Ex-Kellner rechnet ab:Psychopathen und Halsabschneider

Immer weniger Menschen wissen, wie man sich in einem Restaurant benimmt. Der ehemalige Kellner und Bestseller-Autor Steve Dublanica erklärt, was man als Gast alles falsch machen kann.

Violetta Simon

Neun Jahre lang hat Steve Dublanica mit psychisch kranken Menschen gearbeitet. Dann war er ausgebrannt und begann als Kellner in verschiedenen Nobel-Restaurants - ein Job, der mindestens so viel psychologisches Feingefühl erforderte, wie sein alter. Über seine Erfahrungen berichtet Dublanica seit 2004 in dem Blog Waiterrant - Confessions of a Cynical Waiter, der innerhalb kurzer Zeit Berühmheit erlangte. Die Leser wollten alles Mögliche wissen: wie es ist, Kellner zu sein, wie viel Trinkgeld sie geben müssen und wie man einen guten Tisch bekommt. Die Antworten gab der schreibende Kellner in seinem Buch WaiterRant, das in den USA ein Bestseller wurde und nun in Deutschland unter dem Titel Die Rechnung, bitte! erschienen ist.

Kellner

Man muss kein Psychologe sein, um als Kellner zu arbeiten - aber es hilft ungemein.

(Foto: neelz / photocase.com)

sueddeutsche.de: Was erlebt man so an einem ganz normalen Tag als Kellner?

Stephen Dublanica: Ich habe Gäste erlebt, die waren betrunken, bekifft, haben sich geprügelt, sich übergeben, geheult, Geschwister aus ihrem Testament gestrichen, psychische Zusammenbrüche erlitten oder Sex auf der Toilette gehabt.

sueddeutsche.de: In einem Lokal? Warum denn das?

Dublanica: Manche Menschen glauben, ihr Stammlokal sei eine Erweiterung ihrer Wohnung. Daheim benehmen wir uns ja alle anders als in der Öffentlichkeit. Das ist in etwa so, wie wenn Leute im Straßenverkehr zu hasserfüllten Monstern mutieren, sobald sie in ihr Auto steigen. Als ich ein Kind war, sind wir nur zu besonderen Anlässen essen gegangen. Heutzutage essen die Amerikaner ständig auswärts, sogar öfter als zu Hause. Kein Wunder, dass sie ein Restaurant für ihr persönliches Esszimmer halten.

sueddeutsche.de: Verhalten sich denn alle Menschen so komisch, wenn sie in einem Restaurant sind?

Dublanica: 80 Prozent der Restaurantbesucher sind einfach nur nette Leute, die gern etwas zu essen hätten. Doch die übrigen 20 Prozent sind verhaltensgestörte Psychopathen.

sueddeutsche.de: Das könnte man von ebenso vielen Kellnern auch behaupten ...

Dublanica: Ich habe herausgefunden, dass die 20-Prozent-Regel Allgemeingültigkeit besitzt - warum also nicht auch für Kellner.

sueddeutsche.de: Aufgrund Ihres früheren Berufs können Sie das sogar beurteilen ...

Dublanica: Ich war neun Jahre lang im Bereich für psychische Störungen tätig. 1999 wurde ich gekündigt - ich war ausgebrannt von der Arbeit. Und ich sage Ihnen, meine Erfahrung in diesem Bereich war so was von nützlich für meinen Kellner-Job!

sueddeutsche.de: Für den Umgang mit Gästen genügt es also nicht, ein Tablett zu tragen und Bestellungen aufzunehmen?

Dublanica: Kellnern ist eine Kunstform, für die man Chamäleon, Psychologe und Halsabschneider in einem sein muss. Zuallererst muss ein Kellner gut verkaufen - wie sonst sollte er beispielsweise überteuertes Mineralwasser in Designerflaschen überzeugend an den Mann bringen? Aber auch ein erstklassiger Verführer sollte er sein, der jederzeit die Schwäche im Charakter eines Kunden erkennt.

sueddeutsche.de: Klingt bedrohlich. Was genau meinen Sie damit?

Dublanica: Wenn jemand sich für einen Weinkenner hält, werde ich ihm eher Weine der gehobenen Preisklasse empfehlen. Wenn der Gast seine Verabredung oder einen Geschäftskunden beeindrucken will, gebe ich ihm das Gefühl, er sei der Nabel der Welt.

sueddeutsche.de: Als psychologisch geschulter Kellner merken Sie doch sicher auch, ob ein Gast Ärger machen wird?

Dublanica: Allerdings. Dieser "Mir gehört der Laden"-Blick ist immer ein schlechtes Zeichen. Auch Leute, die betrunken sind oder Selbstgespräche führen, verheißen nichts Gutes.

sueddeutsche.de: Wissen Sie auch, ob jemand Trinkgeld gibt?

Dublanica: Ich kann immer sagen, wie viel Prozent mir ein Gast geben wird. Die Zahl schwebt über seinem Kopf wie ein Heiligenschein. Fragen Sie nicht warum - das kommt einfach mit den Jahren, in denen man unterbewusst Eigenheiten in Gesicht, Aura, Stimme und Verhalten wahrnimmt.

sueddeutsche.de: Abgesehen von mickrigem Tipp - wie kann man Ihnen als Gast so richtig auf die Nerven gehen?

Dublanica: Da gibt es jede Menge! Erstens: Samstagabends nicht reservieren und dann sauer sein, wenn man keinen Tisch bekommt.

sueddeutsche.de: Es weiß nun mal nicht jeder schon am Mittwoch, wozu er am Samstagabend Lust hat.

