Süddeutsche Zeitung

Jugendliche und Sexualität:Voll Porno

Viele Jugendliche sehen auf Pornoportalen im Netz härteste sexuelle Handlungen, bevor sie selbst ihre Erfahrungen sammeln. Das geht nicht spurlos an ihnen vorüber.

Von Thorsten Schmitz

Als Daniel zum ersten Mal die Internetseite "Youporn" aufruft, hört er sein Herz klopfen, so aufgeregt ist er. Er passt einen Moment ab, in dem er alleine zu Hause ist und sicher sein kann, dass niemand ihn überrascht.

Den Namen der Website hatte er auf dem Schulklo gelesen, das Wort stand unter der Zeichnung einer nackten Frau mit gespreizten Beinen. Daniel klickt sich an diesem Nachmittag durch Filme, in denen Frauen mit mehreren Männern gleichzeitig Sex haben, er starrt auf Brüste und riesige männliche Geschlechtsteile, er spürt, wie ihn die Filme erregen. Daniel ist an diesem Nachmittag im Kinderzimmer seiner Hamburger Wohnung gerade mal zwölf Jahre alt. Heute verflucht er diesen Tag.

Seit es das Internet gibt, gibt es einen viel größeren Markt für Pornografie als zuvor. Das ist nicht neu. Pornografische Seiten zählen im Internet zu den meist aufgerufenen - nur reden darüber, das tun die wenigsten. Auch das ist bekannt. Doch immer lauter werden die Rufe von Sexualwissenschaftlern, Erziehern und Eltern. Sie sprechen von einer "Generation Porno", wenn sie von Jungen und Mädchen berichten, die längst härteste sexuelle Handlungen im Internet gesehen haben, bevor sie selbst das erste Mal sexuelle Erfahrungen sammeln.

Was macht das mit den Kindern? Der Berliner Sexualwissenschaftler Klaus Beier von der Charité sagt: "Es wäre naiv zu glauben, dass das Betrachten von Pornofilmen keine Spuren hinterlässt. Die Handlungen darin werden im Gehirn kopiert und abgespeichert." Und die Hamburger Sexologin und Filmemacherin Ann-Marlene Henning berichtet von verstörenden Fragen jugendlicher Schüler in ihren Aufklärungsworkshops: "Frau Henning, ist es normal, dass ein Achtjähriger ficken will?" Die Sexologin sagt: "Bei solchen Fragen weiß ich schon, was die gesehen haben."

Was die Übersexualisierung in der Jugend anrichten kann, erlebt Beier jeden Tag in seiner Ambulanz: Immer mehr junge Männer suchen ihn auf und berichten, dass sie seit Jahren exzessiv Pornofilme anschauen und dazu onanieren. Beier sieht hierin auch Ursachen für Beziehungsunfähigkeiten, denn Pornofilme suggerierten ein unrealistisches Weltbild, dem die Realität nie standhalten könne. Mehrere neue Studien aus Kalifornien und aus Europa belegen nun auch, dass exzessiver Pornokonsum zu Depressionen, Aggressionen und sogar zu Erektionsstörungen führen kann.

Daniel hat jahrelang unter seiner zunehmenden Sucht gelitten. Wenn die Freunde sich zum Kicken oder fürs Schwimmbad verabredet haben, hat er sich in sein Zimmer zurückgezogen und Internetpornos angeschaut. Seine Eltern wurden immer verzweifelter. "Verabrede dich doch, geh raus", rieten sie ihm. "Ihr nervt!" antwortete Daniel.

Fünf Jahre lang brauchte Daniel, um von seiner Sucht loszukommen. Eine Therapeutin hat ihm dabei geholfen, aber auch eine Internetseite für Pornosüchtige, auf der sich junge (und ältere) Männer Tipps geben, wie sie den Teufelskreis durchbrechen können.

Heute schaut Daniel keine Pornos mehr, die Sperre in seinem Laptop hat er dennoch vorsichtshalber aktiviert gelassen. Erst letztens gab es wieder einen Moment, da drohte ihm ein Rückfall, als er eigentlich nur online eine Fußballhose kaufen wollte.

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