Interview mit Thomas Fuchsberger:"Alles ist möglich!"

Thomas Fuchsbergers Partnerin lernte schnell, was Diabetes heißt: Nach der ersten gemeinsamen Nacht musste sie erst mal den Notarzt holen. Ein Gespräch über das überraschende Leben mit Diabetes.

Birgit Lutz-Temsch

Thomas Fuchsberger, geboren 1957, erkrankte im Alter von 20 Jahren an Diabetes Typ I. Trotzdem startete der Sohn von Joachim Fuchsberger eine Karriere als Musiker und Komponist. Er veröffentlichte 35 Singles und schrieb die Musik zu mehreren Fernsehserien. Seine Krankheit hält ihn nicht davon ab, um die ganze Welt zu reisen. Seit einigen Jahren engagiert er sich sehr in der Aufklärung über Diabetes. Seine Botschaft: Man kann das Leben auch mit dieser Krankheit genießen. Aus diesem Grund ist von ihm bereits das Buch "Feinschmeckerküche für Diabetiker" erschienen. Jetzt hat er das erste Motivationsbuch für Zuckerkranke geschrieben.

Interview mit Thomas Fuchsberger: Seine Reisen sollen andere motivieren: Diabetiker Thomas Fuchsberger.

Seine Reisen sollen andere motivieren: Diabetiker Thomas Fuchsberger.

(Foto: Foto: Schneiderpress)

sueddeutsche.de: Sie haben gerade das erste Motivationsbuch für Diabetiker geschrieben ...

Thomas Fuchsberger: Ist das nicht unglaublich? Und dabei brauchen gerade Diabetiker jede Menge Motivation. Ich sehe mich nicht als krank, sondern als "bedingt gesund". Alles, was ich machen will, mache ich auch. Aber viele Diabetiker ziehen sich zurück, leben immer vorsichtiger. Und denen sagt keiner: Hört auf zu jammern, bewegt euren Hintern, setzt euch aufs Rad, haut euch nicht permanent vor den Fernseher oder den Computer. Ständig zu sagen: Ich darf dies nicht und das nicht und jenes nicht, ist Quatsch. Wenn man weiß, wie man mit Diabetes umgehen muss und positiv an die Sache herangeht, kann man super leben. Dafür bin ich der beste Beweis.

sueddeutsche.de: Sie starten also den großen Gegenentwurf: Sie sagen nicht, was nicht geht, sondern was geht.

Fuchsberger: Genau. Und es geht so vieles! Schauen Sie mal, wie ich in der Weltgeschichte rumtanze! Jetzt komme ich gerade aus Kambodscha und Laos - das sind nicht gerade Länder, die berühmt dafür sind, dass sie sehr diabetikergeeignet wären. Ich nehme eben meine Utensilien mit und teste dort genauso wie hier. Dann komme ich in Angkor Wat auch nicht in einen Unterzucker. Ich muss nur wissen, dass ich dort weniger spritzen muss, weil es sauheiß ist und sauanstrengend. Wenn ich da meinen Zucker nicht zu schlecht einstelle, komme ich ständig in Unterzucker - das vermeide ich, indem ich einfach weniger spritze.

sueddeutsche.de: Eine ganz praktische Frage: Wie kriegen Sie diese ganzen Medikamente ins Gepäck?

Fuchsberger: Ich habe immer alles im Handgepäck. Mein Insulin, meine Teststreifen, die Nadeln, das Testgerät, das checke ich niemals ein. Wenn der Koffer weg ist, ist man ja aufgeschmissen.

sueddeutsche.de: Müssen Sie dann jedesmal lange Sicherheitschecks über sich ergehen lassen?

Fuchsberger: Nie. Ich habe immer eine Bescheinigung dabei und meinen Diabetikerausweis. Es ist also klar, dass ich diese Dinge brauche. Mir hat noch nie jemand Schwierigkeiten gemacht, in all den Jahren nicht. Noch nicht mal in Ländern, die sehr heikel sind wegen Drogen und so. Auf Reisen trage ich zusätzlich ein Amulett, auf dem steht, dass ich Diabetiker bin. Damit ich nicht bei einem Unfall automatisch eine Glucoselösung verabreicht bekomme - das wäre gefährlich.

sueddeutsche.de: Wenn Sie in Kambodscha unterwegs sind, wie essen Sie dort?

