Interview:Sicherheitssehnsucht

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Viele Menschen haben offenbar keine Sorge mehr, dass der Staat sie ausspioniert, sagen Ulf Buermeyer und Nora Markard. (Foto: Regina Schmeken)

Die Bürgerrechtsjuristen Nora Markard und Ulf Buermeyer über den Abbau der Freiheitsrechte.

Interview von Ferdos Forudastan und Ronen Steinke

Sie sind derzeit die wohl aktivsten Streiter für die Bürgerrechte: Die Hamburger Juraprofessorin Nora Markard, 40, und der Berliner Richter Ulf Buermeyer, 42, führen als Köpfe der "Gesellschaft für Freiheitsrechte" Verfassungsbeschwerden gegen eine ganze Reihe von Sicherheitsgesetzen, vom Bundestrojaner über das BND-Gesetz bis zum bayerischen Polizeigesetz.

SZ: Frau Markard, Herr Buermeyer, sind Sie eigentlich Verteidiger ohne Mandanten?

Nora Markard : Sie meinen, wir hätten zu wenig zu tun? Wieso?

Sie engagieren sich für das Recht der Bürger auf informationelle Selbstbestimmung - also den Schutz ihrer persönlichen Daten. Dabei geben die meisten Menschen jeden Tag im Internet freiwillig ganz viel von sich preis.

Markard: Es stimmt, dass die Sensibilität für den Datenschutz seit Anfang der 1980er-Jahre, als das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zur Volkszählung gefällt hat, kleiner geworden ist. Viel weniger Menschen empfinden es als bedrohlich, wenn der Staat alle möglichen Informationen sammelt und speichert. Trotzdem bleibt es ein Unterschied, ob ich meine Daten freiwillig hergebe - etwa wenn ich im Netz einkaufe oder bei Facebook aktiv bin - oder ob der Staat diese Daten ohne mein Wissen ermittelt.

Ulf Buermeyer: Ich glaube nicht, dass die Menschen aus Überzeugung so freigiebig sind. Viele Bürger empfinden es als mehr oder weniger alternativlos, Google, Facebook und anderen ihre Daten zur Verfügung zu stellen, weil sie andernfalls von etlichen sozialen Interaktionen ausgeschlossen wären. Wenn man etwa nicht googeln würde, könnte man das Internet wesentlich weniger effektiv nutzen.

Das klingt so, als seien die Nutzer für Sie Opfer einer Zwangslage, gegen die sich einfach nichts ausrichten lässt. Dabei muss man etwa bei Facebook doch nicht unbedingt Mitglied sein.

Buermeyer: Das ist eine sehr vordergründige Betrachtung. Es hängt doch stark vom jeweiligen sozialen Umfeld ab, ob man ernsthaft die Möglichkeit hat, auf Facebook, Whatsapp oder Instagram - und damit auf den vielleicht auch beruflich unabdingbaren Austausch mit sehr vielen anderen Menschen - zu verzichten. Daraus würde ich nicht den Schluss ziehen, dass Menschen ihre Privatsphäre nicht schätzen.

Aber die Datensammelei des Staates - die zunehmende Videoüberwachung, die verdachtsunabhängige Speicherung von Telefondaten und sogar von Fingerabdrücken - regt ja auch nicht besonders viele Leute auf. Kann es sein, dass unsere Gesellschaft da abgestumpft ist?

Buermeyer: Ich glaube, man kann sagen, dass das Bedürfnis, Freiheit vor dem Staat zu haben, in den Hintergrund getreten ist. Es hat dem Bedürfnis danach Platz gemacht, Sicherheit durch den Staat zu erlangen. Viele Menschen haben keine Sorge mehr, dass er sie ausspioniert, legitimiert durch die sogenannten Sicherheitsgesetze. Für sie steht im Vordergrund, dass er sie vor allen möglichen tatsächlichen oder vermeintlichen Gefahren schützt. Wir als Anwälte der Freiheitsrechte, die immer wieder in Musterprozessen nach Karlsruhe ziehen, haben da eine große Aufgabe vor uns - vor allem angesichts von Gesetzesvorhaben, in denen Freiheitsrechte eine systematisch geringere Rolle spielen und die nur noch selten eine Diskussion darüber auslösen, ob es verhältnismäßig ist, wie der Staat die Bürger ausspäht, und ob er mit den ganzen Daten nicht auch Missbrauch treiben könnte.

Finden Sie es nicht nachvollziehbar, dass die meisten Menschen sagen, mir ist es wichtig, dass der Staat uns vor Terror oder anderen Gefahren schützt, und dafür sehen wir ihm nach, dass er Daten auch unbescholtener Bürger sammelt?

Markard: Die Frage, was gegen Gefahren hilft, ist wichtig. Aber sie darf nicht die Frage danach verdrängen, ob die gewählten Mittel verhältnismäßig sind. Stärke zeigen, indem man das Grundgesetz ignoriert und sich dann im Zweifel vom Bundesverfassungsgericht wieder einfangen lässt: So sollte ein demokratischer Gesetzgeber nicht agieren - tut er aber leider immer wieder.

Sie streiten unter anderem gegen Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen. Dafür gibt es auf Juristenkongressen Applaus. Aber können Sie nicht verstehen, dass eine Krankenschwester, die nachts um drei alleine von ihrer Schicht heimfahren muss, sagt: Ich bin ziemlich froh, dass es diese Videoüberwachung gibt?

