150 Jahre Deutscher Schützenbund:Im Schützengraben

Der organisierte Schießsport in Deutschland feiert sein 150-jähriges Bestehen, mit Posaunen und Böllerschüssen. Die Schützenvereine stehen für Brauchtum und Sport - doch ihre Kritiker sehen dort ein tödliches Risiko.

Lena Jakat

Der Tod - ein Knochenmann mit wallendem Umhang - liegt auf einer Anhöhe in Deckung, das Gewehr im Anschlag. Er zielt ins Tal, auf Bürger, Bauern und Könige, die ihrerseits auf Goldstücke schießen, die vom Himmel baumeln. Die bemalte Gedenkscheibe aus Holz stammt von 1919. An den unteren Rand hat der Künstler "Nur einer ist in der Welt der nicht schießt nach dem eitlem Gelt" geschrieben. Vermutlich wollte er die Sportschützen damit an die Endlichkeit ihres Daseins erinnern. Gegner des Schießsports könnten das Gemälde ganz anders interpretieren - frei nach ihrem Leitspruch "Sportwaffen sind Mordwaffen".

Böller-Salut für München

Böllerschützen gehören zu Volksfesten wie Bier und Brezen. Kritiker sehen im Schießsport jedoch ein vermeidbares Risiko.

(Foto: dpa)

Seit Donnerstag feiert der organisierte Schießsport im thüringischen Gotha vier Tage lang sein 150-jähriges Bestehen - mit einem großen Bundeswettbewerb, mit Schützenball und Festspiel. Schützenvereine gibt es in Deutschland freilich schon länger, einige schon viel länger. Seit 1861 haben sie einen gemeinsamen Dachverband, den Deutschen Schützenbund (DSB). Zum großen Jubiläum gibt die Post sogar eine Sonderbriefmarke heraus, ein Staatssekretär hat sich angekündigt, der MDR wird da sein - und natürlich die Schützen selbst, vertreten durch die ältesten Vereine des Sports aus ganz Deutschland.

Im DSB sind 1,5 Millionen Schützen organisiert - nach eigenen Angaben ist der Schützenverband damit der zweitgrößte Sportverband überhaupt. Kein Oktoberfest, das ohne Böllerschüsse, kein Festkalender, der ohne Schützenvereine denkbar wäre. Wie die Trachten- und Heimatvereine gehören sie zu jenem traditionellen Kulturgut, das von der konservativen Politik immer wieder beschworen und von der Tourismusindustrie erfolgreich vermarktet wird.

Doch während andere Vereine dieses Spektrums allenfalls ab und an belächelt werden, geraten die Schützen regelmäßig unter Druck. Kritiker sehen im Sport mit scharfen Waffen eine Gefahr für die Gesellschaft - die vermeidbar wäre.

"Wir sind nicht gegen den Schießsport, sondern gegen ein entscheidendes Detail", sagt Roman Grafe, "das Schießen mit tödlichen Waffen". Schützen sollten ihrem Sport stattdessen mit Laserpistolen und Druckluftgewehren nachgehen. Grafe ist Sprecher der Initiative "Keine Mordwaffen als Sportwaffen". Gemeinsam mit Kollegen gründete der Journalist und Autor die Initiative am Tag des Amoklaufs von Winnenden, am 11. März 2009. "Wir wollten die Politiker zwingen, das Problem nicht wieder auszusitzen und wegzureden", sagt Grafe.

Die alte Holzscheibe mit dem bewaffneten Tod hängt in der Schießstätte der Königlich privilegierten Hauptschützengesellschaft München. Der prächtige Bau im Westen der Landeshauptstadt gleicht mit seinen hohen Decken, der geschmückten Fassade und dem Stuck in den Ecken eher einem Schloss als dem, was sich der Laie unter einem Schützenheim sonst so vorstellt. Die Wände bedecken Dutzende Gedenkscheiben und andere Plaketten, die an die Historie des Vereins erinnern (eine Slideshow über die Königlich privilegierte Hauptschützengesellschaft gibt es hier).

Historie mit Rittern und Prinzen

Sie ist mehr als 600 Jahre alt und man ist hier stolz auf sie: Elmar Schmid, ein schmaler älterer Herr mit weißem Hemd und schwindendem Haar ist der erste Schützenmeister des Vereins. Er weist auf eine Metalltafel: "Das ist der Ritter von Dall'Armi, der Gründer des Oktoberfests." Dann zeigt er auf einen Herrn mit grauem Bart, der finster von einer Holzschreibe herab blickt: "Sein Urururenkel ist heute noch Mitglied bei uns." Und Luitpold Prinz von Bayern habe hier neulich erst seinen 60. Geburtstag gefeiert, erzählt er.

