Italien und Berlusconis Erbe:Kosmos der Miezen und Mumien

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Chauvinismus und Eitelkeit über alles: Silvio Berlusconi verordnete seinem Land eine Kulturrevolution aus Botox und Haarfarbe. Über ein Land, das erstarrte wie ein zu stark geliftetes Gesicht.

Birgit Schönau, Rom

Als Silvio Berlusconi am Sonntagabend die Nachrichten einschaltete, muss ihm klar gewesen sein, dass das Ende nahte. Der Nachrichtensprecher sagte ihm: Gabriella hat dich verlassen. Tatsächlich, auch sie. Gabriella Carlucci. Ein Vorzeigeprodukt des Berlusconismus, man könnte auch sagen, das perfekte, wenn auch mit 52 Jahren nicht mehr taufrische Silvio-Girl. Kunstblondmähnig, langbeinig, kurznasig. Hohe Wangenknochen, noch höhere Absätze. Ein erstes Leben als Tanzmariechen und TV-Talkerin, das zweite Leben dann als Abgeordnete. Forza Italia, Pol der Freiheiten, Haus der Freiheit, Freiheitsvolk, die gesamte Geschichte der Berlusconi-Bewegung.

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Selbstverliebt und machtversessen: Italiens Premier saß Sexskandale und Korruptionsvorwürfe aus und überstand seit 2008 mehr als 50 Vertrauensabstimmungen. Jetzt muss er die Macht abgeben. Stationen einer beispiellosen Karriere - voller bizarrer Momente.

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Drei Legislaturperioden auf den Hinterbänken des Parlaments und nur eine Schlagzeile, als Carlucci mit ihrem Porsche gegen die Einbahnstraße fuhr, dabei einen Linienbus rammte, sich davonmachte und das Luxusgefährt vor dem Parlament parkte. Im Halteverbot. "Ich hatte es eilig auf dem Weg zur Arbeit für mein Land", sagte sie. Der Sultan selbst hätte es nicht besser formulieren können.

Noch vor kurzem hatte Gabriella Carlucci geschwärmt: "Die meisten Italiener wollen sein wie Berlusconi. Wer träumt nicht davon, mit 75 Jahren noch so viele Frauen zu haben?" Jetzt trat la Carlucci bei Berlusconi aus und in die christdemokratische UDC ein. Deren Vorsitzender Pier Ferdinando Casini ist ein gut aussehender Mann. Aber er ist, wiewohl knapp 20 Jahre jünger als Berlusconi, eisgrau und färbt sich nicht mal die Haare.

Was wird bleiben vom Berlusconismus, wenn sogar die Polit-Showgirls gehen? Es bleiben die maskenhaft glatten Gesichter, die Ästhetik des Altenterrors. Gesichter, die noch lange Zeit verkünden werden, wie wenig sich in den fast zwei Jahrzehnten Berlusconi bewegt hat. Und wie wenig Italien, einst Sehnsuchtsland der Lebenskünstler, wirklich gelebt hat. Die Gesichter des Berlusconismus sind die sichtbaren Ruinen einer Fernsehdemokratie, in der die billige Fiktion der Realityshows zur Wirklichkeit erhoben wurde. Sie haben ebenso wenig mit dem realen Leben zu tun wie die Nachrichten auf den kontrollierten Sendern.

Was wirklich ist, bestimme ich, das war Berlusconis Botschaft. Schon bei seinem ersten Auftritt als Ministerpräsident 1994 war er stark geschminkt, ein Filter vor der Kamera kaschierte die Falten. Später ließ der Chefredakteur einer seiner Zeitschriften Berlusconis Glatze auf dem Titelbild einfach übermalen. Immer trat der Große Kommunikator lieber im Fernsehen auf als im Parlament - im Studio konnte er nicht nur die eigene Redezeit und die Fragesteller bestimmen, die Beleuchtung war auch besser.

Werbung statt Politik

Die seltenen Parteiversammlungen seines Freiheitsvolks waren stets überspannt von einem Kunsthimmel, der noch blauer war, als es ein echter italienischer Sommerhimmel ohnehin schon sein konnte. Auch zu seinem Parteivolk sprach der Boss am liebsten per Video. Die Forza Italia war von Strategen seiner Werbegesellschaft Publitalia erfunden worden. Und Berlusconi betrieb bis zuletzt Werbung statt Politik. Die Zustimmung für ihn war im freien Fall? "Ich bin der beliebteste Regierungschef Europas!"