Fuchsberger: So wie sonst auch - also ziemlich unregelmäßig. Ich bin kein Frühstücksmensch. Ich bin Musiker und habe einen ganz anderen Rhythmus. Beim Diabetiker heißt es ja: regelmäßig essen, Rhythmus einhalten und so weiter. Diese Regeln sprenge ich alle. Gerne. Ich nehme das schnelle Insulin, das heißt, dass ich morgens nach dem Aufstehen meinen Blutzucker messe. Hätte ich einen schlechten Wert, müsste ich mir ein paar Einheiten spritzen. Wenn ich einen guten Wert habe, spritze ich erstmal gar nichts und warte ab, wie mein Tag ist. Wenn ich viel rumsause, brauche ich bis nachmittags eigentlich keine Spritze. Erst wenn ich dann esse, sollte ich messen und spritzen. Wenn ich unterwegs bin, schätze ich das auch mal.

sueddeutsche.de: Sie spritzen also, sobald Sie das Essen bestellt haben?

Fuchsberger: Ja, so ungefähr. Da muss man aber sehr gut aufpassen. Wenn ich spritze und das Essen kommt länger nicht, rutsche ich in den Unterzucker. Das ist mir auch schon öfter passiert. Zum Beispiel in Tasmanien, als ich mit meinen Eltern zum Essen eingeladen war. Es hieß also: Essen! Und ich habe gleich gespritzt. Dann mussten wir aber noch eine halbe Stunde Autofahren. Als wir endlich in dem Restaurant waren, bin ich voll in den Unterzucker gekommen. Auf einmal stand mein Vater neben mir und sagte nur: Mund auf. Und streute mir mit einem Zuckerstreuer eine Menge Zucker in den Mund. Dann war ich wieder fit.

sueddeutsche.de: Das ist für Ihr Umfeld sicher nicht einfach.

Fuchsberger: Nein. Aber es ist eben nie gleich, weil kein Tag wie der andere ist. Deswegen macht man auch immer wieder Fehler. Dann sage ich auch mal: Ach, leck mich doch, ich mach doch alles richtig, warum ist mein Wert denn jetzt wieder im Keller? Das ist das Gemeine am Diabetes - und das geht natürlich vielen auf den Wecker. Und manche sagen dann: Jetzt habe ich keine Lust mehr. Aber das ist fatal.

sueddeutsche.de: Da wollen Sie dagegensteuern?

Fuchsberger: Ja. Indem ich sage: Hey, es ist nun mal eine lebenslange Aufgabe, aber die muss man positiv sehen und nicht sagen: Ich habe keinen Bock darauf. Obwohl ich das verstehe. Gerade kleinen Kindern ist es schwer begreiflich zu machen, warum sie diesen ganzen Zinnober machen sollen.

sueddeutsche.de: Wie kann man verhindern, dass sich die Kinder ausgegrenzt fühlen?

Fuchsberger: Ich drehe das ins Positive: Sie sind was Besonderes. Ein Junge sagte mal: Die anderen fragen mich immer, ob ich bei der Feuerwehr bin, weil ich dauernd spritzen muss. Dann sage ich: Sag doch einfach - Ja, ich bin bei der Feuerwehr und Ihr nicht, Ihr seid langweilig, und ich bin was Besonderes.

sueddeutsche.de: Haben Sie sich jemals ausgegrenzt gefühlt?

Fuchsberger: Nein, ich war ja schon 20, als die Diagnose kam. Ich war gerade am Konservatorium und da war es mir anfangs schon unangenehm, dass ich mitten im Unterricht meine Stulle auspacken musste, um zwei Broteinheiten zu essen. Aber nachdem ich das dem Dozenten erklärt habe, war es in Ordnung. Man kann wirklich froh sein, dass es heute das schnelle Insulin gibt. Früher musste man alle zwei Stunden etwas zu sich nehmen, um das gespritzte Langzeitinsulin quasi "abzuessen".

sueddeutsche.de: Gibt es Dinge, auf die Sie verzichten mussten wegen der Krankheit?

Fuchsberger: Na, ich hätte vielleicht den Pilotenschein gemacht. Andererseits - wenn ich mir überlege, was ich da alles hätte lernen müssen, dann weiß ich gar nicht, ob ich es wirklich getan hätte. Gott sei Dank wollte ich ja mit 16 Jahren Musiker werden. Da hieß es später zwar auch: ganz schlecht für Diabetiker. Aber das war mir egal.

sueddeutsche.de: Hatten Sie je das Gefühl, dass es anderen auf die Nerven geht, dass Sie krank sind?

Fuchsberger: Nö, ich rede ja nicht groß darüber. Meine Freunde kennen mich schon so lange, und wenn ich spritze, kriegen die das gar nicht mit. Das mache ich unter der Tischkante. Ich erzähle höchstens mal, wenn was völlig schief läuft.

sueddeutsche.de: Was denn zum Beispiel?

