Süddeutsche Zeitung

Kolumne "Die Altersweisen":Wie viele Freunde sollte man haben?

Junge und alte Menschen haben oft eine andere Sicht auf das Leben. Jede Woche stellen wir ihnen eine Frage.

Protokolle von Niko Kappel

Karlo, 86

"Früher hatte ich viele Freunde. In meiner Klasse, später in der Wasserballmannschaft und dann an der Universität. Damals dachte ich, mehr ist immer besser. Viele Freunde sind toll. Es ist wichtig, sein Leben zu teilen. Aber heute glaube ich, dass man in seinem Leben nur einen wirklich guten Freund braucht. Mein bester Freund war mein Mitbewohner an der Universität. Ich bin im ehemaligen Jugoslawien geboren und habe in Belgrad studiert. Wir hatten eine tolle Zeit. Wir erzählten uns alles. Wenn ich zurückschaue, dann war da nichts Vergleichbares. Eine Person, bei der du offen sein kannst, die dich nicht verurteilt. Mit der du Spaß hast, mit der du lachen und weinen kannst. Irgendwann heiratete ich und bekam Kinder. Mein bester Freund war auch in dieser aufregenden Zeit immer für mich da. Ich habe sogar meinen Sohn nach ihm benannt. In unserem Land ging es damals wirtschaftlich bergab. Der Nationalismus kam auf. Meine Frau und ich beschlossen deshalb, mit den Kindern nach Deutschland zu gehen. Das hat mir mein bester Freund nie verziehen. Er verabschiedete sich nicht mal von uns, so sauer war er, dass ich ihn verlasse. Wir haben danach noch einige Male telefoniert. Er ist inzwischen seit 20 Jahren tot. Ich bin dankbar, dass ich ihn kennen durfte. Unsere Freundschaft war etwas ganz Besonderes. Aber heute muss ich sagen: Familie ist wichtiger als Freundschaft. Sie hat bei mir alles überdauert. Auch die schlimmsten Krisen."

Charlie, 11

"Insgesamt habe ich so etwa 15 Freunde. Aber beste Freunde? Das sind bei mir vier Freundinnen. Beste Freunde sind Leute, denen man vertrauen und alles erzählen kann. Ich grenze da schon ab. Über manche Dinge kann man mit Eltern halt nicht so gut reden, da ist es wichtig, gute Freunde zu haben. Zum Beispiel, wenn man Stress in der Schule hat. Für mich sind die besten Freunde die, mit denen ich richtig Spaß habe. Bei denen ich mich nicht verstellen muss. Am liebsten lache ich mit meinen Freundinnen. Ich merke immer, wie gut wir befreundet sind, wenn wir über etwas lachen, was niemand sonst witzig findet. Andere Leute sind dann genervt, aber wir haben eine gute Zeit. Wenn man beste Freunde hat, braucht man gar nicht so viele, finde ich. Natürlich hatte ich auch schon mal Stress mit meinen besten Freundinnen. Gerade da war ich froh, dass das nicht nur eine Person ist. Aber wenn wir mal Streit haben, dann geht das eigentlich nie lange. Einmal haben wir sogar vergessen, warum wir uns gestritten haben. Da haben wir irgendwann gesagt: Ach komm, so wichtig kann es ja nicht gewesen sein."

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