Kennzeichnung von Lebensmitteln:Große Ampel, kleine Ampel

Gesunde Cola? Fettes Olivenöl? Und sogar Apfelsaft am farblichen Pranger? Die Entscheidung des EU-Parlaments über Lebensmittelkennzeichnung dürfte spannend werden.

Jeanne Rubner

München - Mal ehrlich: Wer schaut beim Kauf der Frühstücksflocken schon aufs Kleingedruckte? Vielleicht ist es auch besser so, weil man sonst kaum unbeschwert ins Regal greifen würde. Die meisten Flakes und Körnermischungen, die als gesunder Start in den Tag gepriesen werden, bestehen zu mehr als einem Viertel aus Zucker. Manche enthalten, auf 100 Gramm gerechnet, sogar mehr als 40 Gramm Zucker. Getarnte Kalorienbomben also, was für viele andere Fertigprodukte auch gilt.

Bei Müsli, Tiefkühlpizza oder Quarkmischungen könnte bald für Europas Verbraucher die rote Ampel aufblinken. Zumindest wenn es nach dem Willen der Hälfte aller EU-Abgeordneten geht. An diesem Mittwoch entscheidet das Europaparlament über eine Richtlinie zur Lebensmittelkennzeichnung - und in Straßburg dürfte Politik einmal richtig spannend werden. Denn noch ist ungewiss, wer wie abstimmt, und vielleicht wird die von der Lebensmittelindustrie verteufelte "Ampel" doch noch kommen.

Zwei Lager stehen sich unversöhnlich gegenüber: Die Industrie eben, unterstützt von meist konservativen Abgeordneten. Sie favorisieren das System der - bisher weitgehend freiwilligen - Angabe von Kalorien, Fett, gesättigten Fettsäuren, Zucker und Salz pro hundert Gramm und empfohlener Tagesdosis. GDA heißt es in der Fachsprache, was "Guideline Daily Amount" bedeutet, also Richtlinie für den Tagesverbrauch. Verbraucherschützer dagegen, unterstützt von der sozialistischen Fraktion im Parlament, wollen diese Informationen in rot, gelb oder grün übersetzen - für zu hohen, mittleren beziehungsweise niedrigen Anteil der Nahrungsbestandteile.

Nur die Ampel sei für Verbraucher verständlich, sagen ihre Befürworter. Mit der Ampel könne man unkompliziert und gesünder einkaufen und brauche dazu weder eine Leselupe noch ein Lebensmittelabitur, heißt es beim AOK-Bundesverband. Kinderärzte verweisen auf die bedrohliche Zunahme von Fettleibigkeit gerade bei den Jüngeren, und die Deutsche Herzstiftung ist überzeugt, dass die Ampelfarben den Verbraucher motivieren, über gesunde Ernährung nachzudenken. Sogar die Fachleute vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung stellten fest, dass die Ampel die Verbraucher am besten erreiche. Und was sagen Sie? Laut einer Emnid-Umfrage sind fast sieben von zehn für die farbliche Kennzeichnung

Gefährlich, kontern Gegner. Sie fürchten, Menschen könnten an "Mangelernährung" leiden, wenn sie nur nach grün gekennzeichneten Produkten griffen. Schließlich würde Olivenöl beim Fettgehalt einen roten Punkt verpasst bekommen, und Apfelsaft einen solchen beim Zuckergehalt. Dass ausgerechnet Cola Light dann beim Zucker die Note grün erhielte, beweise die Untauglichkeit dieser Kennzeichnung, so Ampelgegner.

Im Parlament herrscht Patt. Mit 30 zu 30 Stimmen fiel die Ampel im März im zuständigen Umweltausschuss durch. Die sozialistische Fraktion hat nun ein "Hybrid-Modell" vorgeschlagen. Demnach sollen bei verarbeiteten Produkten, Cerealien und Soft Drinks die GDA-Angaben farblich hinterlegt werden - eine kleine Ampellösung gewissermaßen. Und fettes Olivenöl wie zuckriger Apfelsaft stünden nicht mehr am farblichen Pranger.

Über den Zucker übrigens haben sich Anfang des 20. Jahrhunderts die Erfinder der Frühstücksflocken heillos zerstritten. Will Kellogg wollte die Maisflöckchen süßer machen, um mehr zu verkaufen, sein Bruder John war dagegen. Als dieser in Europa weilte, kippte Will kurzerhand Zucker ins Produkt. Sein Bruder soll nie wieder mit ihm gesprochen haben und zog sich aus der Firma zurück. Wills Nachfolger waren ausgesprochen gelehrig. Während die Original Cornflakes zu acht Prozent aus Zucker bestehen, sind es bei den Smacks bereits 43 Prozent.

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