Illegale in den USA:"Er fängt uns ein wie Kühe und treibt uns aus dem Land"

Illegale in den USA: Sie wollen sich nicht einschüchtern lassen - und fordern ein Bleiberecht für Einwanderer: ein Protestmarsch in Seattle.

Sie wollen sich nicht einschüchtern lassen - und fordern ein Bleiberecht für Einwanderer: ein Protestmarsch in Seattle.

(Foto: Jason Redmond/AFP)

Die von Donald Trump angeordnete Ausweisung illegaler Immigranten hat längst begonnen. Viele sind aus Angst untergetaucht. Zu Besuch bei jenen, für die der amerikanische Traum jeden Tag vorbei sein kann.

Reportage von Sacha Batthyany

Früher, da waren sie die Unsichtbaren, sagt Fatima Correas. Die, die in den Hotels die Betten machten und in den Küchen der Restaurants die Teller spülten; die, die auf den Baustellen die Zementsäcke trugen und den Menschen in den Vororten den Rasen mähten. "Heute aber sind wir nicht mehr unsichtbar. Heute werden wir gejagt."

So schnell gehe das. Ein Präsident tritt ab, ein anderer tritt an, und schon "zeigen alle mit dem Finger auf dich", sagt Correas. "Für uns ist das so, als lebten wir in einem neuen Land."

Fatima Correas, 24, lange, gelockte Haare, ein Meter sechzig groß, ist vor elf Jahren mit einem Touristenvisum aus El Salvador ihren Eltern in die USA gefolgt. Von Chapeltique, im Osten des Landes, nach Hyattsville in Maryland - von einem Nest ins andere. Sie ist eine von circa elf Millionen Immigranten, die ohne Bewilligung in den USA leben und arbeiten, obwohl sie nicht arbeiten dürften. Donald Trump hat im Wahlkampf davon gesprochen, alle elf Millionen auszuweisen, in Zügen, Flugzeugen und Bussen, und eine Mauer zu bauen, damit niemand mehr illegal in die USA einreise, all die Vergewaltiger und Diebe und Gangmitglieder, so nennt er sie, die "bad hombres".

Es ist schon ein paar Monate her, da hat Trump im Wahlkampf ein Foto von sich getwittert. Er sitzt an seinem Schreibtisch, vor sich einen Teller mit Tacos, einer mexikanischen Spezialität, und er hält den Daumen hoch, so wie er das immer tut. Darunter schrieb er: "I love Hispanics".

Fatima Correas aber hat Angst. Und sie ist nicht die Einzige. "Dürfen wir jetzt bleiben oder müssen wir gehen?", fragt sie und flüstert: "Was, wenn es meine Eltern trifft? Oder mich?"

Das Wort Massendeportation nehme der neue Präsident nicht mehr in den Mund, dafür lasse er immer mehr Immigranten festnehmen und in Auffanglager stecken, sagt Correas. Trumps Leute stürmten ganze Stadtteile und nähmen "wie Fischer mit einem riesigen Schleppnetz" alle einfach mit, habe sie gehört. Deshalb seien die Straßen in Hyattsville so leer, keine Kinder mehr auf den Spielplätzen, keine Frauen in den Innenhöfen. Hyattsville ist Geisterstadt.

Seit Stunden läuft Correas im Quartier herum und klopft von Tür zu Tür. Sie arbeitet für eine Organisation, die sich um die Latino-Gemeinschaft in der Umgebung von Hyattsville kümmert und verteilt Flugblätter mit Informationen, was im Notfall zu tun ist. Wenn plötzlich Beamte der Immigrations- und Zollbehörde (ICE) vor der Tür stehen. Was passiert dann mit den Kindern? Den Möbeln? Dem Geld? Welche Rechte haben Papierlose wie Correas?

Kein Präsident vor ihm hat mehr illegale Einwanderer des Landes verwiesen als Obama

Hyattsville ist ein Ort, wie es ihn nur in Amerika gibt. Hier zieht man nicht hin, hier bleibt man hängen. Es gibt keinen Kern, nur vierspurige Straßen, an denen planlos ein paar Häuser stehen, Tankstellen, Fast-Food-Lokale und Geschäfte, die verbilligte Rasenmäher ausstellen oder gebrauchte Whirlpools aus grauem Plastik mit Massagedüsen. Und zwischen den Lagerhallen, in niedrigen Wohnblocks, leben Tausende Latinos, mehr als die Hälfte von ihnen ohne Papiere, so wie Fatima Correas und ihre Eltern; der Vater ist Gärtner, die Mutter Hilfsköchin in einem mexikanischen Imbiss. Sie sprechen kein einziges Wort Englisch, "weil sie es nicht müssen", sagt Correas, und nehmen am Leben in den USA nicht teil, haben aber auch in Chapeltique, dem Kaff in El Salvador, dem sie vor Jahren entflohen, niemanden mehr. "Ich glaube, sie nennen Hyattsville ihr neues Zuhause", sagt ihre Tochter.