Markard: Wenn jemand sagt, "Ich bin froh, dass es eine Videoüberwachung gibt", dann steht dahinter der Gedanke: " . . . weil niemand da ist, der mich vor einem Angriff schützen würde". Und: "Wenn mir etwas passiert, sieht das vielleicht jemand auf dem Video und kommt mir zu Hilfe." Die Videoüberwachung wird aber gerade als Ersatz für Personal eingesetzt. Wenn ich als Frau angegriffen werde, schützt mich keine Kamera.

Aber vielleicht schreckt sie einen Teil der potenziellen Täter ab.

Buermeyer: Dafür gibt es empirisch keine Belege. Das heißt, es müsste eher eine Diskussion darüber geben, ob diese Maßnahme überhaupt wirksam ist und ob es nicht viel sinnvoller wäre, an öffentlichen Plätzen mehr Personal einzusetzen, das die Menschen besser schützen kann.

Wollen Sie staatliche Überwachung restlos abschaffen?

Buermeyer: Für uns ist entscheidend: Werden beim Sammeln von Daten die Spielregeln eingehalten? Und die Spielregeln unseres Grundgesetzes sind, dass man gute Gründe dafür braucht und es nicht unverhältnismäßig sein darf. Wir sind keine Dogmatiker, die sagen, der Staat hat nie das Recht, Menschen zu überwachen. Man darf aber nicht aus den Augen verlieren, was passieren könnte, wenn es keine Spielregeln gibt und wir es irgendwann mit einem entfesselten Staat zu tun haben. Wir leben zurzeit in der glücklichen Situation, dass die allermeisten Menschen in der Exekutive guten Willens sind. Aber wer weiß, ob das für immer so bleiben wird? Da man sich hier nicht sicher sein kann, ist es wichtig, die Demokratie vorbeugend wetterfest zu machen.

Markard: Indem wir den Klageweg nach Karlsruhe beschreiten, setzen wir quasi da an, wo sich bestimmte Positionen im politischen Diskurs kein Gehör mehr verschaffen können. Gleichzeitig geht es uns aber auch darum, diese juristischen Interventionen als eine Art Bildungsveranstaltung zu nutzen, um anhand der jeweiligen Fälle etwas darüber zu erzählen, worum es bei den Grundrechten geht, was da eigentlich gerade los ist.

Klingt ein bisschen wie: Wir sehen ein, dass wir mit unseren Bürgerrechtsargumenten die großen Massen nicht erreichen, also ziehen wir uns zurück auf unser juristisches Elitenprojekt und streiten mit anderen Juristen.

Markard: Verfassungsrecht ist kein Elitenprojekt. Wir sind eine rechtsstaatlich verfasste Demokratie, wir haben uns gemeinsam diese Verfassung gegeben als Set an Spielregeln. Nicht alle haben die Möglichkeiten, die Einhaltung dieser Spielregeln einzufordern; und ja, nicht alle interessiert das. Aber das kann kein Grund sein, nicht darauf zu achten, ob der Staat die Grundrechte respektiert.

Buermeyer: Außerdem muss man sehen, dass Freiheitsbeeinträchtigungen durch den Staat ja in kommunikativer Konkurrenz zu vielen anderen Sorgen stehen, die Menschen haben. Man muss irgendwie seine Arbeit schaffen, für seine Familie sorgen, seine Kinder heil zum Kindergarten bringen. Die Bewahrung der Grundrechte steht aus völlig nachvollziehbaren Gründen für 98 Prozent der Menschen nicht oben auf der Agenda. Wir als Bürgerrechtsorganisation bemühen uns quasi stellvertretend für andere Menschen, die sich darauf verlassen müssen, dass alles funktioniert.

Wenn Sie vors Bundesverfassungsgericht ziehen, bekommen Sie in der Regel die Antwort: Wir geben euch ein bisschen recht, aber nur ein bisschen - heißt: Der große Rest der von Ihnen kritisierten Überwachungsgesetze bekommt quasi ein Gütesiegel. Noch nie hat Karlsruhe den Sicherheitsbehörden ein Instrument ganz aus der Hand geschlagen.

Markard: Aus gutem Grund hebt das Bundesverfassungsgericht nur sehr selten Gesetze auf. Mit Blick auf die Gewaltenteilung steht Karlsruhe nicht ständig mit der Axt daneben und schlägt alles kurz und klein. Das bedeutet: Wenn wir gegen eine staatliche Maßnahme vor Gericht ziehen, die wir für grundrechtsverletzend halten, dann wird das in der Regel nicht ein komplettes Gesetz zu Fall bringen. Aber vielleicht führt unser Einsatz dazu, dass die Politik zur einer grundrechtsfreundlicheren Interpretation gedrängt wird oder dass die Richter ihr bestimmte Grenzen aufzeigen. Das wäre ein Erfolg.

Buermeyer: Selbst wenn wir einen Fall krachend verlieren sollten, könnte das immerhin mediale Aufmerksamkeit auf ein Problem lenken. Das ist dann hilfreich, um eine politische Debatte über eine nötige Gesetzesänderung in Gang zu bringen.

© SZ vom 04.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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