Süddeutsche Zeitung

Kinder - der ganz normale Wahnsinn:"Aber die Mama hat gesagt ..."

Früher genügte es, sein Kind am Samstag mit ins Fußballstadion zu nehmen, um als guter Vater zu gelten. Diese Zeiten sind vorbei, Väter gehen in Elternzeit. Dafür hat nicht jedes Kind Verständnis.

Johannes Schnitzler

Die Elternzeit beginnt mit einem Missverständnis. Denn Elternzeit heißt nicht: Zeit für Eltern. Schon gar nicht füreinander. Für Väter ist die Elternzeit eine Zeit der Reife und der Prüfung. Es gilt, eine tiefe Beziehung zum Kind aufzubauen oder, falls bereits vorhanden, sie zu verstärken. Gut, vorher müssen noch die Hecke geschnitten und der Dachboden entrümpelt werden, und die Rechnungen von der Krankenversicherung türmen sich seit einem Dreivierteljahr. Nach einem normalen Zehn-Stunden-Tag im Büro verzichtete der liebende Vater bislang auf ein Feierabendbier mit Kollegen und hetzte nach Hause, um den Kleinen noch einen flüchtigen Gute-Nacht-Kuss auf die süßen Bäckchen zu drücken. Und um der von der täglichen Domptur ermatteten Partnerin lebenserhaltende Nahrungsmittel zuzubereiten.

Dann konnte er, im guten Gewissen, den väterlichen Pflichten einmal mehr im Rahmen der Möglichkeiten genügt zu haben, neben ihr auf dem Sofa wegdämmern. Nun aber beginnt die Elternzeit. Und der moderne Vater, im Kreise anderer Kerle immer bereit, es mit einem Brontosaurus, einem wilden Bison oder, Teufelskerl, mit dem Beamer der Heimkinoanlage aufzunehmen, stellt sich mannhaft seiner Pflicht. Waschen, wickeln, föhnen (den Bauch, hilft gegen Krämpfe) - wir werden das Kind schon schaukeln.

Vor wenigen Jahren noch galt bereits als Mustervater, wer die Kinder samstags mit ins Fußballstadion nahm und ihnen dabei kein Bier zu trinken gab. Die Zeit ist vorbei. In Bayern etwa nimmt jeder dritte junge Vater Elternzeit, viele allerdings nur für zwei Monate. In diesen Wochen stürmen die neuen Väter wild entschlossen jeden Windelberg. Die Mama soll mal schön ein wenig an sich denken, man muss auch gönnen können, nicht wahr?

Nur die Kinder - sagen wir: ein Mädchen, vier Jahre, und ein Junge, zwölf Monate alt - zeigen wenig Einsicht. Sie rufen nach Mama. "Papa, ich hab' Hunger", sagt die Große. "Was hättest du denn gern, mein Schatz?" - "Eis. Schoko-Eis." - "Hach, mein Spatz. Als Nachtisch vielleicht. Aber erst gibt es was Vernünftiges." - "Will nichts Vernünftiges." - "Ich mach' euch ... (an dieser Stelle blättert der noch sehr zuversichtliche Vater im Rezeptbuch unter "geht schnell und schmeckt Kindern") ... ich mach' euch Schinkennudeln." - "Aber die Mama macht uns immer Nudeln mit Butter und wahme Sahne." - "Wahme Sahne?" - "Hmh. Viel wahme Sahne." - "Ah, meinst du: Parmesan?" - "Hab' ich doch gesagt: wahme Sahne." - "Parmesan ist aus. Ich mach' euch Schinkennudeln."

Der Vater geht beschwingt ab in die Küche, sehr zufrieden ob seiner Konsequenz und argumentativen Überlegenheit. Der Einjährige brabbelt: "Am-am." Wenig später stehen die Nudeln auf dem Tisch, dampfend und duftend. "So, mein Schatz, iss schön. Guten Appetit." - "Mag keine Schinkennudeln." - "Ach, Spätzchen: Der Papa hat die Nudeln ganz frisch gemacht. Mit viel Schinken."

Die Erstgeborene, während ihres 13. und 14. Lebensmonats von so viel väterlicher Fürsorge verschont geblieben, stochert lustlos in den Nudeln herum. "Schinken ist eklig." - "Ich will nicht, dass du sagst, Essen ist eklig. Der Schinken ist gut. Also iss jetzt." Der Einjährige kaut mit seinen dreieinhalb Zähnen begeistert auf einem Schinkenwürfelchen herum, bis es schön schäumt, um es dann mit lautem "bah!" auf die Nudeln zu spucken. "Bei der Mama schmeckt's viel besser", sagt die Vierjährige.

