Im Gespräch: Karl Lagerfeld:"Ich habe Schwein gehabt"

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Karl Lagerfeld hasst Silvester. Und einiges mehr. Ein Gespräch über Gleichgültigkeit, Bescheidenheit - und die Frage, warum er schon als Kind überzeugt war, eine Legende zu werden.

Kerstin Holzer

Karl Lagerfeld wurde an einem 10.September in Hamburg geboren, ob 1933 oder 1938, ist umstritten. Als Sohn eines Kondensmilch-Fabrikanten wuchs Lagerfeld in wohlhabenden, kultivierten Verhältnissen auf und interessierte sich bereits als Kind für Literatur und Zeichnen. In den fünfziger Jahren zog er nach Paris. Der Modeschöpfer ist für die Häuser Fendi und Chanel tätig, interessiert sich aber auch für den Massenmarkt: Als allererster Designer von Weltruhm entwarf er 2004 für H&M. Lagerfeld hat mittlerweile alles designt, was sich denken lässt: Mode, Parfums, Opernkostüme, Coca-Cola-Flaschen. Er veröffentlicht Bildbände, entwirft Werbekampagnen, illustriert Bücher. Er lebt in Paris. Lesen Sie Auszüge aus dem Interview mit der SZ am Wochenende vom 31.Dezember 2010/1./2. Januar 2011.

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Er besitzt keine Uhr, lehnt Computer und Telefone ab. Eine eigene Meinung hat er jedoch. Karl Lagerfeld gehört zu den gefürchtetsten Lästermäulern überhaupt. Neustes Opfer des Modezars: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen.

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SZ: Herr Lagerfeld, Sie rauchen nicht, Sie trinken nicht, Sie essen kaum. Silvester gehört für Sie wohl eher nicht zu den Höhepunkten des Jahres.

Karl Lagerfeld: Ich hasse Silvester! Ich finde es grauenhaft. Am 31. Dezember mache ich nie was. Früher schon, aber die meisten Leute, die ich kenne, verreisen ja alle, in die Sonne, in den Schnee, was weiß ich nicht alles.

Werden Sie sich einsam fühlen?

Ich liebe es, allein zu sein. Das ist Luxus, wenn Sie mich fragen. Ist auch besonders einfach dieses Jahr: Silvester ist am Wochenende. Da wird die Woche nicht verschnippelt wegen Feiertag. Außerdem ist das für mich eine Periode, in der ich viel zu tun habe: der erste Teil der Prêt-à-porter. Die von Hogan, für die ich eine Kollektion entworfen habe, wollen auch weitermachen. Dann mache ich eine Kollektion für Macy. Und muss in Ruhe die Haute Couture vorbereiten.

Ihre Muse Baptiste Giabiconi haben Sie gerade als Gott Apollo fotografiert, auf den die Mahnung an siegreiche Feldherren zurückgeht: "Bedenke, dass du sterblich bist." Müssen Sie daran auch hin und wieder erinnert werden?

Na, darüber bin ich ja wohl hinaus.

Verzeihung, ich spielte nicht auf Ihr Alter an, sondern auf Ihre vielen Projekte. Arbeiten Sie an Ihrer Unsterblichkeit?

So mögen es manche sehen, aber ich tue das nicht mit Absicht. Meine Mutter sagte oft: "Du bist nicht ehrgeizig genug." Und das stimmt. Ich habe eine Idee, eine Inspiration, und die wird dann konkretisiert, wie jetzt meine Arbeit an diesem Kalender von Pirelli. Aber an Unsterblichkeit denke ich nicht. Ich habe ja nicht einmal Archive. Ich mache, um etwas zu machen, nicht, um etwas gemacht zu haben. Wenn man anfängt, sich an das zu erinnern, was man mal gemacht hat, ist man gleich reif für den Mülleimer.

Waren Sie eigentlich immer unabhängig von der Meinung anderer?

Früher weniger als heute. Im Laufe der Zeit hat sich eine gewisse Gleichgültigkeit der Außenwelt gegenüber bei mir installiert, die im Grunde das Leben sehr angenehm macht.

Sie haben also einen wohltemperierten Gefühlshaushalt.

Wenn man das so nennen will. . . Ich analysiere mich nicht. Ich nehm's, wie's kommt.

Die Welt wiederum scheint sehr an Ihnen interessiert zu sein.

Ja, ich kann nirgendwo auf die Straße gehen.

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Das habe ich aber nicht bewusst getan. Was hab' ich denn Besonderes? Gut, die weißen Haare, und ich merke es ja selbst: Wenn ich mit zwanzig Leuten auf einem Foto bin, sieht man mich als ersten. Aber ich fühle mich stinknormal. Nur die anderen sind eben anders.

Irgendwie wirken Sie disziplinierter als die meisten.

Ich habe keine Selbstdisziplin. Disziplin ist, wenn Sie sich Mühe geben müssen. Ich gebe mir keine Mühe.

Hatten Sie als junger Mensch eine Vision von dem Lagerfeld, der Sie sein wollten?

Als Kind war ich davon überzeugt, eine Legende zu werden.

Wie kamen Sie denn darauf?

Ich hatte wohl zu viele Märchen gelesen. Hinterher war ich bescheidener.

Na, Sie behielten ja irgendwie recht. War also alles strategisch geplant?

Nicht nur. Als ich jung war, verbrachte ich viel Zeit damit, die Nächte durchzutanzen. Die Modewelt war damals auch anders, es war nicht abzusehen, dass es für Designer die Möglichkeit geben würde, Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Es gibt Leute, da geht alles schief, und Leute, wo der Zufall alles unglaublich arrangiert. Ich habe Schwein gehabt.

