Süddeutsche Zeitung

Kinder - der ganz normale Wahnsinn:Ein Freund, der aus der Hölle kam

Unser Sohn war brav, anständig und überall gern gesehen. Doch dann lernte er dieses eine Kind kennen: Max. Der war böse, gemein und nirgends gern gesehen - außer bei unserem Sohn. Seitdem werden wir Max nicht mehr los.

Katja Schnitzler

Liebe Freunde und Verwandte, wir haben uns hier versammelt, um das bestandene Abitur meines Sohnes zu feiern. Und ich stehe hier, um euch für euren Rat und euren Zuspruch in all diesen Jahren zu danken. Ja, wir alle hätten nicht gedacht, dass es mein Sohn so weit bringen würde. Nicht mehr, seit er seinen neuen Freund kennengelernt hatte, damals im Kindergarten. Max.

Ich werde nie vergessen, wie Max mitten im Jahr in die Biene-Maja-Gruppe kam. Seine Eltern waren aus einer anderen Stadt hierhergezogen. Sie schoben berufliche Gründe vor. Wahrscheinlicher ist, dass sie ihre frühere Nachbarschaft dazu genötigt hatte. Und das nur wegen Max.

Als ich meinen Sohn an diesem Tag vom Kindergarten abholte, führte er mir begeistert vor, dass er nicht nur seinen Vornamen, sondern in einem Zug auch seinen Nachnamen rülpsen konnte. Dann zeigte er mir den Jungen, der ihm dieses bezaubernde Kunststück beigebracht hatte. Max. Es war Abneigung auf den ersten Blick.

Noch am selben Nachmittag versuchte ich, meinen Sohn davon zu überzeugen, dass Max kein geeigneter Spielkamerad für ihn war. Doch mein Sohn war nicht meiner Meinung. Er, der bis dahin so brav gewesen war, erwarb sich erst im Kindergarten und dann im ganzen Wohnviertel einen gewissen Ruf. Es war kein guter. Er klebte die Schuhe der anderen Kinder an die Klotüren im Kindergarten, er erntete die blühenden Blumen sämtlicher Nachbarn, er kratzte lustige Gesichter in Autolacke. Dabei war er nie allein. Max - boshaft, verschlagen und hinterhältig, wie ich vermutet hatte - stiftete ihn dazu an.

Wir drohten und verboten, vor allem den Umgang mit Max. Wir flehten die Erzieher an, diesen Satansbraten (also Max) in die andere Gruppe zu stecken, nur die wollte ihn nicht. Wir gingen nachmittags bewusst andere Wege, nur um am Sportplatz, auf dem Klettergerüst, im Wald immer wieder auf einen zu treffen: Max.

Wir hofften auf die Grundschule und wurden enttäuscht. Nichts wurde besser, nur die Streiche dreister. Während mein Sohn allein für sich das liebste Kind war, wurde er gemeinsam mit Max zum Schrecken des Pausenhofs. Das Duo infernale schnitt Schulmädchen die Zöpfe ab (natürlich nur auf einer Seite) und leimte diesmal die Lehrer am Stuhl fest. Die Leute im Viertel fingen an, mit dem Finger auf uns zu zeigen, wenn wir auftauchten, verstummten Gespräche. Dafür wurden wir oft, sehr oft, in die Schule zitiert. Da wurde dann ganz viel gesprochen, laut und erregt. Und alles nur wegen Max.

In unserer Verzweiflung wandten wir uns an seine Eltern. Und wussten fortan, von wem der Satansbraten seine Unverschämtheit hatte. Behaupteten diese doch, UNSER Sohn sei der Unruhestifter, wir sollten ihn von IHREM Sohn fernhalten. Noch heute bleibt mir die Luft weg, wenn ich an dieses Treffen denke.

Wie gerne hätten wir die beiden Kinder voneinander getrennt, doch das schaffte nicht einmal die Schullaufbahn auf zwei unterschiedlichen Schulen. Irgendwann waren auch die schwersten Hausaufgaben erledigt und das Duo machte wieder die Straßen unsicher.

Als Teenager scharte Max eine ganze Horde williger Anhänger um sich, um ihre reinen Seelen zu verderben. Doch am liebsten verdarb er meinen Sohn. Wenn dieser im Morgengrauen anstatt wie vereinbart um Punkt zehn Uhr abends nach Hause wankte, das Zetern der Eltern an der Teflonschicht der pubertären Gleichgültigkeit abperlen ließ und ins Bett fiel, las ich die Polizeimeldungen am nächsten Tag mit banger Aufmerksamkeit. Blumenkasten in Bach versenkt. Fahrräder gestohlen und vor Jugendheim wieder aufgefunden. Hauswände verschmiert. Max!

Dennoch, liebe Verwandte, stehen wir nun hier, feiern das Abitur meines Sohnes und ...

Einen Moment bitte, was sagst du da, Sohn? Du hast WEN zur Feier eingeladen? Und Tante Inge und Onkel Kurt kleben WO fest?

Maaaax!

Dürfen Eltern den Kontakt zu Freunden verhindern, die ihren Kindern schaden? Psychologin Marion Pothmann erklärt im Experten-Interview, welche Freunde das Kind stärken und welche ihm auf lange Sicht schaden - und wie Eltern auf die "falschen Freunde" reagieren sollten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1423954
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Süddeutsche.de/holz
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.