Keime in der Küche:Bakterien machen das Würstchen

Eine Milliarde Bakterien auf einem Gramm Salami? Das klingt eklig - aber ohne Mikroben gäbe es viele Lebensmittel nicht. Sie sorgen für Aroma und verdrängen schädliche Konkurrenz. Nicht nur in der Wurst.

Sebastian Herrmann

Wie viele Bakterien leben auf einer Salami? Schon klar, das wollen die meisten Menschen gar nicht wissen, das finden sie eklig. Trotzdem soll Rudi Vogel, Inhaber des Lehrstuhls für Technische Mikrobiologie an der TU München, nun diese Frage beantworten. "Etwa zehn hoch neun Bakterien", sagt der Biochemiker und legt eine Kunstpause ein. "Zehn hoch neun - das sind eine Milliarde Bakterien." Pause. "Und zwar auf einem Gramm Salami."

Italienische Salami aus Nordhessen?

Eine Salami besteht zu etwa einem Tausendstel aus Bakterien: Zwischen Schweinefleisch, Rückenspeck und Gewürzen hausen Abermilliarden Mikroorganismen - und das ist gut so.

(Foto: dpa)

Insgesamt besteht so eine Wurst zu etwa einem Tausendstel aus Bakterien, zwischen Schweinefleisch, Rückenspeck und Gewürzen hausen also Abermilliarden Mikroorganismen - und das ist gut so. Denn ohne Lactobacillus sakei, Staphylococcus carnosus und andere Bakterien gäbe es überhaupt keine Salami.

"Das wissen die meisten Menschen aber nicht", sagt Vogel. Und wenn sie erfahren, dass erst Bakterien Fleisch zu teurer Wurst veredeln, dann fänden sie das ziemlich widerlich. Verbraucher akzeptieren in ihren Lebensmitteln keine Keime - außer die Mikroorganismen stecken in yogamattengelbem Creme-Joghurt, auf dessen Verpackung der Hersteller zum Beispiel die Wortschöpfung "Lactobacillus defensis" oder den Begriff "probiotisch" geschrieben hat. Nur wenn das Produkt Wohlbefinden und eine prächtige Darmflora verspricht, finden Kunden Bakterien in Ordnung.

Diese Haltung ist idiotisch, denn ein gutes Viertel aller verarbeiteten Lebensmittel wird mit Bakterien oder Pilzen hergestellt, schätzt die Gesellschaft Deutscher Lebensmitteltechnologen. Ohne Bakterien würde Brot aus Sauerteig nicht existieren, Oliven wären ungenießbar und Käse, Bier oder Wein gäbe es ohne Fermentation - die Gärung durch Mikroorganismen - sowieso nicht.

Es ist deshalb Zeit, endlich die kulinarischen Leistungen der Mikroben zu lobpreisen, die wir sonst nur als Krankheitserreger verteufeln oder als Auslöser von Fäulnis fürchten. "Salmonellen und Noroviren kennt jeder, aber kaum jemand weiß, wie sehr wir auf gute Bakterien angewiesen sind", sagt Johannes Krämer, Autor eines Lehrbuchs zur Mikrobiologie der Lebensmittel.

Der Biochemiker Rudi Vogel untersucht an seinem Lehrstuhl, welche der Abermilliarden Bakterien in einer Salami das Aroma der Wurst verbessern. Im Labor in Weihenstephan nahe München stecken mehrere kleine Glasröhrchen mit Fleischbröckchen in einem Gitter neben dem Gas-Chromatographen. Eine Doktorandin analysiert mit dem Gerät die flüchtigen Inhaltsstoffe von Salami-Proben, die mit verschiedenen Bakterienstämmen angesetzt worden sind.

Rudi Vogel nimmt zwei Glasröhrchen aus dem Ständer und hält sie gegen das Licht. "Hier sieht man, welche Rolle die Bakterien spielen", sagt der Biochemiker. Eine der Proben ist von leichenblasser Färbung, als hätte jemand die Fleischstückchen lustlos in Wasser gekocht. Die Bröckchen im anderen Glas sind Salami-typisch rot gefärbt.

In der ersten Probe fehlte offenbar ausreichend Milchsäure. Diesen Stoff steuern Lactobakterien zum Fermentationsprozess bei der Herstellung von Rohwurst bei. "Die Säure lässt die Fleischproteine denaturieren, sie verändern ihre Struktur", erklärt Vogel. Das rohe Fleisch wird fest und nimmt eine satte rote Farbe an. Durch die Produktion von Milchsäure verdrängen die Bakterien zudem konkurrierende Keime, die von Natur aus auf Fleisch leben.

