Haben & Sein:Reifeprüfungen

Lesezeit: 3 Min.

(Foto: Francesco Scavullo)

Zehn Jahre finnischer Whisky, 20 Jahre Kaviar Gauche und ein ganzes Leben von Jil Sander – viel neues Material für gemütliche Herbstabende.

Von Tanja Rest, Silke Wichert, Max Scharnigg

Jil (fast) ganz nah

Auf dem gerade erschienenen Bildband „Jil Sander by Jil Sander“ ist, wenig überraschend, die Designerin selbst zu sehen. Aber obwohl das Porträt von 1980 von Francesco Scavullo mit den getuschten Augen und diesem eindringlichen Blick wirklich altbekannt ist, entwickelt es so stark herangezoomt doch noch mal eine neue Kraft. Das ist ohnehin das gestalterische Konzept dieses Bildbands: ganz nah an die Details gehen, den Blick fast haptisch an ihr imposantes Werk bringen. Als Artdirektorin engagierte Sander die „Königin der Bücher“ Irma Boom, die zu den besten ihres Fachs gehört. Die Texte stammen von der Autorin und Literaturwissenschaftlerin Ingeborg Harms, die Sander schon für ihre Kollektionstexte früher schätzte. Die große deutsche Designerin und ihr Denken in Bezug auf Mode lernt man auf 360 Seiten wirklich hautnah kennen. Die Person Jil Sander hingegen, die vergangenes Jahr ihren 80. Geburtstag feierte, wird auch hier nicht richtig greifbar. Sicher ganz im Sinne der eher scheuen Hamburgerin (Prestel, 100 Euro).

(Foto: Kaviar Gauche)

First we take Berlin, then Manhatten

Mitte der Nullerjahre wurde Berlin als neue Modehauptstadt gefeiert, und das war nicht mal gelogen, sondern wurde wirklich geglaubt und gefühlt. Die erste Fashion Week fand entsprechend mitten am Brandenburger Tor statt, von der legendären Boss-Party in der russischen Botschaft sprechen die, die dabei waren, immer noch mit Wehmut, weil so viel Champagner garantiert nie wieder verschüttet wird, erst recht nicht von der Marke aus Metzingen. Jedenfalls wurde zu dieser Zeit in wirklich jedem Artikel über Berlin das junge Label Kaviar Gauche genannt, das mit einer coolen Halbmond-Tasche namens Lamella und Kleidern, die Heike Makatsch gerne trug, für Aufsehen sorgte. Die Designerinnen Johanna Kühl und Alexandra Fischer-Röhler traf man damals in einem winzigen Atelier in Mitte, das Geld reichte immer gerade so für die nächste Kollektion, aber irgendwie war sofort klar, dass diese beiden es – im Vergleich zu so vielen anderen (Pulver, Lala Berlin, Penkov oder von Wedel & Tiedeken) – schaffen würden. Gute Schnitte, klare Vision, unbedingter Wille zur Selbstausbeutung. Dieses Jahr feiert das Label also tatsächlich 20. Geburtstag, nicht nur, aber auch, weil sie neben der Prét-a-porter früh eine Marktlücke für sich entdeckten: Hochzeitskleider jenseits von klassischer Brautmode. Neben fließenden Entwürfen gab es von Kaviar Gauche endlich auch coole Hochzeitsanzüge und Looks, die zwar weiß waren, aber nicht sofort „Prinzessin!“ schrien. Seit Jahren schon sind sie eine absolute Instanz auf ihrem Gebiet mit Läden in Berlin und München. Diese Wochen haben sie ihre neueste „Bridal Couture“-Entwürfe sogar in New York präsentiert und die Lamella Bag ist zum großen Jubiläum auch zurück. Rückblickend lässt sich sagen: ziemlich weit gebracht (kaviargauche.com)

(Foto: Stefanie Freynschlag/kollektiv fischka)

Wegwerfen verboten

Es ist schon gespenstisch, wie schnell das Thema Nachhaltigkeit nach ein paar bemühten Saisons wieder aus der Mode verschwunden ist. Gut, Stella McCartneys Kleidung ist weiterhin vegan, Marine Serre, Duran Lantink und ein paar wenige andere betreiben Upcycling auf allerhöchstem Niveau. Aber sonst? Ist es in der Mode genauso wie in der Gesellschaft insgesamt: Reparatur des Planeten muss leider warten, wir haben hier gerade ein paar andere Probleme. Umso besser und wichtiger, dass im Wiener Museumsquartier auch in diesem Jahr das re:pair Festival steigt. Die dritte Ausgabe der in ihrer Programmdichte europaweit einmaligen Veranstaltung deckt das ganze Spektrum nachhaltigen, ethisch und ökologisch korrekten Konsums ab: 120 Veranstaltungen insgesamt, Theorie genauso wie praktische Anleitung. Schwerpunkte sind die Fast Fashion mit ihrem klimagefährdenden CO₂-Ausstoß sowie erstmals auch Fast Furniture. Kurzlebige Möbel, so ist es leider, liebe Ikea-Freunde, werden nämlich ebenfalls immer stärker zur Belastung für Klima und Ökosystem. Unter anderem zeigt eine Ausstellung, wie stark sich das Innenleben von Polstermöbeln verändert hat: Während ein Sessel im 19. Jahrhundert noch problemlos repariert werden konnte, dominiert in Zeiten von Sperrholz, Schaum- und Klebstoffen das Wegwerfprinzip. Noch bis zum 27. Oktober, das komplette Programm ist unter repair-festival.wien abrufbar.

(Foto: Kyrö)

Warm werden

Seit zehn Jahren gibt es die Kyrö Destillerie, die sich ganz der Aufgabe verschrieben hat, finnischen Whisky auf ein internationales Level zu heben. Zur Feier des Jubiläums legten die unerschrockenen Brenner aus dem Städtchen Isokyrö jetzt eine besondere Edition vor: Sauna Stories No.1 – den ersten Whisky, der in einer Sauna reifte. Der Roggenmalz-Whisky wurde dafür in ehemaligen Rumfässern in einer extra gebauten Sauna gelagert und dort schonend auf bis zu 50 Grad erwärmt. Der ungewöhnliche Vorgang soll laut Kyrö den Whisky atmen lassen und besondere Aromen aus den Holzfässern lösen. Das Ergebnis ist laut ersten Verkostungsnotizen ein spürbar entspannter Whisky, mit Anklängen von Vanille und jamaikanischen Früchten, die ein Erbe des Rums sind. „Es ist für uns nur logisch, Whisky auf eine Weise zu kreieren, die unsere kulturellen Wurzeln widerspiegelt. Da Finnland kaum eine Whisky-Vergangenheit hat, sehen wir es als unsere Chance, echte Pionierarbeit zu leisten“, so der leitende Destillateur Kalle Valkonen. Klassische Single-Malt-Hardliner dürften von diesem Experiment natürlich entsetzt sein, für aufgeschlossene Genießer könnte der Sauna-Whisky aber ein gutes Geschenk abgeben – das auch ohne eigene Sauna warm macht.

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