Ist es ein gutes Leben? "Sie kennen kein anderes", sagt Correas.

Das Leben dieser Menschen in den Hyattsvilles dieses Landes war auch unter Barack Obama nicht einfach. Kein Präsident vor ihm hat mehr Immigranten ausgewiesen und wieder über die Grenze gekarrt. Deporter-in-Chief nannte man ihn. Hinter Obamas Lächeln verberge sich seine harte Hand, schrieben Hilfswerke.

"Obama hatte klare Prioritäten. Wer keine Papiere hatte, eine kriminelle Gewalttat verübte und verurteilt wurde, musste zurück", sagt Jacinta Ma vom National Immigration Forum, einer Lobby-Organisation. Von ihrem Büro aus im Zentrum Washingtons sieht man die weiße Spitze des Kapitols, in dem Trump Ende Februar eine Rede hielt und von allen als "präsidial" beschrieben wurde, nur weil er ausnahmsweise niemanden beleidigte. "Mit Trump hat sich alles verändert", sagt Ma, eine Juristin. Von Beginn an bezeichnete Trump die elf Millionen illegalen Immigranten nicht einfach nur als Problem, "das taten andere vor ihm auch", so Ma. Trump aber sagte, sie würden den Amerikanern die Jobs nehmen. Das sei entscheidend. "Denn so machte er die Immigranten zur Bedrohung." Mit Immigration allein gewinne man in den USA keine Wahlen, "aber mit den Ängsten der Menschen um ihre Arbeitsplätze schon".

José Escobar - nach 16 Jahren zurück in El Salvador

Um die Illegalen aus dem Land zu schaffen, brauche es neuerdings nicht einmal ein Urteil, auch keine Gewalttat. "Es reicht, wenn man zu schnell gefahren ist oder die Polizei jemanden verdächtigt, etwas Kriminelles getan zu haben. Es herrscht totale Willkür", sagt Ma.

Im Jahr 2008 wurde die Mexikanerin Guadalupe García de Rayos, 35, verurteilt, weil sie ihre Sozialversicherungsnummer gefälscht hatte. Jedes Jahr musste sie sich bei der Migrationsbehörde melden. Acht Jahre lang hielt man ihren Fall für irrelevant, und ließ sie zurück zu ihren zwei Kindern nach Phoenix, Arizona. Doch vor wenigen Wochen wurde García de Rayos verhaftet und nach Mexiko gebracht.

José Escobar, 31, aus Houston, Texas, erging es ähnlich. Escobar ist mit einer Amerikanerin verheiratet, zwei Kinder; er kam als Jugendlicher in die USA. Seine Mutter hatte bei seiner Einreise ein Formular falsch ausgefüllt. 16 Jahre lang schien das niemanden zu kümmern, Ende Februar aber wurde er in Handschellen abgeführt und ist nun zurück in El Salvador, dem Land seiner Eltern, in dem er sich fremder fühlt als in den USA.

Daniela Vargas, 22, hat sich hinter dem Schrank versteckt, als man ihren Vater holte, einen Argentinier. Als Daniela Vargas ein paar Tage später an einer Kundgebung für Immigranten über die Verhaftung ihres Vaters sprach, wurde sie ebenfalls abgeführt. Ihr droht nun eine Ausweisung, obwohl sie unter dem Schutz des sogenannten Daca-Programms (Deferred Action for Childhood Arrivals) steht. Barack Obama hat per Dekret 2012 verfügt, dass gewisse Migranten, die als Kinder in die USA gekommen sind, eine Arbeitserlaubnis erhielten, die sie alle zwei Jahre für knapp 500 Dollar erneuern dürfen. Vargas, seit 15 Jahren in den USA, muss das Land womöglich verlassen, weil sie ihre Rechnung nicht bezahlt hat.

"Vergewaltiger" und "Mörder", so nennt Präsident Trump die Menschen in seinen Reden, die er aus dem Land werfen wolle. "Bad dudes", sagt er jeweils, es gebe so viele "bad dudes" da draußen. Doch von Menschen wie José Escobar und Guadalupe García de Rayos, Vätern und Müttern, spricht er nie. Von Menschen, die eine Rechnung nicht bezahlt oder ein Formular falsch ausgefüllt haben. Von Teenagern, die seit Jahren hier leben, und Mathematikstudentinnen wie Vargas.