Sarkozy und Merkel hatten öffentlich über ihn gelacht? "Sie haben sich später entschuldigt." Die Schuldenkrise beutelt Italien? "Bei uns gibt es keine Krise. Die Restaurants sind voll." Der Unterschied zwischen Slogan und Lüge ist fließend, aber eines war immer klar: Keinesfalls sollte man Berlusconi und den Seinen die Wahrheit am Gesicht ablesen können. Das echte Leben durfte keine Spuren hinterlassen.

Die Alten, die Italien beherrschten, wollten sich und ihr Reich konservieren und schlossen deshalb alles luftdicht ab. Während Zehntausende junge Italiener ihr Land verließen, um nicht ohne Job und eigene Wohnung dazustehen, wollten die Gerontokraten zu Hause die nach ihrem Bild geformten Puppen tanzen lassen. Die jungen Frauen, die Berlusconi zugeführt wurden, suchte ein 80-Jähriger aus, der Fernsehjournalist Emilio Fede. Mittlerweile ist er angeklagt wegen Förderung der Prostitution, aber Fede arbeitet ungerührt weiter als Anchorman von Berlusconis Retequattro.

Täglich führt er seinen Zuschauern ein Italien vor, das mit der Wirklichkeit ebenso wenig gemein hat wie Fedes imposant aufgepolsterte Wangen mit dem Antlitz eines Greises. Fedes Frau erhielt von Berlusconi einen Posten als Senatorin. Zu den Vorwürfen gegen ihren Mann und seinen Chef äußert sie sich nicht. Berlusconi sagt, die Bunga-Bunga-Partys seien "elegante Abendessen" gewesen. Aber er sagt ja auch, die Verfassung sei das Werk von Kommunisten und die Staatsanwälte seien Jakobiner.

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Das Weltbild der Gerontokraten ist von vorgestern. Jahrelang taten sie so, als sei die Berliner Mauer noch nicht gefallen und als gelte es, mit allen Mitteln zu verhindern, dass die Pferde der Kosaken im Brunnen vor der Peterskirche getränkt würden. Antikommunismus und Jugendkult bildeten die tragenden Säulen des Berlusconismus - beides katapultierte den Führer und seine Fangemeinde in ein Italien der fünfziger Jahre zurück, als die heute älteste Bevölkerung Europas noch jung war und ihr Land im Kalten Krieg geopolitisch bedeutend.

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Silvio Berlusconi bezeichnete seine Heimat einst als "Scheißland" und sorgte zuletzt mit einem peinlichen Holocaust-Vergleich für Empörung. Es war nicht das erste Mal, dass der Cavaliere mit peinlichen Sprüchen, seltsamen Ideen oder diplomatischen Patzern Schlagzeilen macht.

über Silvio Berlusconi

Unverdrossen übertrug damals wie heute das Staatsfernsehen den Miss-Italia-Wettbewerb, dessen Erfinder Enzo Mirigliani auch mit über 90 Jahren noch der Fleischbeschau assistierte. Zu Bestzeiten fünf Fernsehabende hintereinander, dazu kam noch die internationale Variante "Miss Italia in der Welt" unter Beteiligung der Auslandsitalienerinnen. Der uralte Mirigliani inmitten junger Schönheiten war ein Emblem des Berlusconi-Fernsehens der Mumien und Miezen.

Aber wer wird denn älter werden? Es geht ewig aufwärts mit uns wie in den fünfziger und sechziger Jahren, das ist das Geheimrezept des Berlusconismus. Er war auch deshalb so erfolgreich, weil er den Italienern vorgaukelte, man könne kollektiv die Augen verschließen vor der Globalisierung und der Tatsache, dass die Welt draußen anders aussieht als die Fernsehshows des Entertainers Mike Bongiorno. "Allegria!" pflegte der zu schreien: Heiterkeit! Es klang wie ein Befehl. Als Bongiorno 85-jährig starb, bekam er ein Staatsbegräbnis, das auf allen Fernsehkanälen übertragen wurde.