Ein wenig unsensibel, das Kind. - "Du isst jetzt, sonst gibt's nachher kein Eis." - "Aber die Mama hat gesagt, dass ich nicht aufessen muss, wenn's mir nicht schmeckt." Aber die Mama hat gesagt: Fünf Wörter, die einen Vater in die Enge treiben.

Entweder unterläuft er nun den von der Mutter aufgestellten Verhaltenskodex und schwingt sich für 60 Tage zum Despoten auf ("Ja, aber jetzt bin ich da, und ich sage dir . . ."). Oder er beeinflusst den sich gerade ausbildenden Wertekanon des Kindes in einer Art, die er später noch bereuen wird ("Also gut, dann lass es stehen, ich mach' dir was anderes."). Was bleibt ihm am Ende übrig, als zu kapitulieren, will er nicht den Familienfrieden aufs Spiel setzen?

Drei Kugeln Schoko-Eis später ist die Große draußen beim Spielen. Zeit für den Kleinen. Der Vater ist jetzt ganz bei sich und seiner Vorstellung von Vater-Sohn-Beziehung-Aufbauen, nur dieser durchdringende Geruch . . . "Sag' mal, hast du die Windel voll?" Der Kleine gluckst vor Vergnügen und gurgelt "A-a" - "Na komm, dann lass uns wickeln gehen." Von einem Moment auf den anderen weicht das Lächeln aus dem Gesicht des Kindes, es beginnt erbärmlich zu schreien und zu strampeln, der Windelwechsel gerät zum Ringkampf griechisch-römisch. Nur unter Aufbietung aller Körperkräfte obsiegt der Vater, schwer keuchend, aber glücklich. Nennt mich Herkules! Die Augen des Einjährigen sagen: Nächstes Mal soll mich die Mama wickeln. Von draußen dringen herzzerreißende Schreie an das väterliche Ohr.

Die Große ist vom Laufrad gestürzt und hat sich das Knie aufgeschrammt. Der Vater stürzt mit dem notdürftig verpackten Knaben unterm Arm nach draußen, reißt die flennende Tochter an sich und fragt: "Soll ich pusten, dann tut's gleich nicht mehr weh?" - "Neiiin, die Maamaaaa soll puhusten!" - "Die Mama ist heute zum ersten Mal wieder bei der Arbeit." - "Aber die Mama soll kommään!" In den Augen des Kleinen steht ein Vorwurf: Bei der Mama wäre das nicht passiert.

Am Abend, die Kinder haben überlebt, der Vater denkt nur noch an die Aufnahme lebenserhaltender Nahrungsmittel und einen schönen Dämmerschlaf, wartet die größte Hürde: "Papa, wer bringt uns eigentlich heute ins Bett?" - "Na, ich." - "Aber du sollst uns nicht ins Bett bringen. Die Mama soll uns ins Bett bringen!" - "Aber die Mama ist nicht da, mein Schatz. Ich les' euch auch noch was vor. Was wollt ihr denn . . .?" - "Die Mamaahaha!"

Nach zwei ebenso entbehrungs- wie lehrreichen Monaten in Eltern- und Gehaltsteilzeit hat der nun staatlich anerkannte Vater eine leise Ahnung davon entwickelt, was das bedeuten könnte, den lieben langen Tag allein zu Hause mit den Kindern: Kinder können sehr lieb sein. Aber die Tage auch sehr lang.

Wenn das Schicksal es gut mit ihm meint, hat er die Beziehung zu seinen Kindern fürs Leben vertieft oder zumindest eine aufgebaut. Wenn das Schicksal knauserig war, wird er am ersten Tag nach der Elternzeit, wenn er ehrlich ist, eigentlich gar nicht so ungern für die nächsten acht bis zehn Stunden zur Arbeit fahren. Vielleicht auch zwölf. Auf den Fotos auf dem Schreibtisch sehen die Kinder ja auch lieb aus.

Am ersten Tag nach der Elternzeit, gegen Abend, ungefähr zur Schlafenszeit, klingelt im Büro das Telefon. Die Ehefrau ist dran, im Hintergrund leises Schluchzen: Die Kinder seien traurig. Sie sagen, der Papa soll sie ins Bett bringen.

Der Papa heult.

Die wöchentliche Erziehungskolumne stammt dieses Mal aus gegebenem Anlass nicht von Katja Schnitzler, sondern von ihrem Ehemann Johannes Schnitzler, ebenfalls Journalist.

Wann sollten Väter in Elternzeit gehen, und stärken zwei kurze Monate überhaupt die Bindung zwischen Vater und Kind? Diplom-Pädagoge Ansgar Röhrbein gibt Tipps für die Väterzeit.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1429315
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Süddeutsche.de/kaeb/rus/lala
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.