Über die Zukunft von Daca sagt Trump, es sei eine seiner schwierigsten Entscheidungen. Er verspreche, "sein großes Herz" walten lassen. Mehr sagt er nicht. 750 000 Menschen, die meisten aus Mittel- und Südamerika, haben eine Daca-Bewilligung , darunter Daniela Vargas, aber auch Fatima Correas aus Hyattsville. Sie arbeiten und bezahlen Steuern, dürfen in gewissen Staaten aber nicht Auto fahren. Trotzdem bedeutet es eine Art temporäres Bleiberecht. "Wer Daca hat, ist von einer Ausweisung ausgenommen, so dachte man bis anhin", sagt Jacinta Ma vom Immigration Forum in ihrem Büro mit Sicht aufs Kapitol. "Aber nicht mal das gilt noch als sicher."

Dass sie keine Dokumente besaß, hat Correas nie gestört: "Es war kein Thema zu Hause.

Nur keine Aufmerksamkeit erzeugen, keinen Lärm verursachen, wegducken, abtauchen, das rät die American Immigration Lawyers Association. Kein Wunder, dass die Straßen in Hyattsville wie leer gefegt, die Spielplätze verwaist sind: Die Gejagten wollen nicht auffallen. Fatima Correas, die an ihre Türen klopft und wartet, bis sich etwas regt, ruft auf Spanisch durch die Briefschlitze: "Habt keine Angst. Ich will euch nur helfen."

Dann öffnen sie.

Niedrige Zimmer. Spannteppich, in dem sich das ganze Leben sammelt. Müde Gesichter.

Das sind die Menschen, die Trump "Vergewaltiger" nennt. "Sie haben Probleme und sie bringen ihre Probleme in unser Land. Sie bringen Drogen und sie bringen Kriminalität", sagte er in seiner ersten Rede, in der er seine Kandidatur bekannt gab, im Juni 2015. "Manche, so glaube ich", fuhr Trump fort, "sind auch gut."

Fatima Correas übergibt ihnen jetzt ein Flugblatt und lädt sie am Abend auf eine Veranstaltung ein. Es sei wichtig, sagt sie, "la lucha", der Kampf gegen Trump. Die meisten nicken und versprechen zu kommen. Sie kennen Trumps Worte aus dem Fernseher, der in ihren Wohnzimmern den besten Platz in der Ecke besetzt, dekoriert mit Kerzenständern wie ein Altar.

Im Treppenhaus sagt Fatima Correas über sich, sie sei eine "Durchschnitts-Latina" und habe eine Biografie wie viele der elf Millionen auch, die sich irgendwann aufmachten in dieses Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Als ihr Vater in die USA zog, war sie zwei Jahre alt, als die Mutter ging, war sie acht. Correas lebte im Haus der Großmutter in El Salvador, bis die eines Abends vor dem Fernseher über Bauchschmerzen klagte und wenige Stunden später "einfach aufhörte zu atmen". Zwei Wochen nach dem Tod packte Correas einen Koffer, sie war gerade mal 13, und bestieg ein Flugzeug nach Washington, wo ihre Eltern auf sie warteten, die sie Jahre nicht gesehen hatte.

Eltern schicken ihre Kinder aus Angst nicht mehr zur Schule

Mit ihrem Vater verstand sie sich schlecht, weil sie ihn doch kaum kannte, in der Schule hatte sie es schwer, weil sie kein Englisch sprach und nicht wusste, wie man einen Computer einschaltet. Heute surrt und vibriert ihr Handy alle zwei Minuten. Sie spricht akzentfrei, geht samstags ins Fitness und hört Beyoncé, so wie alle ihre Freundinnen. Sie sagt: "Ich habe erst durch Donald Trump gelernt, wer ich bin."

Sie habe sich früher nie überlegt, woher sie komme. Dass sie keine Dokumente besaß, habe sie sich nie gestört, "es war auch kein Thema bei uns zu Hause". Sie will sich nicht verstecken, will nicht unsichtbar sein wie ihre Eltern. "Ich will leben", sagt Correas.

Zur Informationsveranstaltung am Abend in der Grundschule von Hyattsville kommen sechs Leute. "Ein Erfolg", sagt Felipe Sandino, der mit Correas zusammenarbeitet und den Anwesenden nun erklärt, was sie zu tun haben, wenn die Polizei kommt. "Macht die Türen nur auf, falls sie einen Durchsuchungsbefehl vorweisen. Ihr habt das Recht zu schweigen", sagt er auf Spanisch zu Menschen mit ratlosen Gesichtern, die in bunten Trainingsanzügen aus Nylon im Halbkreis auf Stühlen sitzen. Sandino weiß, wovon er spricht. Er hat es selbst erlebt.

Auf den Baustellen gibt es schon lange keine weißen Arbeiter mehr

Mitte der Achtzigerjahre kam Felipe Sandino mit seinen Eltern in die USA. Damals herrschte Bürgerkrieg in Nicaragua, an dem die Vereinigten Staaten unter Ronald Reagan nicht ganz unschuldig waren, was aber nicht heißt, dass die Familie Sandino und andere Nicaraguaner Asyl erhalten hätten in den USA.

2009 hat Felipe Sandino eine Amerikanerin geheiratet und wurde Vater eines Kindes. Wenige Monate danach klopften Beamte der Migrationsbehörde an seine Tür und nahmen ihn mit. Sieben Tage verbrachte er in einem Auffanglager, einem "Congelador", wie die Immigranten sagen, die Gefriertruhe, weil es so verdammt kalt sei. "Mithilfe von Anwälten gelang es mir freizukommen." Er focht seinen Fall an und bekam recht. 2013 erhielt Sandino eine Aufenthaltsbewilligung, 2015 wurde er amerikanischer Staatsbürger. Und einen Monat später kandidierte er bereits für das Amt des Bürgermeisters in Hyattsville - und verlor nur knapp. Sandino sagt: "Wäre Trump damals Präsident gewesen und nicht Obama, ich säße heute nicht hier."

Entlang der Grenze lasse der neue Präsident Dutzende dieser Gefriertruhen bauen, in denen in Zukunft ganze Familien monatelang auf ihre Deportation warten werden. Er habe angekündigt, die Grenzpatrouillen aufzustocken, die Mauer zu bauen, "das sind nicht einfach leere Worte", sagt Sandino. "Er fängt uns ein wie Kühe und treibt uns aus dem Land."

Es ist Freitagabend in Hyattsville, Fatima Correas kommt von einem Treffen mit der Schulbehörde. Einige Eltern schickten aus Angst vor Ausweisung ihre Kinder nicht mehr zur Schule - so weit sei die Furcht schon gediehen. Sie sitzt in einem Grill-Restaurant namens El Carbonero, in dem man am Wochenende auch tanzen kann, nur ist der Saal menschenleer, die Leuchtschlangen blinken umsonst von der Decke, die Kellner sehen gelangweilt aus den Fenstern. Correas hat Felix Rodríguez mitgebracht, 43, er lebt seit zwanzig Jahren in den USA. Es war nach den Terrorattacken auf das World Trade Center in New York, als er zum ersten Mal spürte, nicht willkommen zu sein. "Da fing etwas an", sagt Rodríguez. Seit diesem Tag seien sie Fremde.

Rodríguez ist ein gut aussehender, schlanker Mann. Er trägt eine Lederjacke, seine Pilotenbrille steckt im Haar. Er arbeite für eine Gewerkschaft, deren Namen er nicht verraten dürfe, und fahre von Baustelle zu Baustelle, spreche mit den Arbeitern, höre ihnen zu, versuche zu intervenieren, falls es Probleme gebe mit der Bezahlung, den Chefs oder rassistischen Bemerkungen. In all den Jahren habe er vielleicht einen einzigen weißen Bauarbeiter gesehen, "aus der Ukraine kam der". Sonst seien es nur Latinos, die, seit Donald Trump Präsident sei, so schlecht behandelt würden wie noch nie.

Neulich habe er gehört, dass Männern, die Asbestplatten aus Regierungsgebäuden entfernen mussten, gedroht wurde, das Land verlassen zu müssen, weil sie sich über den Lohn beschwerten. Trump würde schon dafür sorgen, rief man ihnen zu. "Aber wer sorgt dann für den Asbestabbau?", fragt Rodriguez. Dann muss er gehen. Baustellenbesichtigung. Nachtarbeit auf der Autobahn, in diesem Wetter, es gebe angenehmere Tätigkeiten. "Die Arbeiter wollen eine Lohnerhöhung, neun Dollar die Stunde statt acht."

Draußen auf dem Parkplatz dreht er sich noch einmal um. Es sei nicht mehr das Land, das er einst so verehrte, als er aus Mexiko kam, um teilzunehmen am amerikanischen Traum. Er sei jetzt Teil des amerikanischen Albtraums, sagt Rodríguez, steigt in seinen Pick-up und fährt davon.

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