Kampf gegen Kinderprostitution:Wiedergeboren

Somaly Mam wurde als Kind von Vietnam nach Kambodscha verschleppt und zur Prostitution gezwungen. Heute befreit sie Mädchen aus den Bordellen - das jüngste war fünf Jahre alt.

Jeanne Rubner

Mit zwölf war Sina ein frohes Mädchen. Streng genommen war sie erst elf, doch in der Mekong-Region zählt man die Monate vor der Geburt zum Alter dazu. Sina also war zwölf und so lebenslustig, dass sie sich von einer Freundin überreden ließ, mit ihr nach Kambodscha zu fahren. "Zu einer Party", sagte sie. Eine Frau hatte den beiden versprochen, sie über die Grenze zu bringen, weil dort, anders als in Vietnam, richtig was los sei. Und weil Sina gerade Ärger mit ihrem Vater hatte, fuhr sie mit. Ein wenig aus Trotz, ein wenig aus Abenteuerlust. Ein paar Tage später war Sina eingesperrt, verprügelt, mit Drogen vollgepumpt und Hunderte Male vergewaltigt worden.

Kampf gegen Kinderprostitution: Die Kambodschanerin Somaly Mam war selbst Kinderprostituierte und kämpft heute gegen den sexuellen Missbrauch von Mädchen und Frauen.

Die Kambodschanerin Somaly Mam war selbst Kinderprostituierte und kämpft heute gegen den sexuellen Missbrauch von Mädchen und Frauen.

(Foto: oh)

Das ist die böse Seite von Sinas Leben. Die gute: Zumindest lebt sie noch. Anders als die gleichaltrige Mov, die gerade gestorben ist, mit 19 Jahren. An Aids. Mov war einmal ein hübsches Mädchen, auf einem Foto lächelt sie in ihrem bunten Ringelshirt, doch die Pusteln im Gesicht zeugen bereits von der tödlichen Immunschwäche. Mov wurde in einem Bordell von Phnom Penh geboren, sie war Kinderprostituierte wie Sina. Ein Freier hat sie angesteckt. Viele der Mädchen werden nicht älter als 20.

Warum bist du nicht weggelaufen, Sina? Die Frage liegt einem auf den Lippen, sie steht unausgesprochen im Raum, doch Somaly Mam hat sie gleich erraten. Das Gesicht der schönen Kambodschanerin mit den ebenmäßigen Zügen und dem bronzefarbenen Teint verfinstert sich: "Aus dem Bordell zu fliehen, ist das eine", sagt sie, "deinem Geist zu entkommen, ist etwas anderes." Die Kinderprostituierten von Pnom Penh, Sihanoukville oder Battambang müssen oft nicht mehr eingesperrt werden, weil ihr Wille gebrochen ist. "Sie wollen gar nicht fliehen." So wie Somaly Mam, die selbst Kinderprostituierte war und heute Aktivistin ist gegen den sexuellen Missbrauch von Mädchen und Frauen. Sie ist gemeinsam mit Sina in München, zu Besuch bei der Roland Berger Stiftung, die ihr vor zwei Jahren den Preis für Menschenwürde verliehen hat und ihre Arbeit mit einer Million Euro unterstützt.

Wohin hätte Somaly Mam fliehen sollen? Ihre leiblichen Eltern hat sie nie kennengelernt. Soll sie zum "Großvater" fliehen, dem 50-jährigen Mann, an den ihr Stamm in einer armen Bergregion an der Grenze zu Vietnam sie verkauft hat? Der sie wie eine Haussklavin schuften lässt und verprügelt, bevor er sie zur Vergewaltigung an seine Gläubiger freigibt? Der sie als 14-Jährige mit einem Soldaten zwangsverheiratet und, als der zum Einsatz abkommandiert wird, nach Phnom Penh in ein Bordell verkauft? Acht Jahre dauert ihre "Zeit in der Hölle".

Das war Mitte der neunziger Jahre. Dann kommen die UN-Friedenstruppen nach Kambodscha und mit ihnen ausländische Soldaten und Zivilisten ins Land. Auch unter ihnen sind viele Freier, aber zumindest zahlen sie gut und schlagen die Mädchen und Frauen nicht. Somaly Mam kann sich Jobs außerhalb des Rotlichtmilieus verschaffen und lernt ihren späteren Ehemann kennen, einen Franzosen. Mit ihm geht sie nach Frankreich, bekommt Kinder - und kehrt zurück nach Phnom Penh. Sie gründet die Hilfsorganisation Afesip, die sich um Kinderprostituierte kümmert.

Ihre Ehe scheitert, zu groß sind die Narben, die jahrelange Misshandlungen hinterlassen haben. "Ich bin ein schwieriger Mensch", gibt Somaly Mam zu. Manchmal fühle sie sich "immer noch beschmutzt", so steht es in ihrem Buch "Das Schweigen der Unschuld". Sie müsse sich dann wie eine Verrückte waschen, Cremes auftragen und mit Eau de Toilette einsprühen, um den Spermageruch zu überdecken, der sie verfolge. Es fällt ihr schwer, Männer zu lieben. Auch von ihren eigenen Kindern redet sie ungern. "Ich habe nie gelernt, wie man Kinder erzieht", hat sie einmal in einem Interview gestanden, sie fühle sich eher wie die Schwester ihrer Kinder. Ihr Leben, das sind "die Mädchen", die sich mit Hilfe von Afesip und ihrer eigenen, 2007 gegründeten Somaly Mam Stiftung aus Bordellen befreit haben. Eine davon ist Sina.

