Kolumne: Vor Gericht:Bestrafte Menschlichkeit

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(Foto: Jens Wolf/dpa-tmn)

Weltpolitik im Gerichtssaal: Der Iraker Amanj H. wird verurteilt, weil er Landsleuten geholfen hat.

Von Verena Mayer

Was wohl mit den Menschen passiert wäre, die im Lauf der Geschichte Gesetze gebrochen haben, um anderen zu helfen, wenn sie mit der Justiz in Berührung gekommen wären? Hätte man sie im Nachhinein angeklagt, verurteilt? Das ist eine Frage, die ich mir oft gestellt habe. Im Jahr 2007 bekam ich eine Antwort.

Da stand in Berlin der Iraker Amanj H. vor Gericht. Ein einfacher Mann, 36, der aus Scheu die ganze Zeit den Kopf gesenkt hielt. H. bügelte für eine Firma, einen Teil seines Einkommens gab er an Verwandte und Bekannte ab. Mal 50, mal 70 Euro, die Leute kauften damit Essen oder bezahlten Arztrechnungen, einer hat seine Mutter unterstützt. Doch für die Staatsanwaltschaft machte Amanj H. dies zu einem Kriminellen. Denn H. hatte das Geld in den Irak geschickt, und zwar Ende 2002, Anfang 2003. Kurz bevor die USA in den Irak einmarschierten und viel von Massenvernichtungswaffen die Rede war. Es gab ein Embargo des UN-Sicherheitsrates gegen den Irak, und das galt auch für Amanj H., Bügler in Berlin.

Der Staatsanwalt verlas eine seitenlange Anklageschrift mit Nummern von Resolutionen und Paragrafen aus dem Außenwirtschaftsgesetz, gegen das H. verstoßen habe. Amanj H. verstand kein Wort, er konnte kaum Deutsch. Aber eigentlich verstand er die Welt nicht mehr. Er stammte aus einem kurdischen Dorf, unter Saddam Hussein wurde er in die irakische Armee eingezogen. Er desertierte und flüchtete über Iran in die Türkei, sein Bruder wurde dabei von einem Bombensplitter getroffen, seine Mutter von einem Auto überfahren. Irgendwann schaffte er es nach Deutschland. Dort lernte er einen Arzt kennen, der ebenfalls aus dem Irak stammte und Familien in seiner von Krieg und Diktatur zerriebenen Heimat half. Er sammelte Geld von Deutsch-Irakern, von dem er gebrauchte deutsche Autos kaufte. Die ließ er über die Türkei in den Irak bringen, dort wurden sie verkauft und der Erlös an die Familien weitergegeben. Amanj H. half dem Arzt, in Berlin Geld zu sammeln.

Ob es keinen offiziellen Weg gegeben habe, fragte der Richter. Amanj H. sah ihn verwirrt an. Man könne kein Geld überweisen, sagte er, nicht einmal die Post funktioniere im Irak. Die Verwandten bekamen von Mittelsmännern den Namen eines Basars gesagt, auf dem sie sich einfinden sollten. Dort nannten sie ihren Namen und erhielten das Geld aus Deutschland. "Ich bin in einem Land geboren, in dem man gelobt wird, wenn man menschliche Taten begeht. Jetzt stehe ich vor Gericht", sagte Amanj H. "Sie haben Geldgeschäfte abgewickelt", korrigierte ihn der Richter. "Das war verbotener Warenverkehr."

Zwanzig Jahre später ist klar, dass es die Massenvernichtungswaffen nicht gab, der Irakkrieg völkerrechtswidrig war und bis heute in der Region Terror und Gewalt herrschen. Diejenigen, die versuchten, die Not zu lindern, wurden von deutschen Gerichten verurteilt, Amanj H. zu eineinhalb Jahren, der Arzt zu vier Jahren. Beide haben an ihren Diensten keinen Cent verdient, mussten sogar oft noch zuzahlen. "Ich habe nichts bekommen außer ein Problem", sagte Amanj H.

Kolumne: Vor Gericht: An dieser Stelle schreiben Verena Mayer und Ronen Steinke im wöchentlichen Wechsel über ihre Erlebnisse an deutschen Gerichten.

An dieser Stelle schreiben Verena Mayer und Ronen Steinke im wöchentlichen Wechsel über ihre Erlebnisse an deutschen Gerichten.

(Foto: Bernd Schifferdecker (Illustration))
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