Süddeutsche Zeitung

Kinder - der ganz normale Wahnsinn:Macht auf den Mund

Es ist doch wirklich kein Problem, sich morgens und abends die Zähne zu putzen, denken Eltern. Doch, das ist es, denken die Totalverweigerer unter den Kindern. Und halten zweimal am Tag die Klappe.

Eine Kolumne von Katja Schnitzler

Die Mutter beendete schlecht gelaunt das Telefongespräch. Eigentlich hatte sie ihre Freundin angerufen, um über die kleinen Sorgen des Alltags zu plaudern. Zum Beispiel, dass sich das Söhnchen vehement weigert, seine vier Milchzähne putzen zu lassen. Und dass der Ältere die körperliche Hygiene als Frühsport ansieht: Wer als Erster fertig ist, gewinnt. Deshalb gibt es Streit, morgens und abends.

Es kann doch nicht sein, hatte die Mutter am Telefon geklagt, dass wir den Tag mit schlechter Laune beginnen und ihn genauso wieder beenden - bloß wegen Zahnbürste und Waschlappen! Nur das Plantschen in der Wanne ist ganz im Sinne ihrer Söhne. Leider verwandeln sie dabei das gesamte Badezimmer in einen Swimmingpool, was sich die Mutter nun wirklich nicht täglich antun will.

Doch was sagte die Freundin, statt mit Rat und Tat zur Seite zu stehen? "Mit der Hygieneerziehung und dem Zähneputzen hättest du viel früher anfangen müssen. Den Zeitpunkt hast du leider verpasst." Genau das, was genervte Eltern hören wollen: Viel früher. Verpasst. Warum hast du nicht?

Also knurrte die Mutter ins Telefon: "Früher, wieso früher? Der Kleine hat doch gerade erst Zähne bekommen. Hätte ich vielleicht schon vorher putzen sollen, oder was?" Da besaß die Freundin doch die Unverschämtheit zu sagen: "Ja, hättest du."

Also sie selbst habe ihrem Baby schon vor dem ersten Zahn das Zahnfleisch mit speziellen Massage-Bürstchen gerubbelt, "da gewöhnt sich das Kind gleich an die Bürste". Und den ersten Zahn habe sie, "wie von Zahnärzten empfohlen", morgens und abends liebevoll gesäubert. Die Freundin klang wie in einer Zahnpasta-Werbung. Natürlich sperre ihr herzallerliebstes Baby den Mund stets "gaaaanz weit auf, wenn die Zahnbürste kommt. Die Kleine hat richtig Spaß daran!". Danke auch, dachte die Mutter.

Ihr Söhnchen reagiert beim Anblick der Zahnbürste zwar ebenfalls immer gleich. Allerdings mit festem Zusammenpressen der Lippen. Was hatten Mutter und Vater schon alles versucht. "Sooo, da fliegt das Flugzeug (Zahnbürste), kreist über dem Waschbecken (seitlicher Angriff von der Zahnbürste des großen Bruders, der begeistert sofort sein eigenes Putzen unterbrach), dann kommt es zurück zum Flughafen und will landen ..." Schweigend schüttelte Söhnchen den Kopf, die Lippen fest zusammengepresst. Das Bürsten-Flugzeug konnte von ihm aus landen, wo es wollte. Aber nicht in seinem Mund.

Sie erzählten die Geschichte von Karius und Baktus und schilderten sehr detailliert, wie sich die garstigen Gesellen nachts über arme, ungeputzte Milchzähne hermachten und große, schwarze Löcher hineinhackten. Doch der Kleine schüttelte mit entschlossener Miene den Kopf, die Lippen zusammengepresst. Der große Bruder hatte auch zugehört. Er schlief in dieser Nacht schlecht, er träumte von Karius- und Baktus-Riesen.

Die Eltern lobten überschwänglich das wunderbare Zähneputzen des Älteren, der daraufhin stolz zehn Sekunden länger schrubbte (diese Zeit aber beim Gesichtwaschen wieder einsparte). Söhnchen hingegen: Kopf schütteln, Lippen zusammenpressen. Die Eltern führten dem Kleinen vor, wie toll die Zahnpasta in ihren eigenen Mündern schäumte, ganz wild, schau mal. Söhnchen lächelte, aber schüttelte den Kopf, die Lippen zusammengepresst.

Kurz vor dem Fertigmachen am Abend nimmt die ratlose Mutter ihren Älteren zur Seite. Sie denkt: Es kann doch nicht sein, dass diese Putzerei beim Kleinkind der Freundin problemlos klappt und es bei ihrem eigenen Kind gar nicht möglich ist. Sie fragt: Ob er einen Rat wisse, wie man sein Brüderchen dazu bringen könne, endlich den Mund aufzumachen? Klar, sagt der Ältere, wirst du schon sehen.

Im Bad nimmt er die Babyzahnbürste, wendet sich entschlossen an seinen Bruder, der sich gerade darauf vorbereitet, die Lippen zusammenzupressen, und sagt streng: "Wenn du jetzt nicht den Mund aufmachst, bekomme ich alle deine Süßigkeiten und du gar nichts mehr."

Der Kleine schaut erschrocken. Und klappt den Mund auf.

Manche Kinder verweigern, sobald sie die Zahnbürste sehen, andere halten nie drei Minuten durch: Kinderzahnärztin Jutta Hübner erklärt im Interview, wie Eltern Streit ums Zähneputzen vermeiden und es von Anfang an zum festen Ritual machen.

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