Fuchsberger: Naja, gerade am Anfang unserer Beziehung musste meine Lebensgefährtin Cornelia sehr schnell lernen, was es heißt, mit einem Diabetiker zusammen zu sein. Ich bin nämlich nach der ersten gemeinsamen Nacht bewusstlos gewesen - total im Unterzucker. Cornelia konnte dem Notarzt nicht einmal sagen, wo sie war, sie wusste nur, dass sie in Grünwald war. Sie musste erst mal raus und nach Straßenname und Hausnummer suchen. Als ich aufwachte, habe ich Kanülen in meinem Arm und den Notarzt in meinem Schlafzimmer gesehen. Er sagte mir, ich hätte keinen messbaren Blutzucker mehr gehabt. Ich hatte mich in der Nacht wohl sehr verausgabt ...

sueddeutsche.de: Da wurde Ihre Lebensgefährtin ziemlich ins kalte Wasser geworfen.

Fuchsberger: Das war ein großer Schreck, ja.

sueddeutsche.de: Wusste sie zu diesem Zeitpunkt, dass Sie Diabetes haben?

Fuchsberger: Ja, aber nicht, was das bedeutet. Jetzt weiß sie es! Sie kennt mich sehr gut und erkennt auch, wenn ich auf einen Unterzucker zusteuere. Und hilft mir - das ist wichtig.

sueddeutsche.de: Wie fühlt sich so ein Unterzucker für Sie an?

Fuchsberger: Das Blöde ist, dass da eine Blockade einsetzt. Dass ich mich gegen den Zucker wehre, der mir gegeben wird. Das kann von außen sehr seltsam aussehen.

sueddeutsche.de: Das kann aber dumm ausgehen, wenn dann niemand Bescheid weiß ...

Fuchsberger: Ja, deshalb muss man seinem Umfeld unbedingt sagen, dass man Diabetiker ist - was ist denn schon dabei? Man kann immer in Situationen geraten, in denen man Hilfe braucht. Weil man sich aber so seltsam verhält, denkt das Umfeld, man ist betrunken oder Epileptiker oder sonst was. Dabei müsste einem nur jemand eine Cola geben und alles wäre gut. Aber das müssen die anderen natürlich wissen. Dass Unterzucker solche Auswirkungen haben kann - dass man sich wehrt, merkwürdig benimmt und so weiter.

sueddeutsche.de: Und wie fühlt sich Überzucker an?

Fuchsberger: Das ist ein Feeling, als ob etwas nicht stimmt. Wenn es ganz extrem ist, muss man ständig Wasserlassen - weil das der einzige Weg des Zuckers aus dem Körper ist.

sueddeutsche.de: So haben Sie Ihre Krankheit auch bemerkt ...

Fuchsberger: Ja, vielmehr mein Vater. Ich hatte an einem Abend beim Fernsehen mit meinen Eltern drei Flaschen Wasser und Apfelsaft getrunken und das ist meinem Vater aufgefallen. Ich dachte noch, ich hätte mich einfach verkühlt, weil ich zu dieser Zeit gerade viel am Starnberger See war. Mein Vater wollte aber, dass ich so einen Test mache, den wir in der Hausapotheke hatten. Der Teststreifen verfärbte sich dunkelgrün. Ich hatte da noch Hoffnung, weil der Streifen schon abgelaufen war. Aber der Hausarzt bestätigte diese Diagnose - mit einem Blutzuckerwert von 600.

sueddeutsche.de: Wie war dieser Moment für Sie?

Fuchsberger: Als der behandelnde Arzt sagte, "von der Nadel kommen Sie nie mehr runter", dachte ich mir noch, was will der eigentlich? In zehn Tagen bin ich wieder weg hier. Am nächsten Tag hatte ich die Schulung, die lebenswichtig war. Erst dann habe ich kapiert, worum es eigentlich geht. Ein Freund von mir hatte zuvor noch gespottet: "Ach, das kann man mit nem kräftigen Tritt in den Magen wieder beheben."

sueddeutsche.de: Was haben Sie in der Schulung erfahren?

Fuchsberger: Man lernt zum Beispiel, wie man spritzt. Dabei habe ich mich erstmal in den Finger gestochen. Das hat aber nichts geholfen. Die Schwester sagte einfach: Das probieren wir gleich nochmal. Also übt man. Am meisten beeindruckt hat mich dabei ein Vierjähriger, der reinkam, sich einfach gespritzt hat und fertig. Da dachte ich mir, wenn der das kann, werde ich das auch lernen können.

