Junggesellinnenabschied:Da braut sich was zusammen

Junggesellinnenabschied: Vor der Hochzeit muss es beim Junggesellinnenabschied noch einmal richtig abgehen - am besten dort, wo das Feiern günstig ist.

Vor der Hochzeit muss es beim Junggesellinnenabschied noch einmal richtig abgehen - am besten dort, wo das Feiern günstig ist.

(Foto: Georg Knoll/laif)

Manche halten den Junggesellinnenabschied für eine neue Form des Terrors. Dabei gibt es einen tieferen Sinn. Der zeigt sich spätestens, wenn man mit den Freundinnen frühmorgens aus dem Club fällt.

Von Isabel Pfaff

Es ist ein warmer Juniabend, ich habe einen Sekt in der Hand, und mein Strohhalm ist geformt wie ein Penis. Neben mir schlürfen noch sieben weitere Frauen Drinks aus phallischen Strohhalmen, wir sitzen um einen Küchentisch herum, lackieren Nägel, ziehen Lidstriche, tauschen Lippenstifte. Geschrei, Lachen, dreckige Witze, der Lärm ist ohrenbetäubend.

Mein 32-jähriges Ich ist eigentlich nicht mehr der Typ für trashige Partys, und normalerweise fände ich es auch ein bisschen albern, mich über Strohhalme in Form von Geschlechtsorganen zu freuen. Doch dieser Abend ist anders, und das ist irgendwie auch gut. Meine Schulfreundin Susanne, die in Wahrheit anders heißt, heiratet in sechs Wochen. Sie trägt einen Plastik-Blumenkranz und ein T-Shirt mit dem pinken Schriftzug "Bride to be". Wir anderen tragen Schwarz. Und rosa Pappbrillen. Und auf den Armen goldene Abziehtattoos mit dem Schriftzug "Team Bride". Das hier ist ein Junggesellinnenabschied.

Es ist inzwischen mein fünfter. Seit ein paar Jahren geht es an meinen Sommerwochenenden fast ausschließlich ums Heiraten, oder eben um all das, was in unserem Kulturkreis dazu gehört. Ist die Braut eine gute Freundin, ist ihre Hochzeit für mich eine Doppelveranstaltung: Ein paar Wochen vor dem eigentlichen Termin versammelt die Trauzeugin die engsten Freundinnen, um die künftige Ehefrau aus dem Ledigenstand zu verabschieden.

Für Susanne haben wir ein Wochenende in Prag organisiert. Irgendwann nach Mitternacht verlassen wir in schwarz-goldener Montur unsere Ferienwohnung - und sind nicht allein. Gruppen wie wir, Männer und Frauen, grölen durch die Gassen, alle haben in ihrer Mitte eine künftige Braut oder einen Bräutigam und arbeiten sich durch die Kneipen. Natürlich haben wir Weggetränke mitgenommen, um unsere Strohhalme in Szene zu setzen, Susanne durfte ihr Bride-T-Shirt zwar zu Hause lassen, aber bei den Plastikblumen sind wir hart geblieben. In den Bars begegnet uns kein einziger Tscheche, dafür schäkern wir mit Junggesellen aus Italien, Frankreich, und ja, extrem vielen Deutschen. Prag ist einer der beliebtesten Orte für einen westeuropäischen Junggesellenabschied, und anstatt uns von dem wüsten Trend abzuheben, sind wir ganz vorne mit dabei.

Es ist schwer zu erklären. Der Junggesellenabschied, einst Paradebeispiel für peinliches, testosterongesteuertes Verhalten, ist keine männliche Spezialität mehr. Frauen quer durch alle Milieus pflegen das Ritual mittlerweile genauso inbrünstig. Warum? Müssen Frauen Männern einfach jede Dummheit nachmachen?

Ich habe für diese Frage volles Verständnis. Wenn ich nicht gerade selbst Teil des Ganzen bin, suche auch ich das Weite, wenn mir Frauengruppen mit Bauchladen und Tüllröckchen begegnen. Und vom Nerv-Faktor mal abgesehen: Die Ehe ist schon lange kein Gefängnis mehr, in dem ausuferndes Feiern verboten wäre. Abgesehen davon, seien wir ehrlich, verzichten die meisten der Um-die-30-Jährigen doch freiwillig auf durchtanzte Nächte, ob mit oder ohne Trauschein, schließlich ist es mit dem Liebsten auf dem Sofa einfach so gemütlich. Pflegen wir also ein leeres, irgendwie verlogenes Ritual - und machen uns noch dazu zum Affen?

Der JGA: aus der westlichen Popkultur nicht mehr wegzudenken

Wahrscheinlich hätte ich es nicht auf fünf Junggesellinnenabschiede gebracht, wenn das wirklich alles wäre. Zunächst einmal steckt in so einem Abend durchaus ein Stück Emanzipationsgeschichte. Männer begehen diesen Brauch schon ziemlich lange: Unter den Labels "Stag Night" (Hirsch-Nacht), "Bachelor Party" (Junggesellen-Party) oder "Bucks Night" (Rammler-Nacht) feierten sie in Großbritannien und den USA schon Anfang des 20. Jahrhunderts rauschende Feste, um ein letztes Mal die Freiheit eines unverheirateten Mannes auszukosten. Bräute durften damals höchstens eine "Bridal Shower" veranstalten, eine Art brave Frauenzusammenkunft bei Kaffee und Kuchen inklusive Mutter und Schwiegermutter. Freiheiten, die man noch ein letztes Mal auskosten muss? Hatten sie praktisch nicht.

Das änderte sich erst mit der Frauenbewegung und der sexuellen Befreiung in den Siebzigern: Endlich begannen auch Frauen, vor der Hochzeit noch mal richtig einen draufzumachen. "Hen Night" (Hühner-Nacht) heißen solche Abende in Großbritannien, "Bachelorette Party" (Junggesellinnen-Feier) in den USA.

