Süddeutsche Zeitung

Interview: Andre Agassi:"Ich hatte eine deformierte Kindheit"

Sein Vater war sein Kriegstreiber, die Tennistour sein Schlachtfeld: Andre Agassi spricht im SZ Wochenende über seine Kindheit und das Vatersein.

Sein Vater war sein Kriegstreiber, sein Schlachtfeld die Tennistour: Andre Agassi spricht im Interview mit dem SZ Wochenende über seine Kindheit und das Vatersein.

Andre Agassi über

... die Motivation, ein Buch über sein Leben zu schreiben

"Als Tennisprofi habe ich immer ein sehr öffentliches Leben geführt, und vieles von dem, was über mich verbreitet wurde, stimmte einfach nicht, im Guten wie im Schlechten. Auf dem Tennisplatz kannte ich mich aus, im Leben nicht. Ich wusste nie, wer ich wirklich bin. Woher sollten es andere wissen? Mein Leben bestand aus Gegensätzen, die ich in mir trage und die ich mir nie erklären konnte. Gegensätze lassen sich nur in vollkommener Offenheit beschreiben, und ein Buch ist der richtige Ort, um offen zu sprechen."

... Andre Agassi

"Ich verstehe ihn jeden Tag anders, und wie jeder andere muss ich mir den inneren Frieden jeden Tag aufs Neue verdienen. Immerhin führe ich inzwischen ein Leben mit Menschen, denen ich vertraue. Und ich habe endlich Zeit, mich mit mir auseinanderzusetzen."

... seinen Vater

"Mein Vater ist unglaublich loyal. Ich wünschte, er hätte mich weniger geliebt. Er war immer großzügig. Er suchte eben nur den kürzesten Weg zum amerikanischen Traum. Mein Vater hatte einen Plan, und er selber war unfassbar diszipliniert. Ich weiß nicht, wie er das gepackt hat: zwei Jobs, vier Kinder, stundenlang mit uns auf dem Platz stehen, diese wahnsinnige Disziplin. Er hatte viele positive Seiten."

... den Beginn seiner Tenniskarriere

"Um mich zu begreifen, muss man sich den Druck vorstellen können, unter dem ich schon als kleiner Junge stand. Bei uns zu Hause war die Stimmung davon abhängig, ob ich gut oder schlecht trainierte, ob ich gewann oder verlor. Entweder haben wir dann alle zusammen gegessen, oder jeder hat für sich gefuttert. Später stiegen zwar die Einsätze, es ging um viel Geld, und es stiegen die Einnahmen, doch an unserer Art, als Familie zu funktionieren, änderte sich nichts. Verlieren bedeutete, dass es allen anderen schlecht ging, weil mein Vater eine Niederlage unter keinen Umständen akzeptierte. Bereits mit vier Jahren lernte ich, dass es Streit zwischen Dad und meinen älteren Geschwistern gab, wenn sie verloren hatten. Wenn ich ihnen beim Spielen zusah, hatte ich ständig Angst, sie könnten verlieren. Sie gewannen nicht oft genug, und ich war die letzte Hoffnung. Ich hatte Talent, ich gewann, aber ich hasste alles, was damit zu tun hatte.

Sie müssen es sich so vorstellen: Ich bin wie ein Künstler, der es ablehnt, seiner Kunst unter Schmerzen nachzugehen. Ich habe Tennis als Lebensform damals nicht akzeptiert. Tennis bot aber auf einmal die Gelegenheit, mein Leben etwas erträglicher zu gestalten. Reisen mit meinem Bruder, Geld, Abendessen in guten Restaurants. Doch im Grunde war es nicht viel anders, als vom offenen Feuer in die Pfanne zu springen: Der Schmerz wurde nur ein bisschen erträglicher."

... Erziehung

"Ich bin kein Lehrer, aber ich versuche meinen eigenen und den Kindern in meiner Schule Mitgefühl beizubringen. Wir wollen ihnen zeigen, was Nächstenliebe heißt. Bildung, auch Charakterbildung, bedeutet eine ungeheure Erweiterung der Möglichkeiten. Im Rückblick bedauere ich sehr, dass mir eine solche Ausbildung fehlt. Ich muss andererseits glücklich sein, dass ich die Tennistour als Lebensschule hatte. Ich konnte meine Lehrer mitnehmen oder sie auf der Tour finden."

.. Steffi Graf und den Perfektionsanspruch im Alltag

"Ein großer, ein sehr großer, den wir beide auch haben. Das wird sich bei mir auch nicht mehr ändern. Wenn ich mich für etwas entscheide, muss es perfekt werden, egal, ob in der Küche, für die Familie, im Geschäft."

... die Art seiner Kindheit

"Eine deformierte Kindheit. Als Tennisspieler wird man einerseits ganz schnell erwachsen, andererseits verkümmert man."

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