Rom und seine Pinien. Wenn sich das Abendlicht auf die Stadt legt, stehen sie wie hingestanzt am Horizont. So scharf wie Scherenschnitte und ganz schwarz. Bei den alten, und es gibt ja jahrhundertealte Exemplare, sind die Kronen so groß, dass man sich unter sie legen möchte. Sollte man aber lieber nicht tun. Auch parken sollte man besser nicht unter den schönen Bäumen. Es geht nämlich gerade die Angst vor der "Killerpinie" um. So nennen sie die Römer tatsächlich: "Pino killer". Oder auch "Pini fascisti", faschistische Pinien, aber dazu gleich. In Rom ist immer alles politisch, auch die Botanik.
Man vergisst ja schnell, dass Rom eine der grünsten Metropolen Europas ist. Der chaotische Verkehr ist daran nicht ganz unschuldig. Doch in kaum einer anderen europäischen Hauptstadt gibt es so viele und so große öffentliche Parks und Gärten wie in Rom. Villa Borghese, Villa Pamphili, Villa Ada - so heißen die drei großen Parks, wahre Lungen im Herzen der Stadt. Früher, als sich Rom die Pflege noch etwas kosten ließ, waren sie eine Wonne, zum Verlieben - und zum Verliebtsein. Ein schöner Teil der römischen Jugend entdeckte die Freuden intimer Zweisamkeit auf den sanften Anhöhen der Villa Borghese, besonders gerne im Auto vorne beim Pincio, so etwas wie der Balkon über der Stadt.
Die Wurzeln der Pinus pinea gehen nicht sehr tief und sind fäulnisanfällig
Nur ist diese Zeit eine Weile her, und von der einst stolzen Stadtgärtnerei ist nur noch wenig übrig geblieben: einige Dutzend Mitarbeiter, mehr nicht. Man sieht es den Villen und Gärten an, sie verwildern. Gäbe es nicht Bürgervereinigungen, die dem Niedergang mit viel Eigeninitiative wehrten, wären sie noch schlimmer dran. Wirklich arg steht es aber um den Baumbestand der Stadt, 330 000 Exemplare insgesamt. Um die Platanen am Tiberufer, die Eichen da und dort. Vor allem aber um die geliebten Pinien. Federico Fellini hatte sie in seinem Film "Roma" gefeiert, der Stadtbarde Antonello Venditti hat sie besungen.
Sie bräuchten dringend mehr Pflege, so es nicht schon zu spät ist. Wo die Pinus pinea, die die Römer seit der Antike in ihr Stadtbild pflanzen, ursprünglich herkommt, ist nicht so klar. Aus Spanien vielleicht oder aus Kreta. Sie ist dürreresistent, das muss sie in diesem mediterranen Klima ja auch sein. Ihre Wurzeln gehen nicht sehr tief und sind fäulnisanfällig. Wenn die Pinie also groß wird, mit Kronen so breit wie halbe Fußballfelder, dann muss sie gestutzt, manchmal auch gestützt werden. Das weiß der Botaniker.
Nur sorgt sich niemand mehr darum. Nun passiert es oft, dass die Bäume bei starken Winden einfach einknicken, zu Dutzenden, und Menschen verletzen, Wagen zerstören. Vor zwei Wochen, als Sturm Burian über die Region zog, gab es im Latium vier Tote - alle erschlagen von Bäumen. "Bei der ganzen ruhmreichen Geschichte, die wir hinter uns haben", schreibt der römische Publizist Pierluigi Battista in der Zeitung Corriere della Sera, "fürchten wir uns jetzt vor jedem Wind, jeder Böe, jedem kleinen Luftzug." Battista sieht darin das traurige Sinnbild für den Zerfall seiner Stadt.
Nun wäre es unfair, alle Schuld Virginia Raggi anzudrehen, der unglücklich regierenden Bürgermeisterin Roms. Auch ihre unmittelbaren Vorgänger erwiesen sich als schlechte Gärtner. Doch seitdem die Cinque Stelle die Stadt verwalten, ist die botanische Verwahrlosung noch gewachsen. Ziemlich exponentiell sogar. Seit fast zwei Jahren wartet man darauf, wem die Stadtverwaltung die Pflege der Bäume neuerdings zuweisen möchte: Die Ausschreibung ist noch immer anhängig. Trotz "Killerpinien".
Und so suchte Raggi nach einem Alibi - etwas unbeholfen, muss man dazu sagen. "Die Bäume Roms", schrieb sie auf Facebook, "stürzen deshalb ein, weil sie in der faschistischen Ära gepflanzt wurden." Man müsse leider viele von ihnen fällen. Sie hätte auch einfach sagen können, dass die Bäume alt sind. Achtzig, neunzig Jahre alt.
Die Altfaschisten von den Fratelli d' Italia waren empört. Fabio Rampelli etwa, immerhin Vizepräsident der italienischen Abgeordnetenkammer, sprach vom "antifaschistischen Delirium" der Bürgermeisterin. "Raggi plant einen radikalen Baumschlag, mir kommt das mehr wie eine ideologische Säuberung vor als eine botanische Maßnahme", sagte er. Darauf fühlte sich auch Alessandra Mussolini gedrängt, sich in die Debatte um die "Pini fascisti" einzuschalten. "Nun soll mein Großvater auch noch an den einstürzenden Bäumen schuld sein?", fragte die Europaparlamentarierin.
Es sind dies nun mal kuriose Zeiten. Zeiten großer, grotesker Verwirrungen. Wenn sich aber das Abendlicht auf die Stadt legt, dann stehen die ganz alten Prachtpinien wieder am Himmel, wie immer, wie hingestanzt. Als Zeugen glorioserer Zeiten.