Süddeutsche Zeitung

Junggesellenabschied:Party statt Poltern

Frauen verkaufen Küsse, Männer verkleiden sich als Häftlinge: Immer mehr Menschen verzichten auf den Polterabend und lassen es lieber auf einem Junggesellenabschied krachen.

Frauen, die inmitten einer Gruppe angetrunkener Freundinnen Küsse an Passanten verkaufen, oder Männergruppen, in deren Mitte jemand in Häftlingskleidung einen Holzklotz hinter sich her schleift - derartige Szenen sieht man in deutschen Städten immer häufiger.

Während sich solche feucht-fröhlichen Junggesellenabschiede zunehmender Beliebtheit erfreuen, gerät die Tradition des Polterabends in Vergessenheit: Nur noch selten kommt es vor, dass in Wohngebieten als Vorbereitung einer Hochzeit Porzellan auf der Straße zertrümmert wird.

Bei den Junggesellenabschieden können ein letztes Mal vor der Ehe Tabus gebrochen werden. Doch das sorgt auch für Unmut: In Bamberg beispielsweise hat sich bereits der Stadtrat mit dem Thema beschäftigt, weil sich Passanten und Touristen über die meist mit viel Alkohol verbundenen Junggesellenabschiede beschwert hatten.

Für viele junge Brautpaare gehört der Junggesellen- und Junggesellinnenabschied inzwischen selbstverständlich zum Programm vor der Hochzeit. Gleichzeitig verschwindet die Tradition des Polterabends, bei dem Dorfgemeinschaft und Jugendfreunde vor der Hochzeit mit Scherben böse Geister vertreiben sollen.

Der Polterabend verliere gemeinsam mit der Bedeutung der Hochzeit seine Funktion als Übergangsritual, erklärt der Bonner Volkskunde-Forscher Gunther Hirschfelder das Phänomen. Heute heirate man im Zweifel mehrmals im Leben, und die Hochzeit markiere keinen klaren Schnitt mehr. Die meisten Paare lebten bereits zusammen, für sie ändere sich mit der Heirat häufig nur noch der Rechtsstatus - für den Alltag sei sie also oft irrelevant.

Event löst Tradition ab

Außerdem passe der Polterabend nicht mehr in die heutige Szene-Gesellschaft, sagt Hirschfelder. Er gehöre in eine traditionelle Gesellschaft, in der jeder eine klare Rolle zu spielen habe. Früher habe die soziale Norm in der Dorfgemeinschaft die Veranstaltung von Polterabenden quasi verlangt. Heute gebe es keine solche Gemeinschaft oder Normen mehr, Menschen gehörten vielen verschiedenen Szenen an: dem Freundeskreis, dem Elternhaus, den Studienkommilitonen oder Arbeitskollegen.

"Es heißt immer öfter: Heute abend gehe ich aufs Punkkonzert, morgen früh singe ich dann im Kirchenchor", sagt Hirschfelder. In anderen Kulturen seien Festtraditionen zur Hochzeit aber immer noch quasi Zwangsinstrumente. So würden sich in Indien beispielsweise viele junge Paare anlässlich der Heirat hoch verschulden.

Im Gegensatz zum Polterabend sei der Junggesellenabschied kein Brauch, der an ein klassisch normierendes System gebunden sei: "Der Junggesellenabschied ist ein Partytermin von vielen." Damit passe er in den aktuellen Trend, in dem neue Formen der Event- und Partykultur entstünden. Es seien auch andere neue Traditionen entstanden: Zum Beispiel die Feier von hohen runden Geburtstagen oder zur Abiturverleihung.

Junggesellenabschied als Orientierungssuch

Obwohl der Junggesellenabschied aus dem englischsprachigen Raum stammt, würde Hirschfelder ihn nicht als Kulturimport bezeichnen. Dazu fehle eine Kontinuität der Form, der Funktion und der sozialen Trägergruppe - es gebe lediglich eine Anlasskontinuität. Der Gestaltungsspielraum sei zu groß, um von Kulturimport zu sprechen.

Wegen eines schnellen kulturellen Wandels und der damit verbundenen Orientierungslosigkeit hätten sich die Menschen zwar medial am Junggesellenabschied aus dem englischsprachigen Raum orientiert. In der Umsetzung seien sie aber sehr frei. Auch sei der Junggesellenabschied kulturell noch nicht stark eingraviert.

Dass der Junggesellenabschied sich in Deutschland immer mehr durchsetzt, deutet jedoch für den Volkskundler darauf hin, dass es weiterhin einen grundsätzlichen Wunsch gibt, Übergänge rituell zu gestalten. Er glaube daher nicht, dass der Polterabend als Brauch abgeschafft werde, sagt Hirschfelde:. "Bräuche gehen nicht verloren, sie entwickelten sich". Im Gegensatz zu Traditionen wie Weihnachts- oder Hochzeitsfeiern entwickelten sie sich parallel zu unserer Gesellschaft.

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