Selbst bei guter Qualität tummeln sich etwa 100 bis 1000 oft unerwünschte Keime auf frischem Fleisch, pro Gramm. Darunter sind auch unangenehme Bakterien wie Clostridium botulinum, die ein mächtiges Gift namens Botox produzieren. "Die Milchsäure hemmt die Verderber und macht das Produkt hygienisch", sagt Vogel.

Diesen Job erledigen die Lactobakterien rasch und gründlich. "Die Keime sind sehr kompetitiv und verdängen Konkurrenten", sagt Herbert Schmidt. Der Mikrobiologe von der Universität Hohenheim hat die Fähigkeiten der Saubermacher-Keime beobachtet, um mit ihnen aus Hirse, Amaranth oder Buchweizen genießbares Sauerteig-Brot herzustellen, das auch Gluten-Allergiker vertragen. Diese Aufgabe haben die Lactobakterien ebenfalls gemeistert.

Bakterien sorgen für Geschmack

"Die Keime machen Lebensmittel aber nicht nur haltbar, sondern werten sie auch noch sensorisch auf", sagt Christian Hertel vom Deutschen Institut für Lebensmitteltechnik in Quakenbrück. Bakterien sorgen also für Geschmack. Im Falle von Salami müssen zumindest Lactobakterien bei dieser Aufgabe passen. Ein sensorischer Vergleich verschiedener Stämme von Milchsäurebakterien an der TU München ergab, dass diese Keime nur einen geringen Beitrag zum Aroma einer guten Salami leisten. Für Geschmack sind Staphylokokken zuständig.

Staphylokokken - das Wort lässt einen zusammenzucken. In Kliniken fürchten Patienten und Mediziner resistente Varianten des Erregers Staphylococcus aureus. In der Fleischerei verlassen sich Metzger hingegen auf den Stoffwechsel von Staphylococcus carnosus oder Staphylococcus xyclosus, um eine gute Wurst herzustellen. "Die Staphylokokken produzieren mehr für das Aroma wichtige Stoffe als Milchsäurebakterien", sagt Rudi Vogel.

Der Unterschied lässt sich am Bildschirm des Gas-Chromatographen ablesen. Zwei Linien vergleichen das Stoffspektrum zweier Wurstsorten. Die Staphylokokken in der einen Probe sorgen für größere Ausschläge. Sie setzen zum Beispiel wesentlich mehr Methylbuttersäure und andere flüchtige Stoffe frei, die für das Aroma entscheidend sein könnten. Ob diese chemischen Verbindungen überhaupt gut schmecken oder riechen, untersuchen allerdings Kollegen von einem anderen Lehrstuhl.

"Wir analysieren hier, welche Bakterienstämme welche flüchtigen Stoffe liefern", sagt Vogel. Sein Team fahndet nach den Enzymen, die die Bakterien produzieren, und so auf die Rohwurst-Masse einwirken. Dazu suchen die Forscher direkt nach den verschiedenen Genen, die ein Bakterium jeweils für die Herstellung eines Enzyms braucht. Sie schalten einzelne Gene aus, vermehren die Keime, setzen damit neue Wurstproben an und analysieren schließlich deren Aromabestandteile. "So können wir die relevanten Gene identifizieren und dann gezielt nach Bakterienstämmen suchen, die über diese Erbgutvariante verfügen", erklärt Rudi Vogel.

Ein eher stolzer Metzger wird sich für die Arbeit der Wissenschaftler aus Weihenstephan wenig interessieren. Die hohe Salami-Handwerkskunst besteht darin, das Fleisch auf natürlichem Weg zur Fermentation zu bringen. Der Reifungsprozess wird also mit den Keimen durchgestanden, die sowieso auf dem Fleisch hausen: Darunter sind auch immer Lactobakterien und Staphylokokken, sie müssen nur richtig zur Blüte gebracht werden. Das nimmt viel Zeit in Anspruch, schmeckt am Ende aber gut.

Eilige Metzger könnten hingegen irgendwann einmal mit Bakterien arbeiten, die Wissenschaftler wie Rudi Vogel gezüchtet haben. Gewürzhersteller bieten längst Bakterien-Mischungen an, die als weißes Pulver zum rohen Fleisch gegeben werden und die Fermentation anschieben. Die Produkte werden als "Starterkulturen" bezeichnet und tragen Namen wie Biobak Classic Plus oder Biobak CDN ("für groß- und kleinkalibrige schnittfeste Rohwürste") und werden in neutralen Packungen geliefert.

Der Anbieter dieser beiden Starterkulturen schreibt auf seiner Internetseite nur verschämt an einer Textstelle von "Mikroorganismen". Selbst segensreiche Bakterienstämme werden wohl lieber diskret verkauft. Der sensible Verbraucher könnte sonst mitbekommen, dass Keime in seinen Lebensmitteln hausen.

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