Inzestvermeidung auf isländisch:"Im Grunde sind wir alle eine große Familie"

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Romantisch wird es auch schon mal in der Bláa Lónið (Blauen Lagune) in der Nähe von Reykjavík. (Foto: AFP)

Kann ich mit dieser attraktiven Frau nach Hause gehen - oder sind wir zu nah verwandt? Bei dieser schwierigen Frage hilft den Isländern Alexander Annas Helgason. Der App-Entwickler über den isländischen Genpool, das Íslendingabók und seinen Vorfahren Egill Skallagrímsson, der mit sieben den ersten Mord beging.

Von Alex Rühle

SZ: Hallo, Herr Helgason. Ich habe ja schon von vielen merkwürdigen Apps gehört. Aber die von Ihnen programmierte Inzestvermeidungs-App schlägt meines Erachtens alle anderen.

Helgason: Warum? Die ist sehr nützlich.

Wie funktioniert die App denn genau?

Nehmen wir mal an, Sie sitzen mit jemanden im Café, den oder die Sie interessant finden. Wenn Sie jetzt überlegen, ob Sie danach noch zu ihr oder ihm . . .

Sagen wir: zu ihr.

Also dann: zu ihr nach Hause gehen, können Sie auf unserer App schauen, wie nah Sie miteinander verwandt sind. Falls Sie dieselben Großeltern haben, geht ein Alarmton los und empfiehlt Ihnen, es bei diesem Cafébesuch zu belassen.

Und jetzt gehen immer alle Isländer abends allein nach Hause?

Das nicht. Aber wir sind ja tatsächlich im Grunde alle eine große Familie.

Na ja, es gibt 320.000 Isländer, ziemlich groß für eine Familie.

Aber wir stammen nahezu alle von wenigen Siedlerfamilien ab. Im Mittelalter kamen ein paar Norweger und Kelten auf diese damals leere Insel. Die blieben seither quasi unter sich. Und wir wurden immer wieder sehr stark dezimiert. Hier brechen ja dauernd Vulkane aus. Zwischendurch waren wir so wenige, dass tatsächlich sehr strenge Inzestgesetze eingeführt werden mussten.

Wo kriegt Ihre App denn die genealogischen Daten her?

Die wird gespeist aus dem Íslendingabók.

Aus dieser Siedlungschronik aus dem Mittelalter?

Nein, das ist eine genealogische Datensammlung, die nur genauso heißt. Das digitale Íslendingabók enthält Informationen über 720.000 Isländer, die seit dem 12. Jahrhundert auf dieser Insel gelebt haben.

Wer sammelt denn 720.000 Lebensgeschichten?

Niemand. Aber die Firma Decode hat zumindest die genetischen Daten aller Isländer gesammelt, um die genetischen Ursachen von Krankheiten zu erforschen. Als Nebenprodukt entstand deren Íslendingabók, das allen Isländern die Möglichkeit gibt, den eigenen Stammbaum bis in die letzten Verästelungen hinein zu erkunden. Und um das Projekt aufs Smartphone zu bringen, wurde ein Wettbewerb für eine witzige App ausgeschrieben, den wir mit unserer Firma Sad Engineer Studio gewonnen haben.

Kann ich mir als Deutscher diese Inzest-App auch besorgen?

Glaube ich eher nicht.

Warum nicht?

Die ist zwar umsonst, aber man kann sie nur runterladen, wenn man eine isländische Sozialversicherungsnummer hat.

Wird die App denn viel runtergeladen?

Und wie! Stammbaumpflege ist eine Art nationales Hobby. Die meisten können tatsächlich ihre Wurzeln sehr weit zurückverfolgen.

Sind Sie selbst auch direkt verwandt mit einem der ersten Siedler?

Natürlich! Ich stamme in der 29. Generation von Egill Skallagrímsson ab. Ein großer Mann, geboren 910. Der hat mit drei Jahren sein erstes Gedicht geschrieben und mit sieben den ersten Mord begangen.

Alexander Annas Helgason stammt von den ersten isländischen Siedlern ab. (Foto: oh)
© SZ vom 12.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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