Joseph von Nazareth:Kochen, füttern, Windeln wechseln

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Brei kochen war für Joseph von Nazareth kein Problem, wie das Glasbild für den Halberstädter Dom von 1400 zeigt. (Foto: Sammlung Pötzl)

War Joseph von Nazareth der erste Hausmann der Weltgeschichte? Volkskundler Walter Pötzl hat herausgefunden, dass der Ziehvater Jesu bereits im Mittelalter ziemlich modern gesehen wurde.

Von Rudolf Neumaier

Ob und wie ein Mann zum Vater taugt, erweist sich erst nach der Geburt. Stichhaltige Indizien liefern schon die ersten Tage: Kümmert er sich um Mutter, Kind und Haushalt? Wie stellt er sich mit den Windeln an? Oder seilt er sich ab? Jahrhundertelang kam es den wenigsten Männern in den Sinn, das Kind zu wickeln oder Babybrei zuzubereiten. Männer machten Geld und Politik, Frauen den Rest - so war es schon in der Bibel. Umso mehr überrascht das Bild, das sich die Menschen im Mittelalter von Joseph machten. In ihren Augen legte er in den Tagen nach der Geburt, als es im Stall von Bethlehem drunter und drüber ging, außergewöhnliche Qualitäten als Hausmann an den Tag.

Ob sich Joseph von Nazareth für Politik interessierte, lässt sich schwer sagen. Wie wohl die meisten Galiläer wird er sich manchmal über die römischen Besatzer aufgeregt haben, vor allem über Herodes, den Statthalter, der als angeblicher Initiator eines Massakers an Kindern ins Matthäus-Evangelium einging. Die Bibel berichtet zwar, dass Joseph recht lebhafte Träume hatte: Bisweilen erschienen ihm Engel im Schlaf, das erste Mal, als er sich zum Hahnrei degradiert fühlte. Doch sie überliefert kein einziges wörtliches Zitat von ihm. Joseph bleibt stumm. Umso erstaunlicher ist, was ihm im Lauf der Jahrtausende angedichtet und von wem er als Vorbild vereinnahmt wurde - von Arbeiter- und Schützenvereinen, von Hörgeschädigten-Einrichtungen und Mädchenrealschulen, von Kirchenkritikern und Klerikern.

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Die schönsten Josephs-Deutungen aber stammen aus dem Spätmittelalter von Künstlern. Man kann sie insofern als Höhepunkte der Josephs-Rezeption bezeichnen, als der Mann von da an ziemlich phantasielos inszeniert wird, nämlich als Komparse, so tumb oft, dass die Funzel der Laterne in seiner Hand völlig überflüssig wirkt neben der alles überstrahlenden Gloriole des Kindes. Walter Pötzl, emeritierter Professor für Volkskunde in Eichstätt, hat knapp zweihundert gotische Weihnachtsbilder analysiert und herausgefunden, dass der Vater Jesu vor sieben- bis fünfhundert Jahren eine sehr moderne Rolle spielte. Als Hausmann. Im Stall von Bethlehem.

Herrje, Maria, jetzt ist mir die Milch zerronnen. Fast wäre mir der Brei verbrannt!

Walter Pötzl hat das Attribut "heilig" im Titel seiner Geschichte über "Die Aktivitäten des (heiligen) Joseph im gotischen Weihnachtsbild" bewusst in Klammern gesetzt. Joseph wurde in der fraglichen Zeit weder als Heiliger noch als Held verehrt. Legendär war er trotzdem.

Aus der Antike waren neben den Evangelien christliche Geschichten tradiert, die Joseph als vergleichsweise pragmatisch schilderten. In solchen Legenden kommen Hebammen vor, denen der Kindsvater zur Hand ging, indem er Wasser zum Waschen der Windeln kochte. Immer wieder wird in diesen Geschichten die Jungfrauengeburt beschworen: Eine Hebamme namens Salome zum Beispiel soll daran gezweifelt und die Wöchnerin eigenhändig untersucht haben, woraufhin ihr die Hand verdörrte und erst wieder zu gebrauchen war, nachdem sie das Kind berührt hatte. Solche Fantasy-Geschichten, die das Christentum nun mal auch ausmachen, lässt Walter Pötzl diskret in die Fußnoten seines Aufsatzes fließen, der das Bayerische Jahrbuch für Volkskunde 2014 krönt.

