Internet:In Ordnung, alter Mann

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Der Pulli zum Kampfbegriff. (Foto: via Shannon O'Connor)

Alle streiten sich über "OK Boomer", das Schlagwort des Generationen­konflikts. Ist es lustig - oder diskriminierend?

Von Jan Stremmel

Der Mann kommt in seiner Antwort gleich auf den Punkt: "Doch, du kleiner ungebildeter Knuddel" - er meint Greta Thunberg, die über Buschfeuer in Australien getwittert hat -, "wir hatten solche Brände und solches Wetter schon vorher. Ich habe einen Abschluss in Umweltstudien und weiß, wovon ich spreche."

Solche Kommentare sind alltäglich unter Thunbergs Profil. Nur die Reaktion ist an diesem Dienstag anders als sonst. Niemand geht auf den Mann ein. Nur eine junge Frau reagiert, mit zwei Worten: "OK Boomer". Damit ist Ruhe.

Seit ein paar Wochen reden und streiten sehr viele Menschen über dieses Schlagwort. Es ist angelehnt an Babyboomer, die Bezeichnung der geburtenstarken Generation nach dem Zweiten Weltkrieg. Und "OK Boomer" ist die Reaktion junger Menschen auf Kommentare älterer Menschen, die sie gar nicht erst ernst nehmen wollen.

Wer solche Sprüche sucht, muss nur in den nächstbesten Kommentarbereich zum Thema Klimaschutz schauen. Es eignen sich auch Artikel über den Youtuber Rezo oder jeder beliebige Post der "Friday for Future"-Aktivistin Luisa Neubauer: Polemik, zynische Selbstgefälligkeit und Sexismus sind oft Teil der Reaktionen. Die Antwort "OK Boomer" kommt dann zum Beispiel in folgenden Situationen zum Einsatz: "Kinder, überlasst den Klimaschutz mal lieber den Profis." - OK Boomer. "In diesem Land gilt immer noch die Schulpflicht, junge Dame." - OK Boomer. Es ist ein verbales Augenrollen, ein gedachtes "Schon in Ordnung, alter Mann."

Der Spruch polarisiert. Die einen finden ihn lustig und passend zu unserer Zeit. Die anderen halten ihn für faul, unreif und diskriminierend. Dabei ist er nicht neu. Seit mehr als einem Jahr kursiert er schon als Meme, das ist im Netz eine Ewigkeit. Trotzdem berichteten diese Woche fast alle deutschen Medien darüber, die Diskussion scheint also durchaus einen Nerv zu treffen. Und tatsächlich verrät der Streit einiges darüber, wie Debatten im Netzzeitalter laufen.

Interessanterweise begann der große Sturm erst, als die Sache ihren Höhepunkt längst überschritten hatte. Die New York Times berichtete vor zwei Wochen über "OK Boomer". Die These der Autorin: Mit diesem Begriff eröffne die junge Generation, frustriert von schlechten Jobchancen, teuren Mieten und vergeblichen Bemühungen um echten Klimaschutz, endlich den Kampf der Generationen.

Das Meme war da unter jungen Menschen zwar schon etwas abgekühlt - aber weil die New York Times von sehr vielen Babyboomern gelesen wird, wurde das Thema jetzt erst richtig groß. Auf Facebook platzte Lesern öffentlichkeitswirksam der Kragen. Ein konservativer amerikanischer Talkshowmoderator trötete gar über Twitter, "Boomer" sei das "N-Wort der Altersdiskriminierung". Spätestens jetzt, mit dem eindeutigen Beweis der Durchschlagskraft ihrer Erfindung, nahmen dann auch junge Leute den Begriff wieder auf. Seither lässt sich sehr unterhaltsam beobachten, welche Macht ein Wort entfaltet, von dem sich immer genau die richtigen angesprochen fühlen. Sogar in der politischen Debatte: Als eine 25-jährige Grünen-Abgeordnete in Neuseeland vergangene Woche eine Parlamentsrede hielt, Thema Klimaschutz, parierte sie den Zwischenruf eines Mannes mit einer ausgestreckten Hand und dem Kommentar: "OK Boomer". Dann fuhr sie seelenruhig fort.

Der Vorwurf der Diskriminierung taucht seither häufig auf. Abgesehen davon, dass es zwischen Generationen schon sehr oft gruppenbezogene Beleidigungen gab ("Trau keinem über 30"), trifft er nur auf den ersten Blick zu: "Boomer" meint eine bestimmte Altersgruppe (in Deutschland die Jahrgänge 1955 bis 1969, in den USA schon etwas frühere). Aber wer mal verfolgt, welche Aussagen genau damit abgewürgt werden, sieht schnell: "OK Boomer" richtet sich nicht gegen eine Generation, sondern eine Geisteshaltung.

Ein Boomer - in der Wahrnehmung der Kritiker ist es meist ein er - spricht herablassend und oft polemisch. Seine Haltung ist: "Wenn der Kuchen spricht, haben die Krümel Pause." (Ein Zitat des Parade-Boomers Dieter Bohlen.) Und es ist kein Zufall, dass unter Tweets von Barack Obama, Jahrgang 1961, oder Youtube-Videos von Harald Lesch, 1960, niemand "OK Boomer" schreibt. Beide haben sich seit Jahren als Unterstützer der Generation Y und Z erwiesen. Es ist wie mit dem berühmten Lieblingslehrer, den man sein Leben lang nicht vergisst, weil er einem mit Interesse begegnete. Dass er älter war? Egal.

Fairnesshalber muss man sagen, dass auch Mitglieder der jüngeren Generationen bisweilen Boomer-Verhalten an den Tag legen. Die Aktivisten, die Vorlesungen von Bernd Lucke oder Thomas de Maizière zusammenpfeifen und Diskussionsangebote ablehnen, stellen damit genau die Selbstgefälligkeit und argumentative Faulheit zur Schau, deretwegen sie Boomer sonst wegbügeln. Im Netz hat sich für engstirnige Menschen der Generation Z natürlich auch schon ein eigener Begriff etabliert: Zoomer.

Deshalb hier ein Lösungsvorschlag. Vielleicht ergänzen wir den Spruch durch eine Variation, die es älteren, aber ehrlich an Austausch interessierten Diskutanten ermöglicht, junge Boomer zur Ordnung zu rufen. Ein neutrales Signal für: Bitte bleib auch du sachlich, junger Mensch.

Ab sofort also gerne verwenden: "OK Zoomer."

© SZ vom 16.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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