Junge Eltern haben es nicht leicht. Das liegt nicht allein am Schlafmangel, weil das Baby so oft Hunger leidet und unter Bauchschmerzen, schlecht träumt und überhaupt sein unaufschiebbares Kuschelbedürfnis durchsetzt. Junge Eltern haben es richtig schwer, wenn sie sich mit ihrem Kind an die Öffentlichkeit wagen. Und dabei enthusiastisch von den Fortschritten ihres kleinen Wunders erzählen. Denn die Begeisterung der anderen hält sich in Grenzen.
Das liegt nicht daran, dass sie die Berichte nicht interessant fänden, das tun sie durchaus. Aber aus ganz anderen Gründen, als die euphorischen Eltern vermuten würden. Den anderen geht es um den Fortschritt, um den Entwicklungsfortschritt genauer gesagt. Und um ihr eigenes kleines, sadistische Vergnügen. Kaum eine andere Bevölkerungsgruppe ist leichter zu verunsichern, ja aus der Fassung zu bringen, als junge Eltern mit ihren Erstgeborenen.
Wie beiläufig fallengelassene Sätze anderer Eltern kratzen an der Überzeugung, dass mit ihrem eigenen Kind alles normal läuft. Da reicht ein lapidares "Ach ... also unser Kleiner hat schon mit drei Monaten durchgeschlafen, zum Glück", und die Augenringe der Jungeltern werden noch schwärzer. Besonders perfide Mitmenschen legen nach: "Wie alt ist Eurer nochmal? Vier Monate?" In den kommenden Nächten raubt nicht nur das quengelnde Kind, sondern auch nagender Zweifel an dessen Entwicklungsstand den Schlaf.
Tiefe Verunsicherung lösen auch mehr oder weniger wohlmeinende Erziehungstipps aus. Wenn eine Großmutter sagt: "Ach ... also ich habe Dich nachts schon viel früher im Gitterbett schlafen lassen, da war schnell Ruhe. Und wenn Du mal geschrien hast, bin ich auch nicht gleich hingesprungen." Dann kommt bei der Tochter an: "Ich verwöhne mein Kind und präge gerade den nächsten Tyrannen, über dessen Unarten sich dereinst ein Schulleiter deutschlandweit beschweren wird."
Die Zweifel werden später nicht kleiner, wenn sich das Baby der Freundin schon schwungvoll auf den Bauch dreht, während das eigene noch auf dem Rücken mit kafkaesken Bewegungen strampelt. "Ach ...", sagt die Freundin, der Blick mitleidig auf den kleinen Zappelkäfer gerichtet, "... macht ihr denn keine muskelstärkenden Übungen mit dem Kleinen?" Übungen? Welche Übungen? Selbst Mütter und Väter, die während des ersten Lebensjahres ihres Kindes nicht arbeiten gehen, wissen dann, was mit "Rabeneltern" gemeint ist.
Gegen solche, oberflächlich gesehen harmlosen, genauer betrachtet aber grausamen Spitzen wappnen sich Eltern nur mit selbst verordneter Gelassenheit und schnellen Kontern: "Ich mache mir da keine Sorgen! Ich habe gelesen, dass Kinder, die nachts unruhig sind, einfach mehr Eindrücke zu verarbeiten haben. Das ist ein Zeichen für starke neuronale Vernetzung. Dafür stehe ich gerne öfter auf." Kosten Sie das Schweigen nach diesem Satz ruhig aus.
Manchmal hilft auch Aussitzen. Etwa wenn der Sohn mit zwei Jahren immer noch mit drei gesprochenen Wörtern auskommt, jedoch alles versteht und sonst eine Lautsprache entwickelt hat, mit der sich Haupt- und Nebensätze bilden lassen: "Äh öööhem äh Öööha, ähe ä Öhem äm?" heißt zum Beispiel "Wenn wir gleich zum Spielplatz gehen, kann ich dann meinen Bagger mitnehmen?" Ein Problem nur für Außenstehende.
In solchen Fällen ist es gut, die familiäre Entwicklungsgeschichte einige Generationen zurück bis ins Detail zu kennen. So kann man besorgte Nachfragen "Geht ihr nicht mal mit ihm zu einem Experten?" abwiegeln mit einem lässigen: "Sein Opa hat auch erst mit zweieinhalb Jahren gesprochen, von einem Tag auf den anderen, aber dann fließend."
Das tat der Kleine dann schließlich auch, schon längst verstandene Sätze wie "Ich will auch ein Kuchenstück!" sprudeln einwandfrei heraus. Ganz der Opa. Aber warum er nicht schon eher gesprochen habe, fragen die früher so Besorgten. Lässig und flüssig antwortet der Sohn: "Es kam einfach nicht heraus."