Nehmen wir mal an, dass die mittelalterlichen Sakralkünstler Joseph für den idealen Mann hielten. Dann war auch das, was sie ihm zuschrieben, absolut vorbildlich. Auf einem Relief des Ulmer Münsters bringt er der Hebamme warmes Wasser, um das Baby zu baden. Ebenso auf dem Klarenaltar des Kölner Domes und des Hohenfurther Altars. Auf anderen Weihnachtsbildern reicht Joseph den in Windeln gewickelten Säugling der Mutter, als sei es nach einem kleinen Spaziergang in den Armen des Vaters Zeit für die Brust. Warum soll es sich vor zweitausend Jahren und vor sechshundert Jahren anders abgespielt haben als heute?

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(Foto: Sammlung Pötzl)

Joseph kocht: Das Glasbild für den Halberstädter Dom entstand um das Jahr 1400.

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(Foto: Sammlung Pötzl)

Joseph hilft der Hebamme beim Zubereiten des Bades: der Hohenfurther Altar aus dem Jahr 1350.

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(Foto: Sammlung Pötzl)

Joseph schläft: Das Altar-Detail aus Tirol zeigt die nackte Maria - ein Beispiel für den unbeschwerten Umgang mit Nacktheit im Mittelalter.

Auf den gotischen Bildern wirken die Akteure im Stall unverkrampft und lebensecht, im Gegensatz zu vielen Darstellungen von Jesu Geburt, die danach kamen. Auf einem Wiener Tafelbild aus dem 15. Jahrhundert unterhält sich Joseph am Zaun angeregt mit einem Hirten, während Maria ihr Kind anbetet. Ein Kärntner Fresko zeigt ihn, wie er Eier und eine Gans anschleppt. In einigen Bildern, von denen Pötzl berichtet, erinnert Joseph stark an die heutigen Männer, wenn sie sich mühen, einen Grill zum Glühen zu bringen: Er facht mal mit dem Blasebalg, mal mit der Kraft seiner Lunge das Feuer an. Oft brennt es aber schon, und Joseph kocht - oder er serviert das Produkt seiner Arbeit. Meistens ist es Brei.

Im Stundenbuch der Katharina von Kleve, etwa aus dem Jahr 1430, hat Walter Pötzl eine aus heutiger Sicht extrem authentische Szene gefunden: Maria stillt im Sitzen den Buben, während Joseph die Breischüssel auslöffelt. Ob er wohl nach der Vorstellung des Buchmalers auch die Nabelschnur durchtrennt hatte? Ein paar Seiten weiter spielt Jesus im Laufstall, während Maria webt und Joseph Holz bearbeitet. Das Motiv des tollpatschigen Hausmanns könnte bei der Breilöffel-Szene allerdings ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Pötzl hat auch Krippenspiele ausgewertet, in einem klagt Joseph: "O mei Maria! Iaz is ma d' Milli zrunna; War ma bal s' Müasel mitsamt'n Pfanndel vobrunna!" Das heißt übersetzt: Herrje, Maria, jetzt ist mir die Milch zerronnen, fast wären mir der Brei und die Pfanne verbrannt.

Die Krippengestalter im 16. Jahrhundert hatten weniger Humor

Auf jeden Fall sahen die Künstler der Gotik das biblische Treiben mit mehr Humor als all die Gestalter von Krippen, die erst im 16. Jahrhundert durch die katholische Volkserziehung der Jesuiten in Mode kamen. Im Nordportal des Freiburger Münsters zeigt ein Glasfenster etwa aus dem Jahr 1320 Joseph, wie er dem Ochsen einen Hieb mit dem Krückstock versetzt, weil der Ochs, der alte Scherzbold, das Kind an der Windel schnappt. Daneben zeugen einige Darstellungen davon, wie selbstverständlich und unbelastet Nacktheit im Mittelalter war: Maria liegt nackt im Wochenbett, das nackte Kind neben ihr - ein in späteren, prüderen Zeiten undenkbares, ja geradezu blasphemisches Motiv.

Wer Joseph von Nazareth wie auch immer deutet, stützt sich auf denkbar vage Indizien. Am freundlichsten tritt diese biblische Figur zweifellos in den gotischen Bildern auf. Doch schon hier gibt es Ideologen unter den Künstlern, die Joseph als Raffzahn darstellen, der den Heiligen Drei Königen ihre Gaben gierig aus der Hand reißt - ein antisemitisches Motiv. Es wirkt infam und genauso abwegig wie der Vorstoß von Papst Pius XI., der Joseph zum ersten und obersten Antikommunisten erklärte. Den Kampf "der katholischen Kirche gegen den atheistischen Weltkommunismus" stellte der Pontifex im März 1937 "unter den Schutz des mächtigen Schirmherrn der Kirche, des heiligen Joseph". Die Bibel erwähnt beiläufig, Joseph sei Zimmermann gewesen. Nicht mehr, nicht weniger.

© SZ vom 29.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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