Süddeutsche Zeitung

Joschka Fischer:Mit Verlaub, Sie haben lässige Schuhe!

Bei seinem Abschied hat sich Joschka Fischer als letzten Rock 'n' Roller der deutschen Politik bezeichnet. Dieses Image verdankt er auch seinen Turnschuhen.

Kathrin Haimerl

Zugegeben, ein Modehighlight ist es nicht gerade, als Joschka Fischer am 12. Dezember 1985 zu seiner Amtsvereidigung erscheint. Er wird erster grüner Minister in der hessischen Landesregierung. Dazu trägt er ein graues, altmodisch gemustertes Hemd, darüber ein ausgebeultes Tweed-Sacko. Seine Haare sind etwas zu lang, die Jeans ist etwas zu kurz. Aber darauf achtet in dem Moment sowieso niemand. Denn während der Vereidigung starren alle nur auf seine Schuhe. Diese knallweißen Turnschuhe. Scheinbar ein modischer Fehltritt: aber er wird Politikgeschichte schreiben damit.

Der Widerstandsschuh

Fischer ist nicht nur der erste grüne Minister in Hessen, er ist auch der erste Politiker, der sich in weißen Tennisschuhen der Marke Nike vereidigen lässt. Und auch wenn es nicht so wirkt: Die Kombi ist sorgfältig zusammengestellt. Die Schuhe hat er ganz bewusst ausgesucht, er hat sie sich eigens für den Anlass besorgt. Danach trägt er sie kein einziges Mal wieder. Sie landen im Museum.

Wie bedeutsam dieser Moment weniger für die Karriere des Turnschuhs, sondern vor allem für Fischer selbst ist, ahnt der Meister der Selbstinszenierung bereits zu diesem Zeitpunkt. In sein politisches Tagebuch schreibt er: "Ich nehme die Umwelt kaum noch wahr, jetzt nicht stolpern, jetzt bloß keinen Versprecher oder Aussetzer! Also aufstehen, gemessenen Schrittes die wenigen Stufen hoch, dann der Eid, ohne Versprecher."

Die Turnschuhe sind für ihn ein Zeichen des Widerstands, der Provokation. 1985 haben sie noch eine klare politische Botschaft. Sie sind ein Nachhall der Studenten- und Protestbewegung der 68er. Dem Muff der schwarzen Anzüge im Parlament wird der lederne Geruch des neuen Ami-Schuhs entgegengesetzt.

Zwei Jahre zuvor, als die Grünen im März 1983 in den Bundestag einziehen, bekommen sie von den etablierten Parteien scharfen Gegenwind zu spüren. Ein CSU-Politiker fordert eine Änderung der Geschäftsordnung, damit "diese Typen" wenigstens "nicht ohne Krawatten im Parlament herumsitzen" - von Turnschuhen sagt er nichts. Doch Fischer sitzt weiter ohne Krawatte im Bundestag. Und am 23. Juni 1983 steht er bei einer Bundestagsdebatte zur Lage der Nation gar mit Sonnenbrille am Rednerpult.

Im Oktober 1984 kommt es im Zusammenhang mit der Flick-Affäre zu Protest und Krawall im Hohen Haus. Fischer wird des Saals verwiesen. Und verlässt mit einem "Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch" den Plenarsaal. Auf dem Weg nach draußen blitzt zwischen den Stuhlreihen etwas weiß auf: Fischer trägt auch hier - Turnschuhe.

Lesen Sie auf Seite 2, wie der Turnschuh zum Mainstream wird

Es scheint, als wäre Fischers Rebellenimage unmittelbar an diese Schuhe geknüpft. Denn die Zeiten ändern sich. Die Grünen werden von der Antipartei zur etablierten Partei, regieren in immer mehr Bundesländern.

Und auch der Turnschuh zum Business-Anzug entwickelt sich zum Mainstream: Heute tragen Designer und Kreativdirektoren sie zu allen Anlässen - Marc Jacobs sogar zur eigenen Hochzeit. Der Turnschuh ist schick, solange man damit ein Statement abgibt: So wie Emanuele Della Valle, Kreativdirektor der Modemarke Hogan, der seine Liebe zum Sneaker damit begründet, dass dieser der demokratischste aller Schuhe sei. Oder Apple-CEO Steve Jobs, der seine Person betont lässig in schwarzen Rollkragenpullis und Turnschuhen präsentiert.

Turnschuhe und Tennissocken als Statussymbol

Richard Branson, der Rock 'n' Roller der Wirtschaft, dagegen macht Shorts, Tennissocken und Sportschuhe zum neuen Statussymbol der Oberklasse. So stellt man neuerdings seinen Reichtum zur Schau. Schlampige Lässigkeit muss man sich eben leisten können.

Nur die staatsmännische Ebene konnte der Turnschuh bislang nicht wirklich erobern. Das hat sich auch Fischer nicht getraut: Als er Außenminister wird, tauscht er die weißen Sneaker gegen schwarze Klassiker. Auf dem internationalen Parkett läuft es sich scheinbar besser mit glatten Sohlen.

Während Fischers Turnschuhe als Laufschuhe den Rückzug ins Private feiern, bleibt der Trend zu den Sneakers in der Politik ungebrochen. Die provokative Wirkung haben die Schuhe dabei längst verloren. Sogar Günther Beckstein präsentiert sich im Jahr 2007 bei seiner Ernennung zum Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten in Laufschuhen. Sie sind ein Geschenk der CSU-Fraktion - ein Symbol für den bevorstehenden Wahlkampfmarathon.

In Deutschland hat der Turnschuh seinen Lauf in die Mitte der Gesellschaft längst beendet. An anderen Orten aber taugt er noch zum Eklat. In der Türkei etwa hat der Turnschuh weiter eine provokative politische Aussage: Die Gruppe "Junge Zivilisten", eine Gruppe junger Leute, die das Bekenntnis zur Demokratie eint, hat sich den Turnschuh als Symbol gewählt. Nie mehr soll es einen Militärputsch im Land geben, die Nation soll endlich die Militärstiefel abwerfen und gegen den demokratischen Schuh austauschen, so ihre Botschaft.

Das wiederum zeigt: Der Sneaker bringt immer noch Bewegung in die Politik.

Ende der neunziger Jahre kommen die Retro-Sneaker wieder in Mode: Es ist die Zeit der Hip-Hopper, Szenegänger, Skater. Seither kann man die Oldie-Schlappen, sei es in der Ausgabe Adidas, Puma oder Nike, kostengünstig im Internet ersteigern. Wer die echte Vintage-Variante will, sollte auf dem Dachboden stöbern. Die Original-Fischer-Turnschuhe gibt es übrigens im Ledermuseum Offenbach zu bestaunen.

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