Joop entwirft Stützstrümpfe:Presswurst vom Designer

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Stütze wird gesellschaftsfähig: "Wunderkind"-Designer Wolfgang Joop stellt in Berlin eine eigene Kollektion für Kompressionsstrümpfe vor.

Violetta Simon

Der Widerwille gegen Strumpfhosen aus Chemielabors - die Rede ist von Exemplaren aus grobem Strick, nicht von hauchzarten Nylons - ist in der menschlichen Natur verankert. Und zwar von Kindesbeinen an. Wer kennt nicht die Fotos aus frühen Tagen, das eine gequält dreinschauende Dreijährige zeigt, die Beine in einem gerippten Polyesterungetüm, den Zwickel zwischen den Knien.

Dass es der Kompressionsstrumpf nun auf den Laufsteg geschafft hat, kann nur eines bedeuten: Er wird gesellschaftsfähig. Selbst der Kniebereich spaltet sich fachgerecht. (Foto: Foto: dpa)

Die Steigerung solcher Foltererinstrumente sind Kompressionsstrümpfe. Immerhin können die Schläuche aus Flachstrick sich auf einen tieferen Sinn berufen: Sie lindern Schmerzen bei Krampfadern und können Thrombosen verhindern. Dafür sehen die blickdichten Schläuche, deren Braunton nirgendwo in der Natur vorkommt, derart grauenhaft aus, dass sie nur aus einem einzigen Grund getragen werden: weil es die Gesundheit erfordert.

Umso erstaunlicher erscheint es daher, dass Wolfgang Joop die gefürchteten Kompressions-Werkzeuge in seine nächste Frühjahr/Sommer-Kollektion für das Haus Wunderkind integriert. Unter dem Motto "Hurt and Heal" - "Verletze und Heile" präsentierte der Designer auf den Prêt-à-porter-Schauen in Paris neben Osteoporose-Korsetts eine Serie von Stützstrümpfen - kombiniert mit extrabequemen Komfort-Schuhen, verziert mit grafischen Elementen und Strass-Steinen.

Am Dienstagabend will der Modedesigner in Berlin nun eine eigene, neue Modelinie unter dem Namen "mJ-1" vorstellen, die sich gänzlich dem Strumpf widmet.

Das Produkt selbst stammt von dem bayerischen Unternehmen Medi. Der marktführende Hersteller von Gesundheitsbekleidung hatte Joop um Unterstützung gebeten, seine Kompressionsstrümpfe auf den freien Markt zu bringen. Joop gab sich mehr als überzeugt und soll nach Angaben von welt online gefragt haben: "Warum schämen Sie sich für Ihr Haute-Couture-Produkt? Diese Strümpfe sind absoluter Hightech!"

In dem Interview klagte der Designer über gesundheitliche Schäden durch Haltungsfehler und Bewegungsmangel und plädierte für einen offeneren Umgang mit den ungeliebten Strümpfen: "Im Grunde sind Kompressionsstrümpfe wie Zahnspangen, die man mittlerweile auch nicht mehr nur zu Hause trägt: Prophylaxe, Support", sagte Joop.

Dass es der Kompressionsstrumpf nun auf den Laufsteg geschafft hat, kann nur eines bedeuten: Er wird gesellschaftsfähig!

Waren Stützstrümpfe bis vor einem Jahrzehnt noch älteren Damen vorbehalten, werden sie heutzutage zunehmend von Schwangeren getragen - nicht zuletzt deshalb, weil auch deren Alter in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gestiegen ist. Furchteinflößende Bemerkungen besorgter Gynäkologen ("Die Besenreißer an dieser Stelle gefallen mir gar nicht!") bringen Frauen dazu, selbst bei sommerlichen Temperaturen brav in die Kompressionsstrümpfe zu steigen und - mehr oder weniger still - zu leiden.

Doch auch die Generation der Senioren hat sich gewandelt, und die Werbung hat sie als Erste für sich entdeckt. Die "Neuen Alten" sind alles ander als senile Corega-Tabs-Nutzer, die auf Klosterfrau Melissengeist schwören. Sie stellen eine agile, zahlungskräftige Zielgruppe dar, die nicht nur ihre Umgebung in Atem hält, sondern auch immer mehr Trendscouts beschäftigt.

Dieser Entwicklung dürften wir es zu verdanken haben, dass sich die Designer in Zukunft vermehrt den stiefmütterlich vernachlässigten Schwestern der Strickstrumpfhose annehmen werden. Sollten es die Design-Kompressionsstrümpfe, in denen man angeblich nicht einmal mehr schwitzt, in die Kaufhäuser schaffen, wird sich das Erscheinungsbild in den Großsstädten wandeln. Manche von ihnen sehen so chic aus, dass junge Frauen mit gesunden Beinen die flotten Omis und werdenden Mütter fast ein bisschen beneiden werden.

Spricht ja nichts dagegen, dass sie die Strümpfe ebenfalls tragen - solange sie dem Druck gewachsen sind.

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