Via Hollywood verbreitet sich der Trend seither immer weiter: Auf den Blockbuster "Hangover" über vier Männer in Las Vegas folgten die weiblichen Varianten "Brautalarm" und, gerade diese Woche in den deutschen Kinos gestartet, die schwarze Komödie "Girls' Night Out". Heute ist der "JGA" für Männer wie Frauen aus der westlichen Popkultur nicht mehr wegzudenken.

Wer zuletzt einmal einen Samstag in einer europäischen Großstadt verbracht hat, kennt das Spektakel: Horden von alkoholisierten Frauen, an Kleidung oder Accessoires als Gruppe zu erkennen, belagern da die Fußgängerzonen, in ihrer Mitte die künftige Braut, die je nach Grausamkeit ihrer Freundinnen einen Bauchladen, einen Schleier oder ein Marienkäferkostüm tragen muss.

Tagsüber terrorisieren die Grüppchen die Innenstädte und verticken ihren Bauchladen-Inhalt, abends geht es weiter in den Restaurants und Clubs der Stadt. Dort treffen sie dann auf ihre männlichen Äquivalente: Horden von alkoholisierten Männern, in ihrer Mitte ein künftiger Bräutigam, der je nach Grausamkeit seiner Kumpels einen Bauchladen, ein Hasenkostüm oder eine Penisattrappe tragen muss.

Die Bauchladen-Nummer ist der Klassiker. Es gibt auch elegantere Varianten: Ich bin schon biertrinkend über den Bodensee gepaddelt, habe per Boot die Müggelspree erkundet oder musste mich im Allgäu durch Schluchten kämpfen. Eine Freundin hat bei einem Junggesellinnenabschied Porzellan bemalt, eine andere einen Tango-Kurs gemacht. Und in Prag macht uns Lena mit kreisenden Hüften vor, was sie bei ihrem letzten JGA gelernt hat: Lapdance.

Das Besiegeln einer gemeinsamen Jugend

Der Fantasie der Trauzeuginnen sind so gut wie keine Grenzen gesetzt. Doch es gibt ein paar Merkmale, die fast jeden Junggesellinnenabschied kennzeichnen - egal, wie sehr man versucht, sich vom Trash-Image des Klassikers abzuheben: Zu angenehm darf es für die Braut nicht sein, ein wenig Exzess ist gut, und ein bisschen deftig darf es schon zugehen. Das Porzellanmalen etwa fand unter gehörigem Alkoholeinfluss statt, und nach der Bodensee-Paddeltour hatte die Trauzeugin noch eine Dildo-Fee bestellt, die uns ihre Sexspielzeug-Palette vorstellte.

Die Nacht in Prag ist so gesehen ein Erfolg auf ganzer Linie. "James Dean" heißt die erste Kneipe, wir kommen umsonst rein, weil drinnen Männerüberschuss herrscht. Die Getränke sind schön billig, die Musik ist tanzbar und der Nachschub an flirtwilligen Junggesellen praktisch endlos. Es ist sieben Uhr früh und taghell, als wir durch die Altstadtgassen nach Hause lärmen. Ich verdränge in dieser Nacht einfach, wie sehr die Prager unter dem Junggesellen-Tourismus leiden müssen. Oder dass sich Bar- und Restaurantbetreiber in anderen Städten nicht mehr anders zu helfen wissen, als betrunkenen Horden wie uns den Zutritt zu verweigern. "Aus einem letzten Aufbäumen vor der Ehe ist eine Olympiade der Peinlichkeiten, der Aggression und der Zerstörungswut geworden", heißt es zum Beispiel in einem Manifest von 15 Wirten aus Regensburg, die Junggesellenabschiede nicht mehr dulden.

Neunziger-Hits, Cuba Libre, Feiern bis zum Morgengrauen

Nein, das ist nicht schön. Und ja, eigentlich müsste man diesen Quatsch sein lassen. Aber eben nur eigentlich. Ein Junggesellinnenabschied hat nun mal seinen ganz eigenen Charme (sofern sich der schlechte Geschmack in Grenzen hält). Wie oft gelingt es schon, die über die Welt verteilten Freundinnen am selben Ort zur selben Zeit zu versammeln? Ohne den Druck eines Hochzeitsrituals wohl nie. Junggesellinnenabschiede können deshalb wunderbare Freundschafts-Updates sein, unabhängig von neuen Lebenslagen oder Partnern.

Und: Sie sind wirklich kleine Abschiede. Allerdings nicht von irgendwelchen vorehelichen Freiheiten - das behaupten nur noch spätpubertäre Männer, die einen Vorwand suchen, um eine Stripperin zu bestellen. Ich habe die Junggesellinnenabschiede alter Freundinnen wie das Besiegeln einer gemeinsamen Jugend erlebt. Neunziger-Hits, Cuba Libre, Feiern bis zum Morgengrauen: alles Dinge, die eher zu meiner Vergangenheit als zu meiner Gegenwart gehören. Es ist schön, in vertrauter Gesellschaft noch mal zurückzukehren.

Und am nächsten Tag wieder im Hier und Jetzt zu landen: Nach einem langen Frühstück lassen wir uns durch Prag treiben, essen Trdelník, die typischen Striezel, mühen uns die Burg hinauf und stolpern in ein Salsa-Festival unter freiem Himmel. Vereint in glücklicher Übermüdung bedauern wir die Männergruppen, die ihre jeweiligen Bräutigame im Kostüm über die Karlsbrücke jagen, wie einen Hund am Halsband führen oder sie zwingen, in Unterhose Salsa zu tanzen. Alles müssen wir den Jungs wirklich nicht nachmachen.

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