Interview am Morgen:"Die Abtreibungsparagrafen atmen den Geist des Faschismus"
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In Deutschland ist es Ärzten untersagt, für einen Schwangerschaftsabbruch zu werben - absurd, findet Christian Fiala. Im "Interview am Morgen" erklärt der Gynäkologe, warum die Abtreibungsdebatte in Wahrheit ein Machtkampf ist.
Von Violetta Simon
Kristina Hänel steht vor Gericht, weil sie im Leistungskatalog ihrer Website auch Schwangerschaftsabbrüche aufführt. Laut Anklage verstößt die Ärztin aus Gießen damit gegen den Paragrafen 219a des Strafgesetzbuchs, der Werbung für diesen Eingriff untersagt - ein Verbot, das einzigartig in Westeuropa ist.
Christian Fiala ist Mitglied diverser Verbände, die sich für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch und Verhütung starkmachen. Der Gynäkologe hat in Ländern gearbeitet, in denen Frauen an den Folgen eines Abbruchs sterben. Fiala engagiert sich international in den Bereichen Familienplanung, Müttersterblichkeit und die Betreuung von Frauen mit ungewollter Schwangerschaft.
SZ: Auf Ihrer - österreichischen - Webseite findet man eine Liste mit 1142 Ärzten aus Deutschland, die Abbrüche durchführen. In Deutschland würden sich Ärzte damit strafbar machen: Laut § 219a handelt rechtswidrig, wer darüber informiert, dass er solche Leistungen anbietet.
Christian Fiala: Das ist absurd, man muss das nur mal auf andere Berufe übertragen, etwa auf Rechtsanwälte oder Journalisten. Demnach dürfte niemand, der sich in seinem Bereich auskennt, eine Beratung oder Leistung anbieten. Zudem ist dieser Paragraf zynisch: Ärzte handeln unter einem staatlichen Monopol, nur sie dürfen solche Eingriffe vornehmen. Frauen sind darauf angewiesen, dass Ärzte diese Behandlung übernehmen. Aber darauf hinweisen sollen sie nicht. Mit anderen Worten: Diese Regelung gehört gestrichen - genau wie der Paragraf 218.
Was glauben Sie, welches Motiv steckt hinter dem Abtreibungsparagrafen, der die " Schutzpflicht des Staates gegenüber dem Ungeborenen" vertritt?
Sie meinen, warum sich der Staat in den intimsten Bereich der Frau, ihre Sexualität und Fruchtbarkeit, einmischt, statt sich um seine eigentliche Aufgabe zu kümmern - etwa eine Regierung zusammenzustellen oder einen Flughafen zu bauen? Nun, vielleicht, weil er Kinder braucht, die die Rente bezahlen. Und weil er den Frauen unterstellt: Wenn er sie nicht kontrolliert, droht Sodom und Gomorrha. Dasselbe sagte man in den Fünfzigerjahren über Frauen, die arbeiten, wählen und sich scheiden lassen dürfen.
Frauen als Gebärmaschinen für den Staat - im Ernst jetzt, trotz Feminismus und #aufschrei-Debatte?
Der Paragraf 218/219 atmet den Geist der Monarchie und des Faschismus, er spiegelt ein Frauenbild, das im Widerspruch zur Demokratie steht. Hitler nahm dieses Konzept sehr ernst: Um seine künftigen Soldaten und Arbeitskräfte zu schützen, führte er die Todesstrafe für die "gewerbsmäßige Abtreibung der Leibesfrucht" ein - die letzte Frau wurde deswegen im Januar 1945 in Wien exekutiert.
Hat das Bundesverfassungsgericht nicht 1993 eine Reform des Gesetzes angeordnet?
So kann man es auch ausdrücken. Das BVerfG hat das Gesetz unter einer neuen Formulierung fortgeführt: "Schutzpflicht für das ungeborene Leben". Zudem wurde das Gesetz erweitert - Frauen haben die "grundsätzliche Pflicht zum Austragen eines Kindes". Das erinnert an Auszüge aus Hitlers "Mein Kampf" und das Vorwort zu den "Richtlinien zur Schwangerschaftsunterbrechung und Unfruchtbarmachung". Auch an der Position der beiden Paragrafen im Gesetzbuch zeigt sich der ideologische Hintergrund: Sie standen beide genau eine Stelle vor dem Paragraf 220 zum Völkermord. Erst 2002 wurde dieser an die sechste Stelle vorgezogen - 218 und 219 aber wurden bis jetzt nicht angetastet. Noch immer fahren 20 Prozent der Frauen mit Spätabbruch nach Holland - stellen Sie sich vor, jeder fünfte Prostata-Patient müsste für seine OP nach Frankreich fahren, da wäre aber was los!
Woraus zieht der Staat in der heutigen Zeit die Legitimation für 219a?
Gute Frage. Seit dem Zweiten Weltkrieg wurde dieser Paragraf in keinem Prozess verhandelt - typisch für überholte Machtstrukturen, die nur auf Tradition aufbauen. Das ist ein hohles Gesetz, das, sobald jemand wie diese Ärztin es herausfordert, in sich zusammenfällt. Offenbar ist nun die Zeit gekommen, wo sich jeder fragt: Warum gibt es so was? Diese Debatte ist - genau wie damals die Frauen auf dem Stern-Cover - notwendig, um die überholten Gesetze abzuschaffen. Wenn eine Kanzlerin nicht dazu bereit ist, muss es eben Frau Hänel machen.
Immerhin wird nun in der Öffentlichkeit über das Thema gesprochen ...
Diese Diskussion verläuft aber unehrlich, in Deutschland wie auch in Europa herrscht eine eklatante Doppelmoral - von wegen, Frauen sind gleichberechtigt. In Wirklichkeit werden Frauen in ihren Rechten beschnitten, wenn sie sich gegen die gesellschaftlichen Erwartungen entscheiden. Ich habe nicht eine Frau getroffen, die nicht den Anspruch hatte, das selbst zu entscheiden.
Sind es wieder einmal weiße alte Männer, die diese Rechte beschneiden?
Keinesfalls, wir haben hier keine Genderdebatte. Es sind auch weibliche Politiker wie früher Margaret Thatcher und heute Theresa May und Polens Premierministerin Beata Szydło, die für eine Verschärfung des Abtreibungsrechts plädieren. Dahinter stehen konservative Machtstrukturen wie beispielsweise die katholische Kirche, die davon profitieren, dass man Frauen Angst einjagt. Wir haben uns alle möglichen Rechte erkämpft, aber im intimsten Bereich werden wir nach wie vor bevormundet. Bis jetzt ist es uns nicht gelungen, diesen wichtigen Lebensaspekt zu demokratisieren.
Dann ist die Debatte also politisch?
Absolut. Jeder Einzelne ist aufgerufen, diese Selbstbestimmung einzufordern. Wir müssen uns als Gesellschaft fragen, was wir wollen: eine Demokratie, in der man dem Einzelnen zutraut, verantwortungsbewusst zu handeln? Dann muss das für jeden und jede gelten. Niemand kann eine Entscheidung in Bezug auf die eigene Sexualität und Fruchtbarkeit besser treffen als man selbst. Und es ist die Pflicht des Staates, auch Frauen darin zu unterstützen.
Welche Rolle können die Männer dabei einnehmen?
Wir Männer haben die Pflicht, Frauen nicht nur bei gewollten Schwangerschaften beizustehen, sondern auch dann, wenn durch unser Zutun eine ungewollte Schwangerschaft eintritt. Indem wir uns im Rahmen unserer privaten, aber auch beruflichen Möglichkeiten dafür einsetzen, die Rechte der Frauen zu stärken - als Richter, als Ärzte, als Gynäkologen. Wer soll das sonst tun, wenn nicht wir gemeinsam?
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