Interview mit Thilo Bode:"Wir sind noch nicht wütend genug"

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Thilo Bode ist Leiter der Berliner Organisation Foodwatch. Er beklagt mangelnde Transparenz auf dem Lebensmittelmarkt und die Passivität der Verbraucher.

Marten Rolff

Thilo Bode ist ehemaliger Greenpeace-Chef und Leiter der Berliner Organisation Foodwatch, die sich für mehr Transparenz auf dem Lebensmittelmarkt und eine Stärkung der Verbraucherrechte einsetzt.

Thilo Bode: "Wenn ehrliche Anbieter in Deutschland besser informieren, werden sie allerdings vom Kunden bestraft. " (Foto: Foto: ddp)

SZ: Herr Bode, laut Foodwatch ist der Skandal auf dem deutschen Lebensmittelmarkt keine Ausnahme, sondern der Normalfall. Können Sie das erklären?

Bode: Dafür gibt es endlos viele Beispiele. Wenn derzeit mal wieder das Gammelfleisch thematisiert wird, dann ist das doch nichts Neues. Seit Jahren wird jede sechste Frischfleischprobe, die Kontrolleure in Deutschland analysieren, als gesundheitsschädlich eingestuft. Die Folgen für Verbraucher reichen von Magendrücken bis zur Salmonellenvergiftung. Oder nehmen wir die Kennzeichnung von Aromastoffen bei Vanille. Da sind mehr als 50 Prozent der Angaben falsch und damit illegal. Und mit schöner Regelmäßigkeit gibt es jedes Jahr bei uns Meldungen über Obst und Gemüse, bei dem Rückstände von Pestiziden zulässige Höchstwerte überschreiten. Zudem nehmen die Deutschen heute 80 Prozent ihrer Dioxinbelastung über Nahrungsmittel auf.

SZ: Wer ist schuld an den Verstößen in einem Land, dessen Verbraucherschutzgesetze zu den striktesten der Welt zählen?

Bode: Das deutsche Verbraucherrecht ist bei Lebensmitteln völlig unzureichend. Bei der Ernährung gibt es heute viele versteckte Risiken, die der Verbraucher nicht abschätzen kann. Das betrifft zum Beispiel die Angaben zu Inhaltsstoffen. Ein Chipshersteller muss bei uns nichts über den Acrylamid-Gehalt seines Produktes sagen, empfohlene Höchstwerte werden oft überschritten. Zudem gibt es Milchgetränke für Kinder, die im Schnitt 44 Stück Würfelzucker pro Liter enthalten, was auch nicht mitgeteilt wird. Dagegen ist Cola das reinste Diätgetränk. Als ich einmal nach dem Zuckergehalt des Riegels "Milchschnitte" von Ferrero fragte, wurde ich unter Verweis auf das Rezepturgeheimnis abgespeist. Wenn ehrliche Anbieter in Deutschland besser informieren, werden sie allerdings vom Kunden bestraft.

SZ: Wie ließe sich Vertrauen schaffen?

Bode: Durch eine bessere Produktkennzeichnung und verbriefte Informationsrechte des Verbrauchers. Außerdem müssen Hersteller und Händler durch die Politik stärker in die rechtliche Verantwortung genommen werden. Derzeit gibt es zu wenig Anreize, Regeln einzuhalten.

SZ: Können Sie Beispiele nennen?

Bode: Wenn bei uns Schadstoff-Höchstwerte überschritten werden, kann nur der Hersteller, nicht aber der Lebensmittelhandel straf- oder zivilrechtlich belangt werden. Das ist aber in dem Moment problematisch, in dem Sie etwa Ansprüche bei einem Bauern in Marokko geltend machen wollen. Wenn indes der Einzel-, der Großhandel oder die Importeure die Einhaltung von Grenzwerten garantieren müssten, hätten wir weniger Probleme.

SZ: Und warum setzt man das nicht durch, wenn es denn so einfach ist?

Bode: Daran hat niemand Interesse. Der gesamte Lebensmittelmarkt ist die Konsequenz eines gnadenlosen Lobbyismus' - eine unschöne Allianz aus Agrar- und Lebensmittelindustrie.

SZ: Der Verbraucher in den Fängen eines semikriminellen Kartells, das sich auf Kosten seiner Gesundheit bereichert - ist das nicht dann doch ein wenig paranoid?

Bode: Das ist nicht paranoid, sondern rational zu erklären. Dabei geht es nicht nur um skrupellose Menschen, sondern um den simplen Fakt, dass es für den Verbraucher bei Lebensmitteln nahezu unmöglich ist, die Qualität des Produktes zu erkennen. Beim Kauf eines Autos merken Sie, wenn der Motor Nebengeräusche macht, bei Nahrung können Sie weder die Herstellungsmethode noch Pestizide erschmecken. Wir brauchen verordnete Transparenz und ein Informationsrecht.

SZ: Was kann der Verbraucher tun?

Bode: Der Verbraucher muss in erster Linie verstehen, dass er die Situation durch sein Einkaufsverhalten nicht verbessern kann. Denn auf dem Lebensmittelmarkt gilt die Devise "teuer gleich gut" und "billig gleich schlecht" eben oft nicht, auch wenn sehr viele das denken. Schlachtabfälle können sich genau so im Gulasch eines gehobenen Restaurants finden wie am Spieß einer Dönerbude. Die Politik hat oft versucht, dem Verbraucher zu suggerieren, er sei schuld, weil er zu billig einkaufe. Eine Unverschämtheit!

SZ: Aber woran liegt es, dass Verbraucher sich immer nur bis zu einem gewissen Grad für solche Skandale interessieren?

Bode: Nach jedem Skandal sind die Reaktionen doch ähnlich: Erst sackt die Absatzkurve stark ab, und nach einer Zeit steigt sie wieder langsam, aber stetig an. Das liegt auch an einer gewissen Frustration. Der Konsument fügt sich in etwas, was angeblich doch nicht zu ändern ist. Eine ganz normale Reaktion. Doch der Markt allein wird es nicht richten. Etwas ändern wird sich erst, wenn die Verbraucher sich organisieren wie die Umweltbewegung. Derzeit sind wir offenbar noch nicht wütend genug.

© SZ vom 8.2.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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