Süddeutsche Zeitung

Instagram:Selfies aus der Steinzeit

  • Die 19-jährige Australierin Essena O'Neill verabschiedete sich unter Tränen von ihren Hunderttausenden Instagram-Followern.
  • An ihrem Rückzug lässt sich der Kampf Jugendlicher um virtuelle Aufmerksamkeit perfekt studieren.
  • Warum Jungen und Mädchen in Steinzeit-Reflexe zurückfallen, um mehr Follower zu gewinnen.

Von David Pfeifer

Die gute Nachricht: man muss immer weniger können, um berühmt zu werden. Die schlechte Nachricht: es werden immer mehr Menschen berühmt, mit immer weniger Begabungen.

Bis vergangenen Mittwoch war die 19-jährige Australierin Essena O'Neill eine Berühmtheit, zumindest für ihre 745 000 Follower. Was diese Follower zu sehen bekamen, waren Bilder von Essena im sehr engen Kleid oder Bikini, gerne an Stränden unter Palmen. Manchmal presste sie sich auch ganz nackt, an die Brust ihres Boyfriends, so dass ihre Brüste nicht frontal zu sehen waren.

Hunger für den flachen Bauch, Schminke für die Akne

Unter Tränen zog Essena O'Neill sich vor wenigen Tagen also von Instagram zurück. Sie beichtete ihren Fans, dass sie Selfies beim Tee trinken nur gepostet hatte, weil eine Teefirma sie dafür bezahlte. Auch die Kleider waren gesponsert, bis zu 2 000 Dollar bekam sie für ein Bild vom entsprechenden Hersteller. Außerdem erklärte O'Neill, dass sie bei Bildern mit flachem Bauch vorwiegend Hunger hatte und sie sich ihre Akne überschminken musste, um so strahlend schön auf den Handy-Schnappschüssen auszusehen, von denen manchmal 50 nötig waren, bis eines passte. Sie beschrieb also ziemlich genau das Job-Profil, das Heidi Klum ihren Kandidatinnen umreißt, wenn sie das nächste Topmodel werden wollen.

Die Wellen der Begeisterung (über O'Neills Ehrlichkeit) und der Empörung (über ihre Bigotterie) schwappten ungewöhnlich hoch, vor allem natürlich in Kommentaren im Internet. Vermutlich nicht, weil sie damit zugab, dass ihre Bilder geschönt waren, und ihr Leben doch nicht so toll, wie online abgebildet. Was O'Neill vor allem gestand, war: ich bin keine von euch - ich tue nur so. Ich bin ein Profi.

Ruhm ist nicht demokratisch

Mädchen wie Essena O'Neill zeigen sich auf sozialen Netzwerken scheinbar privat. Sie simulieren einen öffentlichen Alltag. Ihre Fans sollen sie beneiden, klar: der flache Bauch, das schöne Kleid. Dabei aber stets das Gefühl behalten, all das sei in Reichweite. Nur eine Hungerkur oder einen Einkauf entfernt.

Doch: "Ruhm ist nicht demokratisch. Es wird immer nur sehr wenigen Menschen gelingen, berühmt zu werden", sagt Emma Jane, eine Landsfrau von Essena O'Neill, die an der Universität Sydney unter anderem zu Geschlechterrollen in den neuen Medien und Cybermobbing geforscht hat.

Gleichwohl scheint es so, als wäre immer weniger nötig, um berühmt zu werden. Nicht mal mehr Singen und Tanzen muss man dafür noch können. Gutes Aussehen und eine gewisse Schamlosigkeit scheinen auszureichen. Dazu noch der unbedingte Wille, bekannt zu werden. "Berühmtheiten, die nur fürs berühmt sein berühmt sind, beobachten wir seit dem Aufkommen von Reality TV", erklärt Jane. Womöglich erleben wir derzeit also eine neue, nun ja: Steigerung dieses niedrigschwelligen Ruhms - nun wird man berühmt dafür, berühmt werden zu wollen.

Am Essena O'Neill lässt sich gut studieren, dass eine Art Prominenz-Prekariat entsteht. Immer mehr junger Blogger und Instagram-User konkurrieren gegeneinander um Aufmerksamkeit, um diese später zu Geld zu machen. Oder zumindest in Sachleistungen umzusetzen. Sie begeben sich dafür vor ein Publikum, das anonym bleibt, das hart urteilt und sich bisweilen am Objekt seiner Beobachtung abarbeitet, in jeder erdenklichen Form. Doch ohne Likes kein Preis.

Das eigentlich Befremdliche an der Selbstdarstellung von Essena O'Neill ist dabei nicht ihr unbedingter Wille bekannt zu werden, sondern die Klischees, die sie dabei bedient hat. So als hätte es die letzten 50 Jahre Gleichberechtigung nicht gegeben.

Wie Fotofix-Automaten zweckentfremdet wurden

"Das Problem bei Mädchen wie O'Neill ist, dass ihr Celebrity-Status vor allem auf dem Exhibitionismus ihrer körperlichen Selbstinszenierung beruht", sagt Ramón Reichert, Medientheoretiker und Lehrbeauftragter für Digitale Medienkultur an der Universität Wien, "für ihre Follower verkörperte die Bikinifigur von O'Neill perfekt die typischen Merkmale des weiblichen Rollenmodells. Bei Jungs ist das ganz anders: da zählen Coolness-Faktoren - Skater-Stunts, spektakuläre Go-Pro-Videos, um Aufmerksamkeit zu erregen."