Es ist tatsächlich so: Je älter die Leute sind, umso mehr Panik haben sie vor diesen Spritzen. Sie überwinden sich nicht mehr und sagen: "Kann ich nicht." Aber es gibt ja keine Alternative.

sueddeutsche.de: Hat Diabetes Sie verändert?

Fuchsberger: Für mich war das wie ein Weckruf. Bis zu der Diagnose habe ich doch sehr unbesorgt gelebt. Dann habe ich eine auf die Zwölf bekommen. Von da an habe ich versucht, bewusster zu leben. Ich war gerade auf dem Konservatorium, wo ich auch immer hinwollte, aber nicht glücklich war. Das habe ich dann nicht mehr mitgemacht und aufgehört. Ohne die Krankheit hätte ich wahrscheinlich noch länger weitergemacht, obwohl es nicht mein Weg war. So ging es dann Schlag auf Schlag: Ich hatte mit meiner Band mehrere Fernsehauftritte, es ging richtig rund.

sueddeutsche.de: Das heißt, die Krankheit hat auch einen positiven Effekt für Sie gehabt.

Fuchsberger: Auf jeden Fall! Ich wollte nicht mehr alles einfach so mitmachen. Nicht Ja und Amen sagen. Sondern bewusster leben. Ich hab meinen Eltern zuliebe das Abitur gemacht. Auf einem naturwissenschaftlichen Gymnasium noch dazu, was ich überhaupt nicht wollte. Als das mit dem Diabetes passierte, beschloss ich: Ich mache jetzt nichts mehr irgendjemandem zuliebe, sondern nur noch Dinge, die ich selbst will. Das ware eine Grundsatzgeschichte.

sueddeutsche.de: Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, wäre es der, dass Sie kein Diabetes hätten?

Fuchsberger: Wenn ich einen Wunsch frei hätte ... Ich habe jetzt seit 30 Jahren Diabetes, und ich möchte nochmal 30 Jahre lang so gut zurechtkommen damit. Das wünsche ich mir. Und ich möchte die vielen Dinge auf der Welt, die ich noch nicht kenne, anschauen, so lange ich fit bin. Und ein Riesenhit wie Falco mit "Amadeus" hatte, der fehlt mir noch. Den hätte ich gern.

sueddeutsche.de: Warum sind Sie so engagiert in der Aufklärung über Diabetes?

Fuchsberger: Weil es sonst keiner macht. Ich bin der Einzige, der auf dieser Trommel trommelt. Dass man es positiv nehmen muss, dass man nicht krank ist, sondern "bedingt gesund". Das ist meine Paraderolle. Ich bin der Diabetes-Onkel Deutschlands. Ich stelle mich ja schon als Berufsdiabetiker vor! Vielleicht mache ich als Nächstes ein Buch "Reisen als Diabetiker", wer weiß. Das hätte ich schon fast fertig. Denn Reisen trauen sich auch viele nicht, was Quatsch ist. Ich bin da gerne Motivator.

sueddeutsche.de: Wo bräuchten Diabetiker mehr Unterstützung von unserem Gesundheitssystem?

Fuchsberger: Es gibt Medikamente, die helfen, die Spätfolgen zu vermeiden. Die muss ich selbst bezahlen. Das ist kurzsichtig! Es kostet viel weniger, mir jetzt 35 Euro pro Monat für dieses Medikament zu bezahlen, als später eine langwierige Dialysebehandlung in Kauf zu nehmen. Aber die Krankenkassen agieren da sehr kurzsichtig. Was völlig falsch ist: Diabetes ist nun mal ein sehr langfristiges Projekt - man hat ihn Jahrzehnte.

sueddeutsche.de: Sind die möglichen Spätfolgen wie Augenprobleme, Herzinfarkt oder Nierenschädigungen eine konkrete Bedrohung für Sie?

Fuchsberger: Nein. Weil ich alles tue, um genau das nicht zu bekommen. Wenn ich weiterhin so diszipliniert messe, meine Werte einhalte und später trotzdem Schwierigkeiten bekomme - ich glaube, dann werde ich ziemlich sauer.

Das Buch "Zucker - na und?" von Thomas Fuchsberger ist in der Edition Mensch Erich Lejeune erschienen. Darin schildert Fuchsberger sein Leben mit der Krankheit, erklärt die Gefahren und zeigt, wie ein selbstbestimmtes Leben mit Diabetes möglich ist. Auch seine Eltern Joachim und Gundel Fuchsberger sowie seine Lebensgefährtin Cornelia Corba kommen zu Wort. Der bekannte Diabetologe Professor Hellmut Mehnert hat ein informatives medizinisches Nachwort beigefügt.

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