11.11.2009 - Karneval-Start:Wie viel Jeck muss sein?

Pünktlich um 11:11 Uhr lassen die Narren im Rheinland die Korken knallen. Wer da nicht mitmacht, soll doch zum Lachen in den Keller gehen. Oder wie sehen Sie das?

Ruth Schneeberger

Natürlich ist das furchtbar, im dritten Jahr in Folge die sechste Karnevalssitzung des achten Karnevalsvereins besuchen zu müssen, in der Absicht, darüber zu berichten. Man kann sich davon gar keine zu schlimme Vorstellung machen: Altgediente Jecken, deren angestrengte Minen verraten, welch knochenharter Job das Karnevalsgeschäft hinter den Kulissen ist, verbreiten mechanisches Schunkeln durch den Saal und lassen Pappnasen auftreten, deren Bühnenshow noch weniger witzig ist als die von Mario Barth.

kölner karneval; dpa

Die rheinische Frohnatur reißt alles mit, was nicht bei drei auf dem Wagen ist.

(Foto: Foto: dpa)

Wehe aber, der Berichterstatter lässt auch nur eine Spur des Zweifels am Gelingen der ein oder anderen Darstellung aufkommen: Der ganze Karnevalsverein steht am nächsten Tag in der Redaktion und droht lautstark-bierselig, noch so ein geschriebenes Wort, und die Zeitung werde abbestellt.

Wohlgemerkt gibt es im Rheinland der Karnevalssitzungen so viele, dass man von November bis März aus dem Feiern unter größtmöglichen Anstrengungen nicht mehr herauskommt. Für Lokalberichterstatter an Rhein und Main empfiehlt es sich, zur Karnevalssaison, also mindestens halbjährig, ein Permanent-Grinsen eintätowieren zu lassen, um ja nicht den Verdacht aufkeimen zu lassen, man sei ein Gegner des Jecken an sich. Denn der, und das sollte jedem klar sein, versteht nun wirklich keinen Spaß.

Beim Rosenmontagszug ist alles erlaubt

Doch der liebe Gott hat uns nicht nur den Sitzungs-, sondern auch den Straßenkarneval beschert. Was für ein Glück. Weiberfastnacht, Geisterzüge - alles geschenkt. Wer aber einmal in den Genuss gekommen ist, dem Kölner Rosenmontagszuge beizuwohnen, wird das bis zum Ende seiner Tage nicht mehr vergessen. Schmeißen Sie sich in volle Montur, und Sie werden der Star sein. Kommen Sie in Zivil, und man wird Ihnen vergeben.

Beim Kölner Rosenmontagszug ist alles erlaubt, und nichts muss sein. Das gilt übrigens auch für den Alkoholgebrauch. Entgegen anderslautenden Gerüchten lässt sich der kölsche Karneval durchaus auch ohne flüssige Stimmungsmacher ertragen, wenn nicht so sogar noch besser. Die berühmte rheinische Frohnatur läuft hier zur Höchstform auf - und reißt alles mit, was nicht bei drei auf dem Wagen ist.

Von morgens um elfe bis tief in die Nacht verwandelt sich eine wogende Masse in die Love-Parade, wie sie eigentlich mal sein wollte: Singende, tanzende, hüpfende, taumelnde, küssende und vor allem fröhliche Menschenkinder feiern den Abschied vom Winter, die Freude am Leben und das Fest wie es fällt.

Dass nebenher ein paar aufwändig arrangierte Festwagen mit politischen Botschaften vorbeiziehen, mit denen das Volk die Herrschenden kritisiert, und dass außerdem noch ordentlich "Kamelle" und "Strüssche" verteilt werden, die in Köln anstelle von klebrigen Uralt-Bonbons und zerfetzten Nelken sich in Form von Pralinenschachteln und Rosengebinden durchaus sehen lassen können, kann die Laune nur noch heben.

Und wo in aller Welt findet man so viele liebevoll selbstgemachte Kostüme und Kreativität am menschlichen Körper? Wer hier nicht zum Narren wird, zumindest für einen Tag, der soll doch zum Grübeln in den Keller gehen.

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