#JeSuisBruxelles:Ich, einfach untröstlich

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Ein Klick, ein Bild, ein paar Worte: Nach den Anschlägen in Brüssel und Paris haben schnell Tausende im Netz ihre Anteilnahme ausgedrückt. (Foto: Illustration: Marc Herold)

"Je suis... (bitte hier Anlass eintragen)." Im Netz werden Terroranschläge auf solidarisch gemeinte Slogans reduziert. Ist das echtes Mitgefühl oder nur eine Ersatzhandlung?

Von David Pfeifer

Kummer ist nicht verhandelbar, Betroffenheit kann man Menschen weder verordnen noch absprechen. Nur hat sich in den vergangenen Jahren eine neue Form der Traueräußerung etabliert, die, wie so vieles in der zwischenmenschlichen Kommunikation, von sozialen Medien beeinflusst wird.

Als am Dienstag zwei Selbstmordattentate in Brüssel verübt wurden, schwappte bei jedem Menschen, der sich auf Facebook, Twitter oder ähnlichen Diensten herumtrieb, eine Welle der Betroffenheit aus dem Bildschirm in den Alltag. In atemberaubender Geschwindigkeit verbreitete sich die Nachricht - und in kurzer Folge auch die Betroffenheit darüber. Die Ereignisse wurden quasi in Echtzeit kommentiert, manchmal glaubhaft aufrichtig und hilflos, häufig auch dumm und übereifrig. Soziale Netzwerke haben in solchen Momenten eine ungeheure Kraft, da sie das Gefühl herbeisimulieren, man sei als Nutzer beinahe dabei gewesen.

Nur sind hastige Posts für aufrichtige Anteilnahme eher ungeeignet. Sie verflachen das für die Betroffenen unfassbare Ereignis zu einer Online-Kachel, die durch die Timeline rutscht. Die Katastrophe wird zu einer Meldung von vielen, die man zwischen Katzenvideos und Selbstporträts mit einem nach oben gereckten Daumen kommentieren kann.

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Private Gefühlsbekenntnisse ("Oh mein Gott, ich war erst vor zwei Monaten in Brüssel. Ich trauere mit den Menschen vor Ort!") überlagern das echte Ereignis und die Nöte der tatsächlich Betroffenen. Es geht in erster Linie darum, wie man sich selbst bei der Nachricht fühlt. Man kennt das Phänomen von Beerdigungen, wo sich häufig diejenigen untröstlich in Tränen auflösen, die dem Toten nicht so nahe standen. Und die sozialen Netzwerke sind in diesen, wie in fast allen Lebenslagen, eben Brandbeschleuniger für Stimmungslagen.

Manche Nutzer erfinden ihr Leben aufregender, als es in Wahrheit ist

Die charakterliche Deformation, die einige Menschen erleiden, sobald sie sich virtuell präsentieren, ist schon viel belächelt worden. Manche Nutzer erfinden ihr Leben deutlich aufregender, als es in Wahrheit ist. Andere wollen vor allem belegen, wie schnell und gut sie über alles Bescheid wissen. Es gibt diejenigen, die endlich einen Kanal für ihre starken Meinungen gefunden haben. Und solche, die einfach nur Nähe zur Weltgemeinschaft suchen. Dagegen ist nichts einzuwenden, solange es darum geht, die lustige Oscar-Rede als Erster zu kommentieren oder seine Füße an exotischen Urlaubsorten abzulichten und das Bild zu teilen.

Leider werden auf diese Weise aber auch Katastrophen auf schlichte Symbole reduziert, weil die sich in den sozialen Netzwerken am schnellsten begreifen und weiterverteilen lassen.

Der Designer Joachim Roncin bündelte seinen Schrecken nach den Morden in der Charlie-Hebdo-Redaktion in der plakativen Formel "Je suis Charlie" - die Texttafel wurde als Symbol der Betroffenheit immer wieder geteilt und geliked. Die Anschläge in Paris vom November inspirierten den Künstler Jean Jullien dazu, das Friedenszeichen mit einer Skizze des Eiffelturms zu verbinden. 1,4 Millionen Instagram-User mochten und verbreiteten das Bild. Es wurde auf T-Shirts gedruckt und an Hauswände gemalt. Andere färbten zumindest ihr Facebook-Profilfoto in den Farben der Trikolore. So wird Anteilnahme in den Lifestyle eingebunden. Für die Brüsseler Anschläge konkurrierten nun die trauernden Comic-Helden Tim und Struppi und Manneken Pis, der seinen Strahl auf Terroristen richtet, um die stärkere Symbolkraft.

