Süddeutsche Zeitung

Interview: Botox und Beziehungen:Gelähmtes Mitgefühl

Gift für Beziehungen: Botox bewirkt nicht nur, dass Fältchen verschwinden und Gesichtszüge erstarren. Die Behandlung beeinträchtigt auch die Fähigkeit, Gefühle zu verstehen. Der Sozialpsychologe David Neal erklärt, warum.

Lena Jakat

Wer selbst nicht lächeln kann, tut sich auch schwerer damit, die Gefühle seines Partners zu verstehen. Das Nervengift Botox, beliebtes Mittel gegen Fältchen, lähmt so mit den Lachmuskeln auch das Mitgefühl.

Untersucht hat diesen Effekt David Neal, Sozialpsychologe an der University of Southern California in Los Angeles. Die überraschenden Ergebnisse wurden im April im Fachmagazin Social Pychological & Personality Science veröffentlicht. Im Gespräch mit sueddeutsche.de erklärt der 34 Jahre alte Forscher, wie Botox, Beileid und Beziehungen zusammenhängen.

sueddeutsche.de: Herr Neal, dass Menschen, die sich Botox spritzen, Gefühle schlechter zeigen können, klingt logisch. Aber Sie sagen, diese Leute können Gefühle auch schlechter verstehen?

David Neal: Ja, wir haben in unserer Studie herausgefunden, dass Menschen nach einer Botox-Behandlung die Mimik von anderen auch schlechter deuten können.

sueddeutsche.de: Warum das denn?

Neal: Wenn wir den Gesichtsausdruck unseres Gegenübers betrachten und versuchen, das Gefühl hinter diesem Ausdruck zu verstehen, tun wir das teilweise, indem wir seinen Ausdruck imitieren - natürlich sehr subtil und unbewusst. Wenn wir beide im gleichen Raum wären und Sie würden mich irgendwie komisch ansehen, dabei die Muskeln um Ihre Augen herum auf eine bestimmte Art anspannen, dann verstehe ich Sie zum Teil dadurch, dass ich die gleichen Muskeln in meinem Gesicht anspanne. Ein Signal geht dann von den Muskeln zurück in mein Hirn und hilft mir zu verstehen, was Sie fühlen. Nach einer Botox-Behandlung ist dieser Informationsfluss unterbrochen.

sueddeutsche.de: Aber Sie könnten doch auch sehen, ob ich lächle oder die Stirn runzle?

Neal: Um Mimik zu deuten, greifen wir auf viele unterschiedliche Informationen zurück. Auf visuelle Informationen etwa oder unsere Erfahrung. Aber unser Körper liefert uns ein Stückchen Zusatzinformation. Wir haben herausgefunden, dass Menschen dann etwa sieben Prozent schlechter darin werden, Gefühle zu erkennen.

sueddeutsche.de: Sollten wir also besser auf unseren Körper hören?

Neal: Auf jeden Fall. Wir benutzen unseren Körper, um zu versehen, was im Körper des Gegenübers vorgeht. Wir verstehen also bewusst und unbewusst. Wir haben heute ein anderes Verständnis von Körper und Geist als das, das auf René Descartes zurückgeht, den Philosophen des 17. Jahrhunderts. Lange Zeit lautete nämlich der Konsens in der Wissenschaft, dass der menschliche Verstand eine Sache des Geistes ist, der irgendwie vom Körper getrennt ist. In den vergangenen Jahren betonen viele Hirnforscher, Psychologen und Soziologen dagegen die Einheit von Körper und Geist. Beide sind in vielerlei Hinsicht aufeinander angewiesen und nicht zu trennen.

sueddeutsche.de: Wie haben Sie das Mitgefühl der Botox-Behandelten getestet?

Neal: Mit einem Test, der eigentlich für Autisten entwickelt wurde. Die Probanden sehen sich Aufnahmen von Augenpartien an. Dort wird nämlich ein Großteil der Gefühle ausgedrückt. Dann mussten die Teilnehmer sagen, welches Gefühl auf jedem Bild zum Ausdruck kommt. Das ist zum Teil nicht ganz einfach, es geht nicht darum, zu erkennen, ob jemand traurig oder glücklich ist. Sondern darum, Gefühle zu unterscheiden, die im Ausdruck sehr ähnlich sind. Die Botox-Behandelten schnitten in dem Test deutlich schlechter ab als unsere Kontrollgruppe, Menschen die Restylane benutzt hatten, ein Mittel, mit dem Falten aufgefüllt werden.

sueddeutsche.de: Warum diese Kontrollgruppe?

Neal: Restylane füllt Fältchen auf, statt Gesichtszüge zu lähmen. Es war die perfekte Vergleichsgruppe in jeder Hinsicht: Sie entsprach der Botox-Gruppe in Alter und Status, aber auch in der Einstellung: Die Teilnehmerinnen beider Gruppen - insgesamt 31 Frauen - legen großen Wert auf ihr Äußeres. Wir wollten die Kritik vorwegnehmen, dass Menschen, die sich mit Botox behandeln lassen, oberflächlicher und eitler sein könnten und deswegen schlechter darin sind, Gefühle zu erkennen. So konnten wir sicher gehen, dass tatsächlich die Gesichtsmuskeln und die Fähigkeit, Mimik zu imitieren, ausschlaggebend sind.

sueddeutsche.de: Wie kamen Sie die Idee für die Studie?

Neal: Eigentlich durch eine Untersuchung aus den achtziger Jahren. Sie kam zu dem Schluss, dass sich Paare, die 20 oder 25 Jahre zusammenleben, immer ähnlicher werden - und zwar deswegen, weil sie ständig unbewusst die Mimik des anderen imitieren und dadurch ähnliche Fältchen und Gesichtszüge entwickeln. Interessant war auch, dass diejenigen Paare, deren Gesichtszüge sich anglichen, glücklicher waren. Eine Erklärung dafür ist, dass das gegenseitige Spiegeln von Gesichtsausdrücken sehr wichtig ist, um Gefühle zu teilen und Empathie zu empfinden. Wenn wir unsere Gegenüber nicht imitieren können, verstehen wir ihre Gefühle nicht so gut.

sueddeutsche.de: Botox kann also zu Beziehungsproblemen führen?

Neal: Nicht zwangsläufig. Aber es kann definitiv passieren. Weil jemand nach einer Botox-Behandlung die Gefühle des Partners nicht mehr so exakt deuten kann wie zuvor.

sueddeutsche.de: Das klingt ziemlich paradox.

Neal: Das ist total paradox. Ein Grund, warum sich Menschen Botox spritzen lassen, ist ja, weil sie denken, es würde ihre Beziehung, ihr Liebesleben verbessern. Es könnte auch gut sein, dass die Vorteile - die Behandelten sehen attraktiver und jünger aus, fühlen sich besser - gegenüber dem Nachteil, dass sie nicht mehr so gut mitfühlen, überwiegen.

sueddeutsche.de: Ist Ihre Empfehlung also, die Finger von Botox zu lassen?

Neal: Das muss selbstverständlich jeder für sich entscheiden. Wir möchten nur darauf aufmerksam machen, welche unerwarteten Folgen Botox für eine Beziehung haben könnte.

sueddeutsche.de: Aber für Sie wäre das nichts?

Neal: Momentan auf keinen Fall. Aber fragen Sie mich in 15 Jahren noch mal, da bekommen Sie vielleicht eine andere Antwort. Allerdings müsste ich mir dann wohl ein anderes Forschungsgebiet suchen. Sonst würde ich ja total unglaubwürdig wirken.

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