Die Allegria des Berlusconismus war schon lange nicht mehr echt. Der Haushalt ist den Kommissären von IWF und EU unterstellt, der Bedeutungsverlust ist so gnadenlos, dass sich auch der Stolz auf die Souveränität leise verabschiedet. Während Berlusconi bei den Kommunalwahlen im Frühling allen Ernstes noch vor der Gefahr kommunistischer "Sowjets" in Mailand und Neapel warnte, bettelten seine Kommissäre bald darauf bei den Chinesen, immerhin den Machthabern des größten kommunistischen Landes der Erde, sie mögen doch italienische Staatsanleihen kaufen. Was die Energieversorgung angeht, ist Italien ohnehin von den Ex-Kommunisten in Russland abhängig, Gaddafi hat sich als Petrollieferant und Alleinunterhalter für Hunderte gemietete italienische Jung-Hostessen ja mittlerweile erledigt.

Bleibt das Botox-Regime der Alltagsästhetik. Das kann man ja nicht einfach per Parlamentsbeschluss abschaffen. Es hat auch mit dem geknickten Selbstbewusstsein eines Volkes zu tun, das sich nicht mehr traut, sich so darzustellen, wie es wirklich ist. Die "Mediendiktatur", vor der Umberto Eco warnte, entpuppte sich als Kult der hohen Jochbeine, der Entenmünder und Silikonbusen. Auf den Dachterrassenpartys in Rom und Neapel war das die Normalität. Eine Normalität, die Berlusconi geschaffen hat. Für die Schwarzbauten, die Italiens wundervolle Landschaften verschandeln, erteilten seine Regierungen immer wieder Amnestie. Bei der Verschandelung der Gesichter gab es kein Pardon.

Geklonte Schönheitsideale

Die First Family machte es vor, wie Italiener auszusehen hatten, Hofberichterstatter überhöhten in den Hochglanzgazetten die Familienmitglieder zu neuen Ikonen. Zwar hat Veronica Lario mittlerweile die Scheidung von Silvio Berlusconi eingereicht. Doch zuvor gerierte sie sich als perfektes Produkt des herrschenden Schönheitskanons, ebenso Silvios älteste Tochter Marina, Chefin des Fininvest-Konzerns. Die "Zarin", wie sie genannt wird, sah dem Vater immer ähnlich. Inzwischen wirkt sie wie sein Klon.

Nur wer auf dem Ticket der Opposition fährt, konnte es sich leisten, im Fernsehen noch Falten zu tragen oder Röcke bis übers Knie. Aber das trauten sich ohnehin die wenigsten. Dass es aber dem unscheinbaren Professor Romano Prodi gleich zwei Mal gelang, den schillernden Berlusconi im Wahlkampf zu besiegen, zeigt, dass die Sehnsucht der Bürger nach Realität unverändert keimte.

Gegen den Terror der dicken Lippe war dennoch kein Kraut gewachsen, das Fernsehen machte den Italienern weis, nur mit einem Plastikgesicht könnten sie gute Bürger sein. Und selbst die blutjungen Freundinnen des Premiers tragen beglückt das Einheitsgesicht mit schmalen Näschen, hochgerutschten Wangen und Schmollmund. Schon 20-Jährige ließen sich korrigieren, um dem Boss zu gefallen. Die Botschaft ist klar: Nur Loser stehen auf Natur. Wer ein dickes Konto und ein eigenes Haus haben will, der muss dafür nicht unbedingt arbeiten. Aber auf jeden Fall an sich arbeiten lassen.

Aus seinen eigenen Diäten, Liftings, Haarverpflanzungen machte der Big Spender keinen Hehl. Er verwies mit Stolz darauf, dass er weder Kosten noch Mühe scheue, um für sein Publikum ansehnlich zu bleiben. Als er einmal mit neuen Haaren den damaligen britischen Premier Tony Blair empfing, band Berlusconi sich zum Sonnenschutz für die zarten Pflänzchen auf seinem Kopf ein Tuch um. Der "Piratenlook" des mächtigsten Mannes Italiens wurde einen Sommer lang Kult. Der Super-Macho gerierte sich dabei als Metrosexueller, der sich pflegt und verschönt wie eine Frau.

