Süddeutsche Zeitung

Kinder - der ganz normale Wahnsinn:"Du riechst nach Alkohol"

Wenn aus Kindern junge Erwachsene werden, bekommen manche Eltern Angst. Schließlich waren sie selbst mal jung - und haben manches getan, was die eigenen Eltern nie erfahren sollten. Auch betrunken.

Katja Schnitzler

Seit einiger Zeit versuchen wir, unserem Kind, das kein Kind mehr sein will, besonders nahe zu kommen. Zum Schnüffeln. Das machen wir, seitdem wir unseren Sohn aus dem Partykeller der Nachbarn nach Hause schleppen mussten. Wir ächzten wegen seines Gewichts und der Schande, er ächzte, weil ihm schlecht war. Nie wieder, schwor er am nächsten Tag, werde er dieses Teufelszeug anrühren. Wir waren zufrieden.

Bis dieser plötzlich so eigenwillige und schweigsame Teenager nach Treffen mit Freunden, nun ja, irgendwie verdächtig wirkte. Der spricht doch anders! Der geht doch anders! Und was war das, torkelt der? Wir haben es mit versteckten und auch mit völlig unverblümten Nachfragen versucht, auch mit Fangfragen, aber die Antwort lautete stets: "Nein, ich habe nichts getrunken."

Das kann doch nicht sein. Also versuchten wir es mit wortwörtlichem Hinterherschnüffeln, beugten uns weit über den Küchentisch, schnupperten an Jacke und möglichst unauffällig auch am Atem. Und dachten uns, wie der Riese im Märchen auf der Jagd nach Menschenfleisch: "Ich rieche, rieche ... Alkohol!"

Als wir sehr alten Freunden aus unserer Sturm-und-Drang-Zeit von unserer Sorge berichteten, meinten diese, kinderlos und unbedarft: "Ihr wart doch nicht anders, damals als Jugendliche." Eben. Deshalb haben wir ja solche Angst. Wir waren schlimmer.

Wir wissen von Dingen, die wir unter Alkoholeinfluss getan haben, die unsere Eltern nie erfahren durften und die deshalb ruhig und ahnungslos schlafen konnten. Wir können es nicht, denn wir kennen uns. Also fragen wir uns, ruhelos in der Nacht:

Wird sich auch unser Sohn auf der Klassenfahrt volltrunken aus dem Fenster im vierten Stock der Jugendherberge baumeln lassen, einfach so, aus Spaß? Was ist mit den Saufspielen und ihren gehaltvollen Variationen, sind die je aus der Mode gekommen? Wird sich auch unsere Tochter aus ihrem Kinderzimmer abseilen, nachdem sie zuvor scheinbar brav nach Hause gekommen war? Und dann zur Party zurückeilen, um zu trinken, zu feiern und nochmals zu trinken?

Wir stehen auf, sie liegt im Bett. Schlafen können wir dennoch nicht.

Meldungen in den Medien tragen nicht zur Beruhigung bei: Sie berichten uns von Teenager-Mädchen, die als Kinder losziehen, sich den Falschen schöntrinken und als werdende Mütter wieder nach Hause kommen. Von 15-Jährigen, die sich ins Krankenhaus saufen. Von Familienministerinnen, die das Ausgehverbot verschärfen wollen.

Sind wir nicht streng genug? Oder zu streng? Auf jeden Fall sind wir ratlos.

Und schnüffeln weiter, diesmal im Kinder-, Verzeihung, Jugendzimmer. Wir werden fündig, ganz hinten in der untersten Schublade der Kommode.

Aha! Eine Flasche. Alkohol! Oh, Wein? Kein schlechter noch dazu? Dennoch: Nur Trinker verstecken ihre Vorräte! Aber was liegt da noch? Ein Briefumschlag?

Nervös schauen wir uns um, die Luft ist rein, noch. Vorsichtig öffnen wir den Umschlag, nur nichts knicken, ziehen die Karte hervor. Lesen. Lesen noch mal. Und stecken sie hastig zurück, betten die Weinflasche wieder zwischen die T-Shirts, schieben die Schublade zu, gehen ins Wohnzimmer und schämen uns.

Auf der Karte stand: Alles Gute zum Geburtstag. Dein Sohn.

Wie Eltern richtig reagieren, wenn ein Jugendlicher zum ersten Mal angeheitert oder gar im Vollrausch ist und wie Teenager den Umgang mit Alkohol lernen, erklärt Erziehungsexpertin Trudi Kühn im Interview.

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