Süddeutsche Zeitung

Monarchie:Es ist ein Mädchen!

Japan diskutiert über die Möglichkeit, künftig auch mal eine Frau auf den Kaiserthron zu setzen - wieder. Die Bevölkerung ist wohl größtenteils für den Wandel - die Politik ist gespaltener.

Von Thomas Hahn

Im Winter vor 14 Jahren lag eine Atmosphäre der Hoffnungslosigkeit über der konservativen Elite Japans. Denn die Kaiserfamilie war vom Aussterben bedroht. Immer noch wartete sie auf einen neugeborenen Sohn, der eines Tages als Tenno, als oberster Shinto-Priester und Symbol des Staates, den Chrysanthementhron in Tokio besteigen könnte. Kronprinz Naruhito, der ältere Sohn des Kaisers Akihito, und seine Frau, Prinzessin Masako, hatten 2001 endlich ihr erstes Kind bekommen: Aiko, ein Mädchen. Aber das brachte für die Erbfolge nichts, weil die Gesetze des Hofamtes keine Kaiserin erlauben - und mittlerweile war Masako weit über 40.

Seit 1965, seit der Geburt von Naruhitos jüngerem Bruder Fumihito, war kein Junge mehr ins Kaiserhaus geboren worden. So groß war die Verzweiflung, dass Premierminister Junichiro Koizumi eine unerhörte Reform des Hofes ankündigte: die Abschaffung des Frauenverbots in der Erbfolge. Für Japans Nationalisten war das eine Art Weltuntergang.

Die Reform ist dann nicht gekommen. Wenige Wochen nachdem Koizumi sie angekündigt hatte, wurde bekannt, dass Fumihitos Frau, Prinzessin Kiko, damals 39, zwölf Jahre nach der Geburt ihrer jüngeren Tochter wieder schwanger sei. Jubelnde Schlagzeilen schmückten die Boulevardzeitungen, als am 6. September 2006 tatsächlich ein Sohn zur Welt kam: Hisahito. Ein künftiger Kaiser. Ein Wunder. Japans Nationalisten fühlten sich von den Göttern bestätigt.

Die Situation setzt die Kaiserfamilie enorm unter Druck

Aber die Debatte um Frauen auf dem Thron ist aktuell geblieben. Gleichstellung gehört nun mal zum Zeitgeist, auch in Japans Machogesellschaft, die schon deshalb nicht auf starke Frauen verzichten kann, weil sie Überalterung und Arbeitskräftemangel plagen. Dass sich die älteste Erbmonarchie der Welt von Wunder zu Wunder hangelt, finden viele auch keinen guten Zustand. Und erst recht nicht, dass ein Bub von 13 Jahren die Last der Erbfolge praktisch allein schultern muss. Akihito, 86, hat im vergangenen Jahr abgedankt, Naruhito, 59, ist jetzt Kaiser. Fumihito, auch Kronprinz Akishino genannt, ist sein legitimer Nachfolger. Im April wird er in einer Zeremonie als solcher ausgerufen. Aber Fumihito ist 54. Allen ist klar: Nur Hisahito kann derzeit das Aussterben der japanischen Erbmonarchie verhindern.

Nach Fumihitos Kronprinzenzeremonie dürfte die Regierung von Premierminister Shinzō Abe deshalb bald einen konkreten Plan für die Zukunft des Kaiserhauses vorlegen. Seit geraumer Zeit beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe mit dem Thema, befragt Fachleute und lotet die Möglichkeiten aus. Im Frühjahr sollen diese Befragungen abgeschlossen sein, dann wird eine Experten-Kommission über die Ergebnisse befinden. Gut möglich, dass sie sich für ein Ende des Frauen-Tabus ausspricht. "Die Diskussionen sollen in einer ruhigen Atmosphäre stattfinden", sagt Shinzō Abe in der Japan Times. Er beharrt nicht ohne Grund auf einem sachlichen Ton. Im vergangenen Oktober hat eine Umfrage der Nachrichtenagentur Kyodo zwar gezeigt, dass 81,9 Prozent der Japanerinnen und Japaner eine Frau auf dem Thron befürworten. Aber gerade in Abes Regierungspartei LDP, die unter seiner Führung weiter nach rechts gerückt ist, sind weiterhin viele strikt dagegen. Lieber wollen sie frühere Mitglieder der Kaiserfamilie, die nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Status verloren, wieder eingliedern.

Acht regierende Kaiserinnen hat es gegeben

Japans Kaisergeschlecht blickt auf eine sehr lange Geschichte zurück. Sie beginnt 660 vor Christus mit Jimmu, dem ersten Kaiser, der nach dem japanischen Gründungsmythos ein direkter Verwandter der Sonnengöttin Amaterasu war; Naruhito ist nach offizieller Zählung der 126. Tenno. Lange war die Nachwuchsfrage kein Problem für die Familie. Denn sie war groß, umfasste mehrere Nebenlinien, außerdem durfte der Kaiser Beziehungen zu Konkubinen haben, aus denen auch der eine oder andere Thronfolger entsprang. Und: Söhne wie Töchter der männlichen Linie konnten den Thron besteigen. Acht regierende Kaiserinnen hat es zwischen 593 und 1771 gegeben, ehe das neue Hofamtsgesetz von 1889 Frauen auf dem Thron untersagte. Vor allem die Anhänger des damaligen machthungrigen Kaiserreiches Japan beharren heute auf der rein männlichen Thronfolge - dabei ist die Tradition von Frauen im Amt viel älter.

Die aktuellen Gesetze setzen die Mitglieder der kaiserlichen Familie enorm unter Druck. Naruhitos Frau Masako hat das wohl am heftigsten gespürt. Als sie 1999 zum ersten Mal schwanger wurde, begleiteten Medienvertreter so gut wie jede Fahrt zum nächsten Arzttermin. Es folgte eine Fehlgeburt. Später wurde Masako krank. "Stressinduzierte Anpassungsstörung", lautete die veröffentlichte Diagnose. Und der Stress kam eindeutig nicht nur von den Medien. 2004 sagte Naruhito mit Blick auf das Hofamt: "Es gab Entwicklungen, die Masakos Karriere und ihre Persönlichkeit verleugnet haben."

Als Kaiser darf Naruhito öffentlich keine Position beziehen, deshalb ist nicht bekannt, ob er für oder gegen Frauen auf dem Thron ist. Möglicherweise würde er seiner Tochter Aiko das Amt gerne ersparen. Aber er gilt beim Thema Gleichstellung als fortschrittlich. Außerdem gab es einen bedenklichen Vorfall in der Mittelschule der Ochanomizu-Universität, auf die Prinz Hisahito geht. Im vergangenen April brach ein Mann in die Schule ein und platzierte zwei Küchenmesser auf Hisahitos Schulbank. Der Mann wurde verhaftet. Die Polizei sagt, er sei ein Kritiker des Kaiserhauses und habe Hisahito erstechen wollen. Der Prozess läuft, der Angeklagte hat gestanden. Und jeder dürfte erkennen, wie gefährlich es ist, wenn das Schicksal eines Kaisergeschlechts am Leben eines einzigen Jungen hängt.

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SZ vom 22.02.2020
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