70 Jahre Hermès:Tuch der Tücher

Der Foulard von Hermès feiert 70 seidene Jahre: Eine Hommage an die Quadratur der Eleganz.

Birgit Weidinger

Seidentücher, foulards, englisch scarves, sind schmeichelnde Objekte nicht nur erotischer Sehnsüchte. Sie sind Extras, Bonbons für Alltag und Freizeit, für Kunst und Kultur, für alle, die sich seidigen Luxus leisten können oder ihn als Streicheleinheit unentbehrlich empfinden: Kostbar und teuer sind diese Accessoires, im wörtlichen wie im übertragenen Sinn.

Hermès Foulard

Das schmeichelnde Erfolgsprodukt wird von allerlei Prominenz getragen und trägt selbst den stolzen Preis von 325 Euro.

(Foto: Foto: Hermès)

Ganz oben auf der Rangliste der Begehrlichkeiten steht der Name Hermès, Synomym für das Edelexemplar der Gattung Tuch, oft kopiert, nie erreicht. Findigen Fabrikanten ist die Entstehung und Produktion zu verdanken, Mitarbeitern der erfolgreichen Firma Hermès, ansässig in der noblen Pariser Rue du Faubourg Saint Honoré Nr.24.

Begonnen hat die Tuchmacher-Geschichte im deutschen Krefeld. Das war der Geburtsort von Thierry Hermès, Sohn einer Familie, die wegen ihres hugenottischen Glaubens Frankreich verlassen musste. 1837 ließ sich Thierry als Sattlermeister in Paris nieder, eröffnete ein Geschäft für Sattel- und Zaumzeug. Emile-Maurice Hermès, sein Nachfolger, zog in die Rue du Faubourg Saint Honoré um und erweiterte, dem Trend der Zeit entsprechend, die Produktion, nahm Reisetaschen, Sportbekleidung, Börsen, Gürtel , Schmuck, Uhren ins Sortiment. Edle Materialien und exakte Verarbeitung bis ins kleinste Detail machten das Haus Hermès berühmt und zum Treffpunkt einschlägig interessierter, finanzkräftiger Kunden.

Heute ist Hermès eine Holding, zu vier Fünfteln weiterhin im Familienbesitz. Auch die Aktienmehrheit gehört der Familie. Der Firmenname hat übrigens nichts mit dem griechischen Götterboten zu tun, auch wenn die Produktpalette manchem göttlich erscheinen mag - die Familie heißt so.

Die Queen trägt es, ebenso wie Madonna

1937 brachte Hermès eines seiner begehrtesten und lukrativsten Produkte auf den Markt: das Hermès-Seidentuch, 90 mal 90 cm. In den folgenden Jahrzehnten wird das Viereck zu einem Erkennungszeichen feiner Kreise, man hat es, so wie man andere "Musts" hat, das Landhaus, den Jagdhund. Nachempfunden sind die Carrés den Schals, die früher die Soldaten Napoleons trugen. 900 Motive sind mittlerweile entstanden, mit denen eine "illustratorische Meisterschaft" erreicht wurde, wie es ein Fan einmal, unnachahmlich schwärmend, ausgedrückt hat.

Die englische Königin Elisabeth braucht ihr Hermès ebenso wie Madonna, wie Helen Mirren als "Queen" oder Miranda Priestley in Lauren Weisbergers Buch "Der Teufel trägt Prada". 1956 benutzt Grace Kelly, die spätere Fürstin von Monaco, ein Hermèstuch als Schlinge für ihren gebrochenen Arm. Audrey Hepburn und Marilyn Monroe und viele andere haben ihr Carré, wenn sie schlecht frisiert waren, oder sowieso, dekorativ um den Kopf gewickelt.

Das schmeichelnde Erfolgsprodukt (Preis ab 325 Euro) ist pars pro toto, sein Renommee profitiert auch von der Qualität der gesamten Kollektion. Zum Beispiel der Taschen: Kelly-Bag und Birkin-Bag sind die Vorzeigemodelle von Hermès. Die schwangere Fürstin Gracia Patricia, soll, um sich die neugierige Reportermeute vom Leib zu halten, immer mal wieder ihre große Handtasche als Schutzschild benutzt haben. Dieses ihr Lieblingsmodell war in den dreißiger Jahren ursprünglich als geräumige Satteltasche entstanden. 1935 hatte Emile Hermès die Idee, das voluminöse Behältnis auf das Format einer Damentasche zu verkleinern - es entstand "le petit sac haut à courroies", die "kleine Tasche mit Trageriemen". Die Kelly-Bags erleben zur Zeit einen Boom, deshalb wurden zusätzliche Modelle entworfen. Die Preise erreichen stattliche Höhen, betragen bei Standardmodellen je nach Ausstattung 4000 bis 5000 Euro.

Die Schauspielerin Jane Birkin hatte Platzprobleme. 1984, während eines Fluges, schüttete sie den Inhalt ihrer zu kleinen Handtasche dem damaligen Vorstandsvorsitzenden von Hermès, der zufällig neben ihr saß, in den Schoß. Das führte zur Kreation eines geräumigeren Modells, genannt Birkin-Bag. Auch hier gilt: Die Preise erreichen stattliche Höhen, je nach Austattung mindestens 3560 Euro, Kroko-Birkin ab 12 000 Euro.

Von Tuch und Tasche zum modischen Outfit: Hermès hat sich seit den achtziger Jahren auch auf Prêt-à-porter spezialisiert. Unter der Ägide von Jean Paul Gaultier erhielten die Designs einen besonderen Kick. In der kommenden Wintersaison dominiert der Marlon-Brando-Look: breitkrempige Kappen, Lederjacken aus Krokodilhaut oder Leder-Trenchcoats. In diesem Dress starten die Motorrad-Ladys ihre Harley-Davidson, superluxuriös bis hin zur neuen Kelly-Bag, die eine Pelzstulpe ziert - zum Händewärmen.

Tuch der Tücher

Ein Must-have der 40er Jahre

Tuch, Tasche, Outfit - da wären noch die Schuhe: Schuhe von John Lobb, der traditionsreichen Firma, die seit 1973 auch zu Hermès gehört und die natürlich die besten Schuhe der Welt herstellt. Bleiben - last but not least - die Parfums: 1961 kam "Calèche" für die Dame, 1970 folgte "Equipage" für den Herrn - beide duften weltweit erfolgreich. So kann sich die Halstuch-Kundin bei Hermès Wünsche von Kopf bis Fuß erfüllen. Dabei sehen sich die Hersteller edler Produkte nicht als Luxusfabrikanten, sondern als Handwerker, die von Hand Spitzenprodukte herstellen. Hermès-Stücke sind nicht teuer, sie sind - es lebe der feine Unterschied - kostspielig, sagt die Firma, der Preis wird geprägt von Art und Design des Modells, der Verarbeitung, der Arbeitszeit, den Stoffen.

Mit sinnlichen Stoffen die Haut streicheln, das will die Firma, wie sie schwärmend annonciert. Sinnlich wirken sollen auch die kostbaren Seidentücher: Sie sind gar Thema einer empirischen Untersuchung über die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Frauen im Management geworden. In dieser Studie aus dem Jahr 1991 befassen sich die Autorinnen auch mit der Kleiderfrage im Hinblick darauf, ob sich Frauen ihr Frausein bis zu einem gewissen Grad abgewöhnen müssen, wenn sie Karriere machen wollen. Zitat: "Insgesamt fiel uns bei fast allen Interviewpartnerinnen auf, dass für Frauen hinsichtlich der Kleidung ein gleich hoher Uniformierungsgrad wie für Männer existiert.

Das sachliche Kostüm scheint als Pendant zum männlichen Anzug ein Muß zu sein. In den Farben herrschen blau, braun, grau und schwarz vor - zum Teil mit Nadelstreifen. Das weiße Oberhemd mit dem Schlips als Farbtupfer beim Manager wird bei der Frau durch die helle Bluse mit Seidentuch ersetzt. Dieses Tuch scheint einziger Ausdruck von individuellen Vorlieben in der Kleidung zu sein, hier sind alle Farben und Muster erlaubt." So stellen wir uns also eine karrierebewusste, finanziell gut ausgestattete Twentysomething vor, die zur Betonung ihrer Individualität ein Hermèstuch wählt. Damit wirkt sie im doppelten Sinn gut betucht. (Zusätzlich mag es sie bei ihrer Wahl noch bestärken, dass das Wort "betucht" vom jiddischen "betuch" stammt und ,,sicher, vertrauenswürdig'' bedeutet.)

Beständige Qualität garantiert die traditionell sorgfältige Herstellung der Carrés. Nach ganz bestimmten Kriterien werden die Seiden ausgesucht, Motiv und Farbgebung entschieden und der Druck ausgeführt. Nach verschiedenen Bearbeitungsprozessen und einem sorgfältigen Druckverfahren wird das fertige Tuch einer endgültigen Inspektion unterzogen. Dann gefaltet, in säurefreies Papier gewickelt und in die typische orangefarbene quadratische Schachtel verpackt. Alle Tücher sind natürlich handbedruckt, die Säume von Hand eingefasst, pro Jahr gibt es zwei Kollektionen, dazu kommen die Nachdrucke älterer Modelle. Das moderne Hermès-Tuch wiegt etwa 65 Gramm und wird aus besonders dichter Seide gewebt, -"la soie d'Hermès" heißt die Qualität im Fachjargon. Eines der berühmtesten Motive ist das "Bride de Gala"-Design, edles Zaumzeug, in pastellige Farben gebettet; erstmals 1970 produziert, über 70 000 Mal verkauft.

Und wie steht es mit Fälschungen der begehrten Objekte? Es gibt im Internet lange Instruktionen, die genau belegen, was echt ist. Zum Beispiel, wie das echte Calèche Logo von Hermès aussieht, wie die Signatur, wie das Größenverhältnis von Verpackungskarton und Tuch, wie die Schreibweise des accent d'aigu gehandhabt wird, oder dass auf den Original-Etiketten niemals der Schriftzug "Reine Seide/Seta" erscheint...

"Mir reicht es jetzt, dass mein Pferd besser angezogen ist als ich", soll vor Zeiten eine Hermès-Kundin moniert haben - doch längst ist die Firma vom Pferd auf Damen und Herren zu Pferd und ohne Pferd gekommen; Sättel werden übrigens weiterhin hergestellt. Man bedient auch junge modische Trendsetterinnen, die das traditionelle Seidentuch attraktiv finden, zu Jeans knallige und originelle Farben und Motive wählen. Außerdem scheint die Geschäftsphilosophie von Hermès sicher zu wissen, dass die Reichen nicht aussterben werden. Und die weniger Betuchten? Die können eine Menge reduzierter Angebote bei Ebay nutzen, mit genauen Angaben über Entstehungsjahr und Zustand der Tücher. Und es gibt solide Hermèstücher-Versandgeschäfte mit günstigen Offerten.

In diesem Jahr feiert das Carré 70. Geburtstag, dazu wird eine Jubiläumsausgabe in den Maßen 70 mal 70 cm präsentiert, aus knitterfester Seide, speziell konzipiert für Jugendliche und Reisende. "Bonne fête" also und "joyeux anniversaire": Im 70-mal-70-Seidenviereck für Kopf, Hals, Hüfte, Schulter, Taille und zärtliche Stunden feiert die Kundin mit! Übrigens: 2006 verzeichnete die Firma auf dem Sektor Seiden und Textilien einen Zuwachs von sieben Prozent mit einem starken Aufwärtstrend im vierten Quartal. Der Gesamtumsatz verteilte sich, wie es in distinguiertem Deutsch heißt, "harmonisch", auf die Märkte Asien, Amerika und Europa. Er betrug im vorigen Jahr 1510 Millionen Euro - wahrhaft schmeichelhaft fürs Firmen-Portemonnaie und -renommee. Die Tuchmacher aus Krefeld können zufrieden sein.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: