Kolumne: Meine Leidenschaft:"Chopin langweilte mich irgendwann"

Kolumne: Meine Leidenschaft: Katja Eichinger im Mastermixstudio in München-Unterföhring.

Katja Eichinger im Mastermixstudio in München-Unterföhring.

(Foto: Niko Kappel)

Im Wohnzimmer der Autorin und Journalistin Katja Eichinger steht ein Baby-Steinway aus dem Jahr 1939. Anderen spielt sie nur ungern darauf vor, sie hat großes Lampenfieber. Eine Ausnahme macht sie nur für Gershwin.

Von Niko Kappel

"Wie ein alter Herr", sagt Katja Eichinger und guckt auf den Flügel, der vor ihr steht, ein schwarzer Bösendorfer aus Wien. "Als würde er so herkommen, seinen Hut heben und sagen, schubidu, da bin ich." Sie spielt einen Akkord. "Der ist für Jazz", sagt sie, kein Klassikflügel. Eigentlich ist Jazz gar nicht so ihr Ding. Aber heute macht sie eine Ausnahme.

Es sind geschichtsträchtige Hallen, in denen Eichinger heute Klavier spielen will, das Mastermixstudio in München-Unterföhring. Es riecht nach Holz, die Lampen leuchten warm, hier wurde - zumindest nach dem Selbstverständnis des Künstlers - der Song aufgenommen, der die Mauer in Deutschland zum Einsturz brachte: "Looking for Freedom" von David Hasselhoff.

Aber nicht nur "The Hoff" hat hier gewirkt, 2021 spielte Katja Eichinger in dem Studio ihr erstes Album ein. An genau diesem Flügel, dem alten Jazz-Herrn. Schubidu.

Auch noch Geige? Irgendwann ist auch mal gut

"Aber erst einmal müssen wir über die Blockflöte sprechen", sagt Eichinger. Denn damit fing es an, in der hessischen Provinz. Die Autorin und Journalistin wuchs in einem Dorf in der Nähe von Kassel auf. Weil ihre ältere Schwester Flöte spielte, wollte sie auch. Eigentlich versaut die Blockflöte den meisten Menschen ihre musikalische Zukunft. Aber Katja Eichinger verliebte sich via Flöte ins Musizieren, sie nahm Klavierunterricht und wollte auch noch Geige spielen. Das musste zunächst ein Traum bleiben, weil ihre Mutter sie damals überall hinfahren musste, anders ging es auf dem Dorf nicht. Schule, Klavier, Ballett und zusätzlich Geigenunterricht? Irgendwann ist auch mal gut.

In der Oberstufe hatte sie dann einen amerikanischen Klavierlehrer, der ihr den Komponisten George Gershwin nahebrachte. Das Stück "Three Preludes" habe etwas in ihr geöffnet. "Chopin langweilte mich irgendwann unglaublich, damit war ich durch", sagt sie.

Eichinger beginnt nun zu spielen. "Der ist ja verstimmt, du!", ärgert sie sich. Egal, da muss sie jetzt durch. "Three Preludes" ist eines der wenigen Stücke, die sie auswendig spielen kann, sonst braucht sie immer Notenblätter. Aber der Gershwin, der hat sich ihr eingebrannt, bei dem fühle sie sich so sicher, dass es auch mal ohne Noten geht, sagt sie.

Aus ihrer Stofftasche holt Eichinger ein Notenbuch heraus. "Der Mensch, den ich aber von allen lebenden Musikern am meisten verehre, ist Philip Glass." Der amerikanische Komponist schrieb die Filmmusik für "The Hours", seine Oper "Einstein on the Beach" gilt als Pionierarbeit im avantgardistischen Musiktheater. "Am besten wird der gespielt von Víkingur Ólafsson. So schön kann ich das nicht. Aber ich gebe mir Mühe."