Doch immer wieder wird die lange Tradition der Schützenvereine von der Gegenwart eingeholt. Nach jedem Amoklauf eines Sportschützen, nach jedem Tötungsdelikt mit einer legalen Waffe, scheint es eine Solidarisierungswelle mit den Kritikern des Schießsports zu geben. So war es nach Winnenden, wo der Vater des Amokläufers seine Waffen nicht ausreichend gesichert hatte. So war es in Lörrach, wo eine Rechtsanwältin, die selbst Sportschützin war, im vergangenen Sommer drei Menschen tötete und 18 verletzte.

Politiker und Intellektuelle fordern dann eine Verschärfung des Waffengesetzes, oder eine völlige Abschaffung des privaten Waffenbesitzes. So wie in Großbritannien. Nach dem Schulmassaker von Dunblane, wo 1996 18 Menschen starben, verbot die Regierung in London private Faustfeuerwaffen.

Folgenlose Empörung

Doch so groß das Entsetzen nach jedem Amoklauf ist, so schnell verblasste es meist auch wieder - ohne große politische Konsequenzen.

"Auf die Einsicht der Politiker können wir nicht hoffen, auch nicht auf die Solidarität der Gesellschaft", sagt Grafe. Seine Initiative hat 2010 eine Verfassungsbeschwerde gegen das Waffengesetz eingelegt, das Verfahren läuft. Der 42-Jährige betont, nicht den gesamten Sport kritisieren zu wollen. Er kennt seine Gegner: Auf Seiten der Schützen fällt häufig der Vorwurf des Generalverdachts. Das sei "larmoyantes Gerede", mit dem sie sich zum Opfer stilisieren wollten, sagt er, Teil einer "öden Sportschützen-Propaganda".

Ihm und seinen Mitstreitern geht es um die verheerenden Einzelfälle. "Es sind nur einige, die Gelegenheit hatten zu trainieren und dann zu töten, aber doch zu viele", sagt Grafe. "Diese Minderheit kann aber nur so agieren, weil die Mehrheit nicht auf ihr gefährliches Spielzeug verzichten will."

DSB-Präsident Josef Ambacher hat sich in dieser Problematik schon häufig polternd gegen die Schießsport-Skeptiker zu Wort gemeldet. Bei den Münchner Hauptschützen reagiert man auf die Frage nach dem Image mit routinierter Gegenwehr. Sie lässt sich auf eine kurze Formel bringen: Ordnung und Disziplin.

Elmar Schmid, der erste Schützenmeister mit den vielen kleinen Lachfältchen in den Augenwinkeln, lächelt nicht mehr. Und auch Schmids zweiter Schützenmeister, ein Mann mit gemütlicher Stimme und stattlichem Bauch, wird ziemlich schnell ziemlich ernst. Tötungsdelikte würden oft automatisch dem Schützensport zugerechnet, sagt Kurt Bürgermeister mit einem Seufzen. "Ich habe selbst zwei Kinder. Wenn eines von ihnen labil wäre, sie würden bei mir zu Hause nicht einmal eine Steinschleuder finden." Dann erzählt Bürgermeister von seiner Horrorvision: "Wenn einer durchdreht und sich da am Schießstand die Waffe an den Kopf hält." Das könne man nie völlig verhindern.

"Kein Grau, nur Schwarz und Weiß"

Sein Kollege Schmid weist auf die schmalen weißen Holztüren an der Wand der Schießstätte. "Dahinter sind überall Stahlschränke. Bei uns gibt's kein Grau, nur Schwarz und Weiß." Hier halten sie Ordnung, will er damit sagen. Wenn der Schießsport ein Imageproblem hat, dann zeigt sich das bei den Münchner Hauptschützen nicht. Hier trainieren die Nationalkader aus Singapur und Kuwait, der Verein ist einer der wenigen, der ständig steigende Mitgliederzahlen verzeichnen kann. In einem Glaskasten hängen die Passbilder der Neuzugänge, 600 Mitglieder sind es inzwischen. Allein 80 von ihnen trainieren in der Jugend, ein Nachwuchsproblem kennen sie hier nicht.

"Die lernen bei uns absolute Disziplin", sagt Schmid. Der Rentner setzt in seinem Verein vor allem auf soziale Kontrolle "Ich begrüße hier jeden einzeln und wechsle mit ihm ein paar Worte." Da falle es auf, wenn es irgendwo Probleme gebe. Er erzählt von einem Jugendlichen, der "sehr eifrig beim Schießen war": "Da haben wir gleich die Eltern kommen lassen."

An diesem Sommertag ist es ruhig in den Schießständen. Nur zwei Männer stehen seitlich vor dem Tresen und zielen auf die kleinen Scheiben. Für sie ist es ein Sport wie jeder andere auch, der in dieser Woche in Thüringen lautstark seinen Geburtstag feiert.

Die Feierlichkeiten werden bunte Bilder von fröhlichen Menschen produzieren, von Schützenketten und Musikkapellen. Nur 25 Kilometer vom Erfurter Gutenberg-Gymnasium entfernt.

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