Eine Kämpferin braucht Zuversicht

Wenn Sina von sich erzählt, sitzt sie kerzengerade und scheinbar unbeteiligt da, nervös sind nur ihre Hände, die etwas Unsichtbares kneten. Die Frau, die ihr Partys versprochen hatte, schmuggelte sie über die Grenze und brachte sie in ein Haus, wo man sie einsperrte. Sina, die Jungfrau, weiß gar nicht, was mit ihr geschieht. Sie wehrt sich, als der erste Mann in ihr Zimmer kommt, beißt ihn, schlägt ihn. Irgendwann gibt man ihr Kokosmilch mit Drogen. Als sie wieder zu Bewusstsein kommt, ist das Laken voller Blut, ihr Unterleib schmerzt höllisch. Zwei Jahre lang dauert ihr Martyrium. Sie weint, als sie davon erzählt.

DLD Conference 2011

Somaly Mam, Sina, Maria Furtwängler und Stephanie zu Guttenberg (von links) diskutieren auf der Münchener Konferenz Digital Life Design im Januar 2011 über Menschenhandel.

(Foto: Getty Images)

Sina ist eine "Überlebende". So nennt Somaly Mam die von ihr geretteten Mädchen. Manchmal sagt sie: "meine Schwestern". Etwa 7000 Mädchen hat sie aus den Bordellhöllen Kambodschas befreit. Sie hat dafür eigene Strategien entwickelt: Mal schickt sie als Freier getarnte Mitarbeiter, die Beweise an die Polizei übergeben. "In Phnom Penh funktioniert das mittlerweile ganz gut", sagt sie. In der Provinz dagegen, wo die Menschen bettelarm sind, glauben viele, dass die Prostitution Sache der Familie sei. Mitarbeiter der Stiftung arbeiten auch in Krankenhäusern, wohin Bordellbesitzer die Mädchen zur medizinischen Kontrolle schicken, und überreden sie, das Bordell zu verlassen. Somaly Mam ist schon gewaltsam in Bordelle eingedrungen und hat Mädchen befreit. Einmal hat sie mit der Polizei eines der größten Stundenhotels von Phnom Penh gestürmt, in dem etwa 200 Mädchen festgehalten wurden.

Sie will den Kinderprostituierten ihre Würde zurückgeben. "Um ein Mädchen zu retten, braucht man manchmal nur fünf Minuten", sagt sie. "Ihnen das Leben zurückzugeben, dauert fünf bis zehn Jahre." Ihre Stiftung betreibt drei Heime in Kambodscha und vier weitere in Vietnam und Laos, wo die Mädchen versorgt werden. Eine hat gerade Abitur gemacht, sie will Jura studieren. Eine andere hat geheiratet. Stolz wie eine Mutter zieht Somaly Mam ihr Mobiltelefon aus der Tasche und zeigt die Hochzeitsbilder mit einer festlich geschminkten jungen Frau in lila Pluderhosen und einem bunten Top.

Seit 15 Jahren kämpft Somaly Mam schon gegen Kinderprostitution. Sie hat viel erreicht, doch ohne Rückhalt durch Politik und Justiz bleibt es ein mühsamer Kampf mit Rückschlägen. Zwar haben die Vereinten Nationen Programme gegen die sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen verabschiedet. Auch haben mehrere Länder ihre Gesetze verschärft gegen die einheimischen Freier und die weltweit schätzungsweise 35 Millionen Sextouristen jährlich, die ihre Perversionen vor allem in Südostasien ausleben. Schwachpunkt bleibt aber, heißt es bei der Roland Berger Stiftung, die schleppende Umsetzung von Gesetzen und Vereinbarungen.

Allein in Kambodscha werden demnach täglich 50.000 Frauen und minderjährige Mädchen Opfer sexueller Ausbeutung. Widersprüchliche Signale kämen aus dem Land, sagt Unicef-Sprecher Rudi Tarneden. Zwar verhängen die Justizbehörden dort immer wieder mal drastische Strafen gegen westliche Sextouristen. Doch insgesamt sind bisher nur ein paar Dutzend Strafverfahren gegen mutmaßliche Täter aus dem Ausland eingeleitet worden. Somaly Mam sagt, die Zahl der Kinderprostituierten sei um ein Vielfaches höher als die Regierung angebe. "Ich will in mein Land zurückkehren", sagt sie. Man hat ihr oft angedroht, ihr den Pass wegzunehmen.

"Denken Sie doch mal, das Mädchen im Bordell wäre Ihre Tochter!"

Somaly Mam schwankt zwischen Ungeduld und Zuversicht. Ungeduld mit den Regierungen und internationalen Organisationen, die viel reden und wenig tun. Sie möchte manchmal aufstehen und den Politikern und Bürokraten ins Gesicht schreien: "Denken Sie doch mal, das Mädchen im Bordell wäre Ihre Tochter!" Sie sagt, der Westen habe das Gefühl dafür verloren, welche menschlichen Tragödien sich da abspielten. Und dafür, wie brutal die Sextouristen vorgehen. Sie verlangen nach immer jüngeren Mädchen. Die Jüngste, die Somaly Mam gerettet hat, war fünf Jahre alt.

Eine Kämpferin aber braucht auch Zuversicht. Vor ein paar Wochen, erzählt Somaly Mam, hat die Gattin des kambodschanischen Premiers, Bunrany Hun Sen, eine Rede gehalten und dabei die Kinderprostitution gegeißelt. Sie hat ein Mädchen besucht, das von einem Freier vergewaltigt und geschwängert worden war. Es war nur eine Geste. Für Kambodscha aber war es eine Premiere.

Sina Vann, die Ex-Prostituierte, arbeitet inzwischen für Somaly Mams Stiftung. Von Männern will sie erst einmal nichts wissen. "Ach komm", sagt Somaly Mam und legt den Arm über ihre Schulter, "Du wirst eines Tages heiraten, ich fühle das." Nein, nein, wehrt Sina ab. Aber sie lacht dabei.

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