Dublanica: Gut, aber wie soll das Restaurant das dann wissen? Und warum sollten die Leute, die sich festlegen darunter leiden?

sueddeutsche.de: Na gut, was steht noch auf Ihrer Don't-Liste?

Die Todsünden der Gäste

Dublanica: Den Kellner antatschen, um auf sich aufmerksam zu machen - ein gute Methode, um eins mit der Pfeffermühle übergebraten zu kriegen.

sueddeutsche.de: Wenn man 20 Minuten ignoriert wird, muss man eben zu solchen Mitteln greifen.

Dublanica: Wenn ein Kellner Sie ignoriert, dann nur, weil er die Gäste der Reihe nach bedienen möchte. Wie würden Sie sich fühlen, wenn jeder Kollege in der Redaktion, der was von Ihnen braucht, an Ihrem Kleid zupft?

sueddeutsche.de: Sie sind wirklich streng - was ist noch verboten?

Dublanica: Ins Handy zu quatschen, während der Kellner etwas empfiehlt oder die Bestellung aufnimmt - das ist entwürdigend. Außerdem: Essen zurückgehen lassen, das zur Hälfte verzehrt wurde - wenn etwas nicht in Ordnung ist, sollte man das sofort sagen. Ebenfalls inakzeptabel: Unhöflich sein. Die Aussage "Sogar ein Affe kann das besser als du!" ist schlichtweg verletzend. Auch eine Beschwerde kann höflich formuliert werden.

sueddeutsche.de: Sie sollten mal in eine bayerische Wirtschaft gehen, da ist Höflichkeit ein Fremdwort - und zwar für die Bedienungen. Aber das Beste daran ist: Die Leute stehen drauf. Sonst noch was auf Ihrer Liste?

Dublanica: Sich ausgefallene Sonderwünsche ausdenken, die nicht auf der Karte stehen. Mit so etwas kann man eine Küche vollkommen aus dem Tritt bringen. Außerdem - denken Sie nur an eine vegetarische Platte in einem Steakhouse - ist die Enttäuschung programmiert.

sueddeutsche.de: Apropos Sonderwünsche: Salat ohne Dressing, Hühnchen ohne Haut - kommt Ihnen das bekannt vor? Warum können Frauen eigentlich nie bestellen, was auf der Karte steht?

Dublanica: Weil jede Frau auf Diät zu sein scheint. Außerdem haben manche Leute, nicht nur Frauen, einfach keinen Bezug zur Realität.

sueddeutsche.de: Wie meinen Sie das?

Dublanica: Ich hatte mal einen Gast, der mich fragte, ob unser Fleisch von "zufriedenen Kühen" stamme - er wollte wirklich wissen, ob sie ein glückliches Leben hatten, bevor man ihnen einen Bolzen ins Gehirn jagte. Sind wir schon so krank, dass wir glauben, Glück sei ein Geschmacksverstärker?

sueddeutsche.de: Ist das nicht weniger eine Frage des Geschmacks als des Bedürfnisses, mit gutem Gewissen zu essen?

Dublanica: In diesem Fall sollte man lieber gleich Vegetarier werden. Die meisten Leute haben keinen blassen Schimmer davon, wie ihr Essen auf den Tisch gekommen ist. Sicher wäre es schön, wenn all die Hühner und Rinder Bio-Futter bekämen und frei herumlaufen könnten. Doch das ist eine überaus kostspielige Angelegenheit. Die einzigen, die so was essen, sind Wohlhabende, die sich das Zeug aus dem Bio-Supermarkt leisten können. Der Rest kümmert sich nicht darum, woher das Fleisch kommt. Es gibt so viele Menschen, die Hunger leiden, und es macht mich echt sauer, wenn die Leute sich verrückt machen wegen "glücklicher Kühe", statt sich um "glückliche Menschen" zu sorgen.

sueddeutsche.de: Hassen Sie Ihre Gäste eigentlich?

Dublanica: Mit Hannibal-Lector-mäßiger Leidenschaft. Ich habe sogar schon mit dem Gedanken gespielt, ein paar von ihnen in Scheiben zu schneiden und zu Pastete zu verarbeiten. Da ich jedoch fürchte, ins Gefängnis zu wandern, habe ich mich im Griff.

sueddeutsche.de: Schon mal einem unangenehmen Gast heimlich ins Essen gespuckt? Oder anderweitig Rache geübt?

Dublanica: Ich habe NIEMALS in ein Essen gespuckt oder es anderweitig verfälscht. Das ist was für Anfänger. Ich habe dafür hin und wieder an den Köpfen der Leute rumgeschraubt. Mein liebster Schachzug war, dämlichen Gästen zu erklären, dass ihre Kreditkarte nicht akzeptiert wurde, obwohl ich sie nicht einmal durch den Kartenleser gezogen hatte. Ich kann Ihnen versichern: Es gibt keinen besseren Weg, als jemanden vor seinen Freunden tödlich zu blamieren.

sueddeutsche.de: Warum haben Sie diesen Beruf eigentlich so lange durchgehalten?

Dublanica: Als mein Bruder mir diesen Job besorgte, war ich 31 und dachte, das wäre nur vorübergehend. Es wurden neun Jahre daraus, weil ich keinen Schimmer hatte, was ich mit meinem Leben anfangen sollte. Dann begann ich, diesen Blog zu schreiben, und so wurde aus dem Kellner allmählich ein Autor. Ich schätze, man könnte sagen, das Schreiben über mein Leben als Kellner half mir dabei, mein Leben als Kellner zu ertragen. Entbehrt nicht einer gewissen Ironie, oder?

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: