits mit seiner ganzen Großvater-Autorität ein. Die Enkelin, sowieso am Rande des Nervenzusammenbruchs, nimmt ihn beim Wort und heult auf: "Das Christkind darf nicht gehen, Mama, es soll da..." Das Schluchzen schüttelt sie so sehr, dass sie sich noch mal übergeben muss. Der Opa väterlicherseits sucht das Weite. Leider hat die Mutter kein weiteres festliches Kleid eingepackt, weder für sich noch für das Kind.

"Ja, spinnst denn du"

Als sie ins Esszimmer zurückkommen, trägt sie Jeans, ihre Tochter eine pinkfarbene Strumpfhose mit Loch am Zeh und ein lila T-Shirt mit Pferde-Aufdruck. Oma, Opa, Großvater und Großmutter schauen pikiert. Das Baby schreit auf dem Arm des Vaters, der es auf und ab trägt. Es hatte seinen Brei nicht essen wollen. Es will die Brust, und zwar sofort. Seufzend nimmt die Mutter den empörten Sohn auf den Arm: "Ich stille ihn noch schnell."

"Aber wir wollten doch jetzt Bescherung machen", sagt die Großmutter, "sonst wird die Gans zu trocken!" "Du meinst", sagt die Mutter mit beredtem Augenrollen zur Enkelin, "du meinst wohl, wir warten jetzt, bis das Christkind klingelt?" Die Enkelin hat zum Glück nichts mitbekommen: Sie stürmt zur Wohnzimmertür, rüttelt an der Klinke, noch einmal, stemmt sich dann mit dem Fuß gegen die Wand und reißt beinahe den Griff ab. "Ja, spinnst denn du", poltert der Großvater mütterlicherseits. Nun versucht sie, durch das Schlüsselloch einen Blick auf das Christkind zu erhaschen. Dabei tritt sie von einem Bein aufs andere.

"Sag mal", meint der Vater, "musst du aufs Klo?" "Nein!", ruft die Kleine. An jedem anderen Tag hätte der Vater darauf bestanden, dass seine Tochter trotzdem die Toilette aufsucht, denn das Trippeln kennt er schon. Doch er wird von einer lauten Stimme in der Küche abgelenkt: "Wenn ich gewusst hätte, dass ihr euch eine Ente als Gans andrehen lasst, hätte ich meinen traditionellen Weihnachts-Kartoffelsalat mitgebracht. Den gibt es bei uns immer an Heiligabend. Der wird auch nicht zu trocken, wenn es mal länger dauert mit der Bescherung. Und der ...", sagt die Oma väterlicherseits nach einem Blick in den Ofen, " ... brennt auch nicht an." "Dann hättest du ihn halt mitgebracht statt mir die ganze Arbeit allein zu überlassen", knurrt die Großmutter mütterlicherseits und zerrt die arg gebräunte Gans/Ente aus dem Ofen.

In dem Moment klingelt es.

"Geschenkeee", schreit die Enkelin und rüttelt wieder an der immer noch fest verschlossenen Wohnzimmertür. Fragend blickt der Vater den Großvater mütterlicherseits an, der die Tür hatte rechtzeitig von innen aufsperren wollen und dann erst klingeln. Dieser verdreht die Augen und starrt erzürnt in den Flur. Im Spiegel sieht der Vater, wie der Opa väterlicherseits zum nächsten Klingeln ansetzt. Aus dem Nebenzimmer stürzt die Mutter, Milchflecken auf dem T-Shirt, den schreienden Kleinen im Arm: "Wir sind doch noch gar nicht fertig!"

Die Tochter hämmert mit den Fäusten gegen die Tür und schreit im Takt: "Mach auf, Christ-kind, mach auf, Christ-kind, mach auf Christ-kind!" "Erst singen wir 'Stille Nacht'", sagt die Oma väterlicherseits streng, "das machen wir immer so." "Na, eine Stille Nacht ist das ja nicht", klagt der Großvater mütterlicherseits. Der Opa väterlicherseits klingelt. Das Baby schreit. Die Tochter heult. Sie steht in einer Pipipfütze und die Tür ist immer noch verschlossen.

Der Vater eilt zur Mutter, um ihr das brüllende Baby abzunehmen (sie sollte dieses Manöver erst durchschauen, als sie ihre Tochter in der Pfütze entdeckt) und flüstert ihr zu: "Nächstes Jahr Malediven?" "Noch zu nah", knurrt die Mutter.

Zehn Minuten später. Die Tochter hat wieder trockene, wenn auch etwas zu kleine und viel zu bunte Kleidung an (zum Glück waren noch Notfallklamotten im Kofferraum), dem Opa väterlicherseits war die Glocke entwunden und heimlich dem Großvater mütterlicherseits übergeben worden, der plötzlich ein "dringendes Bedürfnis" verspürt und aus dem Esszimmer verschwindet, wo die Familie "Stille Nacht" singt. Sogar das Baby blickt staunend aber ruhig von einem zum anderen.

Es klingelt.

Die Enkelin stürmt durch die Wohnzimmertür, die nicht mehr verschlossen ist, und stürzt sich in den Geschenkehaufen. Sie zerrt das größte Präsent hervor und reißt das Papier weg. "Nein", schreit der Großvater mütterlicherseits, der gerade ins Zimmer kommt, "das ist nicht für dich!" Er rettet das Weingläserset. Die Oma väterlicherseits nutzt das, um der Enkelin ihr eigenes Geschenk zu übergeben. "Sei nicht enttäuscht", sagt sie süffisant, "das hier ist für dich und was besonders Schönes!" Die Enkelin fällt darüber her, "Ja, eine Puppe!", hält sich aber zur Enttäuschung der Großmutter nicht damit auf, sondern packt aus ("Spielzeug-Zoo!") und packt aus ("Eine Trommel!" "Oh nein", denken die Eltern.) und packt aus ("Eine Rassel?" "Für deinen Bruder.").

Dem Baby ist die Aufregung zu viel, es flüchtet sich in den Schlaf, und auch der Rest der Familie ist erschöpft. Bis auf die Enkelin. Sie trommelt mit den Tieren des Spielzeug-Zoos ein lustiges Dschungellied für ihre neue Puppe. Zum Glück gibt es noch Essen.

"So knusprig hat meine Mama die Gans auch immer gemacht", sagt die Oma väterlicherseits. Die Eltern halten den Atem an. Doch überraschenderweise fühlt sich die Großmutter mütterlicherseits nicht kritisiert. Sie schwelgt in Erinnerungen: "Jedes Jahr gab es dasselbe Puppenhaus, das nach den Feiertagen wieder weggeräumt wurde. Aber schön war es!"

Der Opa väterlicherseits berichtet, wie sein Bruder an einem Weihnachten heimlich drei Gläser Eierlikör getrunken hatte und in der Kirche aus der Bank gefallen war, just als der Pfarrer vorüberging. Und der Großvater mütterlicherseits schildert, wie die äußerst strenge Tante stets seinen Vater zur Verzweiflung getrieben hatte, weil sie fand, dass der Christbaum schief stand. Bei einem Korrekturversuch sei der Baum auf die Tante gestürzt. Bis zu seinem Tod habe sein Vater versichert, dass er ihn nicht mit Absicht losgelassen habe. "Doch dabei hat er jedes Mal gelächelt", erzählt der Großvater.

Auch die Enkelin ist inzwischen auf dem Schoß der Mutter eingeschlafen, ihre Puppe fest im Arm. Vom Lachen der Erwachsenen wacht sie nicht auf. Mutter und Vater sehen sich an. Vielleicht sind die Malediven doch zu weit weg.

An Heiligabend fallen die Kinder über ihre Geschenke her, während die Eltern noch singen wollen, und am nächsten Tag hetzt die Familie zu den Großeltern. Psychotherapeut Manfred Stelzig erklärt im Interview, warum Familien sich gut absprechen müssen, damit Weihnachten ein friedvolles Fest wird.

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