Auch wenn Eichinger wohl nicht ganz an den isländischen Starpianisten rankommt: Sie spielt Glass sehr gut. Für seine "Etüde No. 6" sitzt sie jetzt aufrechter als bei Gershwin. An den furiosen Stellen spielt sie sicher, blättert schnell um, sie hat das schon tausend Mal gemacht, bekommt die Seiten des Notenbuchs mit ihren Fingern direkt zu fassen. Dann hört sie auf und sagt mit dem letzten Ton: "Ich liebe, liebe Philip Glass."

Nach Gershwin kamen die "Dead Kennedys"

Nicht immer war Katja Eichinger klassische Musik wichtig. Nach der Schule hatte sie genug von der Heimat. Sie zog nach London, lernte ihren ersten Freund kennen. Der war Physiker - und Punk. Gershwin wurde egal, wichtig waren jetzt die Stone Roses und die Dead Kennedys. Klavier spielte sie in dieser Zeit nur, wenn in irgendeiner Punker-Wohnung mal ein "verstimmtes Ding" rumstand.

2006 zog sie zurück nach Deutschland. In ihr neues Leben in München-Schwabing sollte ein Klavier hinein. Eichinger suchte ein Jahr lang nach dem passenden, sie wollte einen Baby-Steinway. "Eigentlich dachte ich immer, dass ich für so ein Klavier zu schlecht spiele. Dann unterhielt ich mich auf einer eher steifen Filmveranstaltung mit so einem farblosen Banker. Er sagte mir, dass er einen Steinway habe. Als ich ihn fragte, was er spielte, nannte er nur Anfängerstücke, also schockierend simpel." Und so dachte sie: Wenn der so ein Klavier hat, darf ich das auch.

Eichinger fand einen Mann in Karlsruhe, der alte Steinways restaurierte und einen Flügel für sie suchte. Fast ein Jahr brauchte der Steinway-Experte, um das Instrument aus dem Jahr 1939 zu restaurieren und den perfekten Klang wiederherzustellen. Und wie muss der klingen? "Sharp, so richtig klar, und gleichzeitig Volumen und Wärme, dass man alle großen Meister darauf spielen kann", sagt Eichinger. Das Klavier wiegt eine Tonne, zwei Männer mussten es in Eichingers Wohnzimmer im vierten Stock wuchten. "Als er dann hier stand, war es, als wäre jemand bei mir eingezogen."

Während der Pandemie erfüllte sie sich schließlich den Traum von der Geige, der damals an der Verkehrsstruktur der hessischen Kleinstadt gescheitert war. Sie übt täglich, aber jetzt was vorspielen? "Entschuldigung, das geht nicht. Dafür bin ich zu nervös."

Vor anderen spielen? Katja Eichinger hat Lampenfieber

Im Studio, auf dem alten Herren, spielt sie jetzt Beethoven, die Klaviersonate Nr. 21, die "Waldstein". Eichinger spielt makellos, dann verrutschen ihr einmal aber doch die Finger. "Ich bin aufgeregt", sagt sie. "Dass ich überhaupt vor Ihnen spielen kann, ist ein großer therapeutischer Erfolg."

Denn Katja Eichinger hat Lampenfieber. So lähmend, dass sie ihr Leben lang vor niemandem spielen konnte. "Ich hatte bei mir eine Party, als der Steinway neu war. Alle sagten, ich solle was spielen. Konnte ich aber nicht." Schon als Kind hatte sie Angst, vor Menschen zu spielen. Damit war sie in guter Gesellschaft: Ihr damaliger Klavierlehrer beendete seine Konzertkarriere, weil er nur spielen konnte, wenn er Betablocker genommen hatte. Aber wer zu viel Betablocker nimmt, wird matschig. Das wollte Eichinger nicht, deswegen war früh klar, dass Klavierspielen immer nur ein Hobby bleiben würde.

Inzwischen fällt es ihr leichter, vor Menschen zu spielen, auch dank eines Orchester-Workshops. "Der Dirigent war gleichzeitig Trauma-Therapeut, eine tolle Kombination." Es sei viel um die Freude am Musizieren und die Überwindung von Ängsten gegangen. "Seitdem spiele ich freier", sagt Eichinger. Das ist wichtig, denn gerade saß sie mit zwei Komponisten im Studio. Sie arbeiteten am Soundtrack für die Fernsehserie "Asbest", die nach ihrer Idee von Kida Ramadan als Regisseur verfilmt wurde. Im Januar wird die Serie in der ARD-Mediathek laufen.

Während des Lockdowns kam Eichinger zudem die Idee für ihr erstes eigenes Album: "Soma". Benannt ist es nach der Pille in Aldous Huxleys "Schöne neue Welt". Die Droge sorgt im Roman dafür, dass es den Menschen gut geht. "Ich war so genervt von Yoga und Achtsamkeit", sagt sie. Alle möglichen Apps habe sie sich heruntergeladen, um in der Isolation bei sich zu bleiben, doch die erreichten genau das Gegenteil. "Vor allem die Hintergrundmusik bei diesem Achtsamkeitszeugs machte mich fertig. Deswegen ist das Album eine Satire darauf."

Auf "Soma" liest sie über die Klavierstücke hinweg Rezeptbeilagen vor, Texte über Oxycodon, Viagra und Ritalin. "Ich kann auch nicht genau sagen, was das ist. Es ist sicherlich entspannend, aber auch verstörend, ein düsterer, englischer Galgenhumor."

Das Klavier im Studio ist verstummt, Katja Eichinger steigt vor dem Studio in ihren Retro-Mercedes. Die Herbstsonne spiegelt sich auf dem schwarzen Lack. Sie muss nach Hause, sie hat noch was vor: Beethovens Klaviersonate Nr. 23 üben, die "Appassionata". Ganz ohne Publikum, nur sie und der Baby-Steinway.

Keine Leidenschaft ohne Zubehör. Diese Gegenstände hat Katja Eichinger beim Musizieren immer griffbereit:

Der Flügel

Kolumne: Meine Leidenschaft: Eine Tonne schwer und aus dem Jahr 1939: Eichingers Baby-Steinway.

Eine Tonne schwer und aus dem Jahr 1939: Eichingers Baby-Steinway.

(Foto: Niko Kappel)

"Das ist mein Baby-Steinway. Weil dieses Klavier hier in München steht, ist München auch das Zentrum meines Lebens. Mit dem kann man nicht einfach mal schnell umziehen. Dadurch gibt er mir Bodenhaftung."

Die Geige

Kolumne: Meine Leidenschaft: Ein wahr gewordener Kindheitstraum: eine Geige.

Ein wahr gewordener Kindheitstraum: eine Geige.

(Foto: Niko Kappel)

"Ich spiele jetzt seit einigen Jahren Geige. Diese hier habe ich während des Lockdowns gekauft, das war wie ein Kind zu adoptieren. Ich nehme auch Unterricht. Aber weil meine Nerven dabei so angespannt sind, könnte ich das nie einfach so vor Leuten machen. Deshalb zeige ich sie lieber nur her. Ich habe wirklich krasse Performance-Anxiety."

Der Bogen

Kolumne: Meine Leidenschaft: Der Bogen gehört zur Geige, Eichinger nimmt beides mit auf Geschäftsreisen.

Der Bogen gehört zur Geige, Eichinger nimmt beides mit auf Geschäftsreisen.

(Foto: Niko Kappel)

"Genau wie die Geige habe ich den immer dabei. Wenn ich in Berlin bin, weil ich da geschäftlich zu tun habe, muss der Bogen und die Geige immer mit. Wie das Klavier empfinde ich die beiden als Wesen. Okay, das klingt vielleicht ein bisschen zu esoterisch, sagen wir, es ist ein Zwitter. So irgendwas zwischen Wesen und Ding."

Bogenschießen, Schwimmen, Motorrad streicheln: Weitere Folgen von "Meine Leidenschaft" finden Sie hier.

Zur SZ-Startseite

Kolumne: Meine Leidenschaft
:"Das Tolle am Segeln ist, dass du Warten lernst"

Im und auf dem Wasser fühlt sich Schauspieler Hannes Jaenicke pudelwohl. Segeln? Kein Problem, kann er. Wäre da nicht das Wetter.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: