Vor Kurzem war ich in Den Haag im Internationalen Gerichtshof. Der residiert in einem hübschen, mehr als hundert Jahre alten Gebäude, innen ist alles voller prächtiger Teppiche und Buntglas, fein geschnitzter Wendeltreppen und vergoldeter Springbrunnen. Und dann setzt man sich hin und redet, nun ja, über verhungernde Kinder.
So ganz abschütteln konnte ich die Irritation darüber nicht. Text-Bild-Schere nennt man es im Journalistenjargon, wenn ein Foto und der dazugehörende Text widersprüchliche Botschaften senden. Am Internationalen Gerichtshof ging es an jenem Tag, als ich im Zuschauerraum saß und über einen Prozess berichtete, um den Gazakrieg, der schon seit acht Monaten viel zu grausam geführt wird und der viele Tausend Menschen das Leben gekostet hat, Kinder, Jugendliche, Erwachsene, die sich dieses Schicksal nicht ausgesucht haben.
Im Saal wurde über die deutschen Waffenlieferungen an Israel diskutiert und die Frage, ob diese Lieferungen eine Beihilfe zu einem Völkermord darstellen würden. (Nein, entschied das Gericht bald darauf.) Währenddessen schweifte mein Blick mal über den dicken, blau-gelb gemusterten Teppich aus dem einstigen Persien, mal über die Wandtücher aus Japan. Zwischendurch ging ich eine knarzende Treppe hinunter ins Untergeschoss, wo man zwischen blütenweißen Tischdecken bedient wird. „Restaurant des Juges“ heißt dieser Ort, zu Deutsch: Restaurant der Richter, der Cappuccino dort ist vermutlich einer der teuersten der Stadt.
Natürlich: Es geht um das Völkerrecht hier. Um gute Vorsätze. Um feierliche Schwüre. Da darf es festlich sein. Und sicher schadet es auch nicht, wenn man von diesen hehren Ideen auch irgendwie sinnlich ergriffen wird. Aber ich frage mich, ob man wirklich in die richtige Stimmung versetzt wird von diesen Räumen, an deren Wänden nicht Fotos von Zivilisten aus Gaza oder Darfur hängen, sondern glorreiche, alte Herrscherbilder. Und ich frage mich auch, ob so viel Komfort dem notwendigen, ernsten Nachdenken wirklich nützt – oder von welchem Moment an es vielleicht eher ablenkt und bequemlich dämpft.
Das habe ich mich ähnlich auch gefragt, als ich vor ein paar Jahren ein einziges Mal auf der Münchner Sicherheitskonferenz war, einem Treffen von Menschen, die im weitesten Sinne über die Kriege unserer Zeit entscheiden, also über sehr viel Not, Tod, Unrecht. Kulisse, ausgerechnet: das nobelste Hotel Münchens.
Nichts gegen komfortable Gesprächsbedingungen – sicher hilft das. Damit Leute zusammenkommen, die sonst nicht zusammenkämen, zum Beispiel. Vielleicht hängt die kleine Irritation nur mit dem Wunsch zusammen, dass manche der russischen oder saudischen Politiker, die bei solchen Anlässen fürstlich bewirtet werden, eher mal in den Genuss von Wasser und Brot gelangen sollten.