Roncin und Jullien hatten sicher nicht die eigene Berühmtheit im Sinn, als sie ihre Symbole entwarfen, doch in den sozialen Netzwerken sind Likes und Follower nun mal so etwas wie eine Währung. Und die neuen Regeln der Aufmerksamkeitsökonomie befeuern einen Wettbewerb - auch dann, wenn es um Trauer und Entsetzen geht. Wer wird wie schnell und wie laut gehört, geliked, geteilt? Es entsteht ein Markt der Emotionen.

Besonders gut kann man das an Personen ablesen, die diese eigentlich privaten Netzwerke für ihre öffentliche Darstellung nutzen - Politikern. Bescheidwisserreflexe sind bei ihnen quasi berufsbedingt, sie unterliegen dem Zwang, sich zu weltverändernden Ereignissen äußern zu müssen. Gegen acht Uhr begann die Bombenexplosion in Brüssel, und bis elf Uhr hatten sich Peter Altmaier, Katrin Göring-Eckardt, Heiko Maas und andere Politiker bereits mit Solidaritätsadressen gemeldet.

Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime in Deutschland verurteilte die Anschläge in Brüssel in einer Presseerklärung, die er auf Facebook teilte, aufs Schärfste. Er wiederholte dabei wortgleich seine Erklärung nach den Pariser Anschlägen vom 13. November 2015. Wenn man bedenkt, wie schnell eine hastig getippte, persönliche Botschaft nach hinten losgehen kann, wird die Wiederholung aber auch verständlich.

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Die bereits notorische Beatrix von Storch von der AfD provozierte einen Shitstorm mit ihren "Grüßen aus Brüssel", in denen sie twitterte: "Hubschrauber kreisen. Militär rückt an. Sirenen überall. Offenbar viele Tote am Flughafen und am Zentralbahnhof. Hat aber alles nix mit nix zu tun." Da kann man sich nun lange über die widerwärtigen Kausalitäten aufregen, die Storch herzustellen versucht. Doch es funktioniert, denn es kämpfen eben alle auf diesem Emotionsmarkt um Aufmerksamkeit.

Mittlerweile gibt es sogar einen Begriff für die zwanghaften kollektiven Beileidsäußerungen: "R.I.P.-Storms", abgeleitet von der englischen Formel für "Ruhe in Frieden". Hier verbindet sich der Abkürzungszwang der Millennials ("OMG", "LOL") mit der schwer erträglichen Marotte, ohne Not englische Begriffe in die Rede einzustreuen, um sich irgendwie weltläufig zu geben.

Virtuelle Trauer unterscheide sich ganz fundamental von der im echten Leben

Einfach nur "R.I.P." über eine Todesnachricht zu posten wirkt denk- und fast schon empathiefaul. Es ist Anteilnahme, auf die wirklich Betroffene verzichten können. Am vergangenen Mittwoch sah sich die Katholische Nachrichten-Agentur dazu aufgefordert, in einer Meldung darauf hinzuweisen, dass sich virtuelle Trauer ganz fundamental von der im echten Leben unterscheidet. Auf Twitter kursierten da längst die Hashtags #JeSuisBruxelles und #PrayForBelgium.

Der Kultur- und Religionspsychologe Lars Allolio-Näcke hält solche Beileidsbekundungen für eine "Entlastungsstrategie". Die Menschen spürten "eine Ohnmacht, dass sie nichts machen können", sagt er. Deswegen sei die Trauerarbeit im Internet durchaus nützlich. Es entstehe dadurch ein Gefühl kollektiver Anteilnahme - auch wenn es häufig die echte Partizipation ersetze. Denn natürlich dienen "R.I.P."-Storms bei Katastrophen nicht dazu, sich über Ursachen und Folgen der Ereignisse Gedanken zu machen, sondern schüren vor allem Angst. Vor dem Bildschirm bleiben die Nutzer in einer Blase, in der die schrecklichen Ereignisse immer wieder nachgeklickt werden.

Die meisten Menschen erinnern sich noch sehr genau, wo sie waren, als sie die Nachricht vom Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 erfahren haben. Wer bei ihnen war, womit sie sich gerade beschäftigten. Fragt man die Menschen in einigen Jahren, wo sie waren, als die Nachricht über die Bomben in Brüssel sie erreichte, wird die Antwort wohl häufig lauten: online.

© SZ vom 26.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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