Graue Haare und Hängelider bekämpfte er auch in den Reihen seiner Gefolgsmänner, für die wenigen Frauen waren sie sowieso undiskutabel. "Die Linke hat keine schönen Frauen. Die schönen sind alle bei uns", behauptete der Regierungschef, der ein ehemaliges Aktmodell zur Gleichberechtigungsministerin gemacht hatte. Mara Carfagna blockte dann, kaum im Amt, alle Fragen nach ihrer Karriere als Showgirl ab: "Die Vergangenheit existiert nicht mehr."

Wer sich Berlusconis Schönheitsdiktat verweigerte, wurde von ihm massiv angegriffen. Die Oppositionspolitikerin Rosy Bindi etwa war immer wieder Zielscheibe seiner Attacken, weil sie nicht nur kein Blatt vor den Mund nimmt, sondern dazu unbekümmert graue Haare und flache Absätze trägt. "Wie ich sehe, Signora, sind Sie immer noch schöner als intelligent", giftete Berlusconi einmal in einer Talkshow gegen Bindi. Sie gab zurück: "Ich bin eine Frau, die Ihnen nicht zur Verfügung steht." Er setzte bei nächster Gelegenheit vor einer Gruppe Studentinnen nach: "Hier bin ich inmitten schöner Frauen, die tolle Prüfungsergebnisse haben und trotzdem nicht so aussehen wie Rosy Bindi." Die Studentinnen lachten.

Natürlich entspringt der Kult um die bella figura in Italien einer langen Tradition. Schon im alten Rom wurden Haare gefärbt und Falten geglättet, Cäsar legte sich Lorbeer auf die Glatze, Garibaldi wurde mit seinen langen Haaren und der bunten Tracht der erste Popstar der Weltgeschichte. Im vergangenen Jahrhundert wurde dann der virile Glatzkopf Mussolini abgelöst von den grauen Eminenzen der Ersten Republik - Politikern wie Giulio Andreotti, den man sich ebenso wie den Sozialisten Sandro Pertini und selbst den charismatischen Kommunistenführer Enrico Berlinguer problemlos auch im Kardinalsgewand hätte vorstellen können. Sie alle verkörperten ein Land, dessen Kultur bäuerlich-katholisch geprägt war, in dem die Scheidung lange verboten blieb und die mächtigsten Politiker zur Miete wohnten und morgens zu Fuß zur Messe gingen.

Perfekt geschminkt geht die Welt zugrunde

Je stärker die Gesellschaft bröckelt, je unaufhaltsamer Bürgerrechte und Wohlstand zerbröseln, desto straffer werden Bäuche und Gesichter. Das ist die Lehre, die uns der Berlusconismus aus seinem Trümmerland verkündet. Während die Italiener ihre Ersparnisse verbrennen und ihre Staatsverschuldung den Euro wackeln lässt, erlebt das Geschäft mit der Schönheit einen nie gekannten Boom, Berlusconi selbst prahlte, die These von der Verarmung der Mittelschicht sei nur die übliche linke Propaganda, "schließlich geben wir im Jahr zehn Milliarden für Kosmetika aus." Woher diese Zahl kommt, bleibt sein Geheimnis.

Jetzt ist Berlusconi also am Ende, trotz all der Kosmetik und obwohl er doch immer Unsterblichkeit verkündete. Er hinterlässt Ratlosigkeit und Zukunftsangst. Die Party ist vorbei. Statt "Billionaire", wie das Lieblingslokal der Berlusconianer im sardischen Porto Cervo heißt, kommen Sack und Asche. Und der Varietékünstler im Amt des Premierministers wird abgelöst werden von den Bußpredigern der Währungsunion.

Die alten Männer, die Italien regierten, konnten keine Zukunft verheißen und gestalten, weil sie nur damit beschäftigt waren, die Zeit anzuhalten. Sie haben das Land genauso erstarren lassen wie ihre eigenen Gesichter. Dass endlich wieder Bewegung in die Geschichte kommt, ist dringend notwendig. Schon aus ästhetischen Gründen.

© SZ vom 12.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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