Die moderne Machbarkeitsgesellschaft behauptet doch gerne, jeder sei seines Glückes Schmied und müsse nur wollen.

Wer sagt das?

Steht in erfolgreichen Ratgeberbüchern.

Da gucke ich nicht rein. Nein, das ist keine Willensfrage. Die Leute tun ja heute alle so, als sei Glück etwas, das das Leben ihnen schulde. Nein. Es gibt da leider eine große Ungerechtigkeit. Es gibt sogar Menschen, die es überhaupt nicht verdienen und sehr glücklich sind.

Wenn Sie einen Partner und Kinder gehabt hätten, wäre Ihnen dann diese Karriere noch möglich gewesen?

Dann wäre alles schiefgegangen. In meinem Beruf und bei dem, was ich machen will, darf man keine Familie haben.

Dabei streben doch alle nach Work-LifeBalance. Ist das wirklich Ihre Botschaft an junge, talentierte Leute?

Kommt darauf an, was sie machen wollen. Wer meint, sein Privatleben sei wichtiger, okay. Aber bitte nicht hinterher beklagen. Man kriegt nicht alles umsonst.

Die Franzosen, gerade die jungen, wehren sich gerade gegen den geplanten späteren Renteneintritt. Rente - diese Vokabel ist sehr weit weg von Ihnen, oder?

Die Leute sollen arbeiten, solange sie Lust haben und solange sie es können. Es gibt Berufe, die kann man nicht länger ausüben. Dann gibt es wiederum Berufe, die nicht anstrengend sind, Beamte und so, die tun ja nix. Was sollten die sonst machen? Plötzlich sind sie zu Hause, haben eine Frau, mit der sie im Grunde nicht zusammengelebt haben, sie haben viel Zeit, aber weniger Geld. Nicht jeder hat einen kleinen Schrebergarten, um den er sich kümmern kann.

Haben Sie eigentlich Ihre eigenen Erwartungen erfüllt?

Das Geheimnis ist ja, dass ich im Grunde mit mir nie zufrieden bin. Ich fühle mich faul, ich könnte mehr machen, ich hätte mehr aus mir herausholen können. Persönlich habe ich nicht im Geringsten das Gefühl, dass ich eine seriöse Person bin. Ich weiß sogar, dass ich nicht seriös bin.

Sie fühlen sich als Hochstapler?

Ja, aber im guten Sinne. "Felix Krull" ist eines meiner Lieblingsbücher.

Beim strengen Thomas Mann vermutet man Sie ohnehin eher als bei Ihrem Lieblingsautor Eduard von Keyserling mit seinen sehnsüchtigen Gräfinnen. . .

Bei Keyserling inspiriert mich die Atmosphäre irgendwie. Das Problem bei Thomas Mann ist, das ich das nur zu gut verstehe. Ich bin ja aus dem Norden. Die ganze Mentalität, das ist mir so familiär. Ich liebe die Novellen noch heute, aber nicht unbedingt "Tod in Venedig". Thomas Mann war zu konventionell. So konventionell bin ich nicht. Ich lebe ja auch in einer anderen Zeit.

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in Bildern.

Deren technische Errungenschaften Sie aber zum Teil ablehnen. Warum nutzen Sie kein Internet?

Ich gucke auch kaum Fernsehen. Ich liebe Zeitungen, ich liebe Papier. Man hat mir goldene iPhones und goldene Computer geschenkt, aber ich sehe doch an meinen Mitarbeitern, dass die sich keine Telefonnummer mehr merken können. Ich will das ja noch nicht Alzheimer nennen, aber die haben ein Gedächtnis - da ist nicht mehr viel los mit. Ist ja bald wie bei Goldfischen. Drei Sekunden, dann ist alles vergessen.

In Deutschland formiert sich eine antimodernistische Bürgerbewegung gegen Stuttgart 21, gegen Castor, gegen Atomkraft. Verfolgen Sie das?

Ich halte das für eine normale Reaktion, die die Sache nicht aufhalten wird. Dazu bin ich zu opportunistisch.

Kein Verständnis für die Proteste gegen Atomkraft?

Irgendwo muss der Strom ja herkommen. Früher brauchte man nicht so viel Energie. Ich glaube nicht, dass die Leute zu ökonomischem Rückgang in der Lage sind. Sie sagen es zwar. Aber ein Handy haben sie trotzdem alle. Keiner will verzichten.

Immerhin rangiert Engagement für Umwelt in Hollywood immer oben auf der Hipness-Liste.

Wissen Sie, da kenne ich welche, die sich dafür bezahlen lassen. Wenn da keine Fotografen sind, gehen die nirgendwo hin. Ich kenne das, was hinter den Kulissen geschieht, nur zu gut. Mit mir dürfen Sie nicht darüber sprechen.

Widert Sie das an?

Es ist mir egal. Ich persönlich bin für anonyme Wohltätigkeit. Als Kind durfte ich keinem Bettler Geld geben, weil das etwas Herablassendes hat.

Ihre persönliche Vision von Bescheidenheit ist angeblich ein Leben im Hotel.

Ja, das wäre mein Traum. Denn im Grunde - brauche ich so viele Häuser, so viel Personal, so viele Bücher?

Ich weiß es nicht. Welche Ihrer Häuser in Europa und Amerika nutzen Sie denn wirklich?

Alle! Auch wenn ich in Amerika kaum bin.

(...)

Das ganze Interview lesen Sie in der SZ am Wochenende vom 31.Dezember 2010/1./2. Januar 2011.

© SZ vom 31.12.2010/1.1.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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