Reichert hält das alles für ein medientechnisch bedingtes Phänomen. Die Verbindung von digitaler Fotografie und der Verbreitung von Bildern über soziale Netzwerke und Online-Plattformen hat zu einem Exzess der Selbstbilder beigetragen. In früheren Medienkulturen war die bildliche Überlieferung des Selbst den privilegierten Schichten vorbehalten. Der Adel ließ sich allerdings noch malen.

Mit dem Aufkommen der tragbaren Video-Systeme und der Polaroid-Kameras bildeten sich neue Kulturen der Selbstthematisierung über Medien heraus. Genau wie in Fotofix-Automaten, die bald nach ihrem Aufkommen nicht mehr nur zur Herstellung von Passbildern genutzt wurden, sondern auch um einen guten Moment zu Zweit dem Strom der Zeit zu entwinden - in dem man sich gemeinsam in die Kabine drückte und einen Streifen Fotos machte.

Wer mehr Follower will, muss extremere Schauwerte anbieten

Digitalfotografie, Selfies und das Internet wirkten wie ein Brandbeschleuniger für dieses Bedürfnis. Die Möglichkeiten der Selbstdarstellung wurden spottbillig, die Zugriffsschwellen sanken. "Aber wir erleben immer neue Extremfälle", so Reichert, "Youtube, Instagram und Snapchat etablieren neue Aufmerksamkeitsmärkte - und Konkurrenz. Dies führt zu einer Eskalation von Selbstbildern. Um mehr Klicks zu generieren, sind jugendliche Anbieter aufgefordert, mehr von sich zu zeigen. Wenn sie die Anzahl ihrer Follower steigern wollen, dann werden sie unter Druck gesetzt, extremere Schauwerte anzubieten, die sich von der Masse abheben."

Bei Jungs führt das nicht selten dazu, dass sie sich im Namen von Energie-Drink-Herstellern mit einer Kamera auf dem Kopf von Hochhäusern stürzen.

Ein typisches männliches Beispiel ist für Reichert der 23-jährige Youtuber, der die Lawine am Basislager des Mount Everest filmte, damit 20 Millionen Klicks generierte und ordentlich durch die Presse ging. "Für den war das wichtigste: ich halte drauf! Diese jungen Social-Media-Stars sind so eingespannt in ihr Netz, dass sie auch ihr Leben riskieren."

Mädchen ziehen sich halb aus, üben Posen, deren Subtext sie kaum ausloten können. "Der Wettbewerb geht um die Frage: Wer zeigt den cooleren Identitätsentwurf, wer exhibitioniert sich noch mehr, um die wachsende Nachfrage zu bedienen", sagt Reichert.

Ein Rückfall in Steinzeit-Reflexe: Jungs beweisen sich in Mutproben, Mädchen ziehen sich aus. Beides nicht sehr klug, nur auf unterschiedliche Art naiv. "Dabei sind die Identitäten in dem Alter noch brüchig, immer auf Suche nach Bestätigung. Das erkennt man auch daran, dass jugendliche User andauernd ihre Profilbilder erneuern. Und permanent auf Bestätigung lauern, eigentlich sofort - instant." Instagram hat aus dem Bedarf ein Geschäftsmodell gemacht.

Essena O'Neill will in Zukunft alles anders machen

Essena O'Neills Bilder wären vor 40 Jahren noch als Soft-Porno im Stil des Weichzeichner-Fotografen David Hamilton durchgegangen. Vor 15 Jahren in Herrenmagazinen wie Maxim oder FHM gedruckt worden.

Und was sollen Erwachsene nun anfangen, wenn sie entsprechende Filme oder Bilder entdecken? "Gelassen bleiben, nicht dämonisieren, sich selber auf die neuen Medien einlassen" sagt Reichert, der selber einen 12jährigen Sohn hat, neben den er sich regelmäßig an die Spielkonsole setzt.

Essena O'Neill hat es ja auch wieder herausgeschafft, aus der Exhibitions-Spirale. Nach ihrem tränenreichen Abschied aus der Welt der oberflächlichen Selbstdarstellung ist sie in einen neuen Blog geflohen, der "Be a game changer" heißt. Sie will in Zukunft also alles anders machen. Fast. Dass sie ihren Abgang so spektakulär inszeniert hat, deutet darauf hin, dass sie natürlich nicht in der Masse verschwinden möchte. "Egal wie authentisch eine Mediendarstellung sein möchte - sie wird immer ein Fake bleiben", sagt Wissenschaftlerin Jane, "O'Neills Erklärung war ja wieder eine neue konstruierte Persönlichkeitsdarstellung."

O'Neill ist sogar noch viel bekannter geworden, durch ihre Verweigerung. Eventuell hat sie sogar eine ganz neue Stufe gezündet: berühmt werden, für's nicht mehr berühmt sein wollen. Essena O'Neill ist und bleibt eben ein Profi. Und sie will wohl auch in Zukunft bekannt bleiben, nur auf andere Weise. Ohne Hungerkuren und Bikini-Bilder.

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