Hunde und Gesellschaft:Schäferhund war gestern

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Früher hatte man Rauhaardackel oder Pudel, heute liegen plötzlich Mischlinge und Möpse voll im Trend. Aufsteiger und Absteiger: Was die aktuellen Hundemoden über unsere Gesellschaft verraten.

Von Tina Klopp

Das Straßenbild hat sich massiv verändert. Sie sind fast verschwunden, die Schäferhunde, Rauhaardackel, Spaniel und Pudel, verdrängt von den neuen Modehunden, den Möpsen, Bulldoggen und Jack Russells. Und so wie der Geländewagen schon interpretiert worden ist als Spiegel einer verunsicherten Mittelschicht, so sagen auch die neuen Lieblingshunde so einiges aus über Wertewandel und soziale Bedürfnisse.

Lifestyle

"Der Mischling an Position eins - das ist ganz klar ein Resultat der gesellschaftlichen Individualisierung", sagt Ulrich Reinhardt, Professor am Hamburger Institut für Zukunftsfragen. Früher war das anders. "Da hatte man halt einen Dackel, Schäferhund oder Yorkshire Terrier, das war einfach so." Doch statt mit einem Rassehund im Mainstream zu schwimmen, ist der moderne Mensch nun stolz darauf, sich von seinem Nachbarn abzuheben.

Dazu passt, dass das Angebot an Rassen in den vergangenen Jahren insgesamt stark zugenommen hat. Seine Individualität so demonstrativ zur Schau zu tragen, ist allerdings vor allem Sache der Normalos, ergänzt Volker Albus. Er lehrt an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Nicht selten seien es heute die Punks, die umgekehrt mit gepflegten Rassehunden aufwarten.

Im Idealfall sei dem "Gesinnungshund", wie Albus das nennt, die Lebenseinstellung seines Halter direkt an Form und Fellkleid abzulesen. Wie Markenprodukte werden Hunde heute nämlich auch bewusst dazu eingesetzt, Einstellungen und Selbstbilder zu reflektieren. So wie der Mischling für Toleranz und Weltoffenheit stünde, war der klassische Jagdhund - getragen zu Barbourjacke, Pullunder und Segelschuhen - ein Hinweis auf Klassenbewusstsein und Konservativismus.

Zugleich spiegelt sich im neuen Hunderanking das wachsende Bedürfnis der Menschen nach Mobilität und Flexibilität wieder. Daher sind vor allem die kleinen Hunde noch weiter nach vorne gerückt. Promis haben die kläffenden Handtaschen vom Omi-Image befreit und salonfähig gemacht. Und wie sich Taschenhersteller auf die Maximalgrößen der Fluglinien fürs Handgepäck eingerichtet haben, sind heute die Hunde klar im Vorteil, die bei der Lufthansa auf Herrchens oder Frauchens Schoß mitreisen dürfen.

Familienleben

Zum einen sind Hunde beliebt, die sich nahtlos in die Familie integrieren lassen. Die gutmütigen Tiere wedeln selbst dann noch begeistert mit dem Schwanz, wenn sie von ihren menschlichen Geschwistern gequetscht oder in Puppenkostüme verpackt werden. Über den drittplatzierten Labrador sagt man zum Beispiel, er verhalte sich selbst im fortgeschrittenen Alter noch wie ein Welpe. Und weil die Herrchen es lieben, ihrem Hund bei jeder Witterung Stöckchen in den See zu werfen, um sich auf diese Weise der Natur näher zu fühlen, hat der Labrador sogar Schwimmhäute zwischen seinen Zehen ausgebildet und sein Fell einem Neoprenanzug anverwandelt.

Parallel dazu machen sich in Deutschland zwei Trends bemerkbar, die auch die Hundezucht nicht unberührt lassen konnten: Überalterung und Vereinzelung der Gesellschaft. Die Zahl der Kinderlosen und Single-Haushalte steigt, und in diese Lücke muss nun das Tier springen. Früher half der Hund bei Jagd und Schafszucht, heute spielt er Kind- und Partnerersatz.

Das hat sich auf seine Gesichtszüge ausgewirkt: In den Top Ten gibt es auffällig viele Hunde mit großen, hervorstehenden Augen, runden Schädeln und kleinen Stupsnasen. Das entspricht dem klassischen Kindchenschema. Die langen, haarigen Schnauzen von Dackel, Pudel oder Boxer sind out. "Mit einem Schäferhund, der draußen in der Hütte wacht, können Sie nicht schmusen", sagt Freizeitforscher Reinhardt. Der Mops hingegen bekommt gleich das entsprechende Deckchen und Mützchen verpasst und fühlt sich auch im Bett - nun ja - pudelwohl.

Albus weist darauf hin, wie sehr sich auch die Namen der Hunde geändert hätten. "Luise!" und "Georg!" statt "Bello!" und "Wotan!". Wer heute durch den Park spaziert, hört eher Kinder- als Tiernamen über die Hundewiese schallen. Ob am Arbeitsplatz, beim Behördengang oder auf dem Heiratsmarkt, die Welt da draußen steckt voller Demütigungen. Ein anhängliches Hündchen kann da wie Balsam auf die verletzte Herrchenseele wirken. Die modernen Hundecharaktere sind darauf getrimmt, den Menschen in seiner herausgehobenen Position zu bestätigen: bedingungslos liebend, anhänglich, dankbar. So wünschte man sich Partner, Kinder, Mitarbeiter.

"Wie andere Liebesobjekte müssen auch Hunde dabei zwei entgegengesetzte Funktionen erfüllen", glaubt der Wiener Philosoph Robert Pfaller. Entweder sie besäßen eine ideale Eigenschaft, die ihre Besitzer selbst gerne hätten. "Zum Beispiel Schönheit, Drolligkeit, Schnelligkeit, Gefährlichkeit oder Würde." Oder sie müssten umgekehrt verkörpern, was ihre Besitzer eigentlich loswerden wollten. "Aggressivität, Bissigsein, Doofsein, Hektik."

Bildband "Hunde unter Wasser"
:Tierisches Unterwasserballett

Ein Hund springt einem Ball hinterher ins Wasser - vom Beckenrand aus gesehen ein normaler Schnappschuss. Doch der US-Fotograf Seth Casteel taucht ab und zeigt seine Modelle aus einer überraschenden Perspektive. Ein faszinierendes Ballett aus fletschenden Zähnen, Luftblasen und aufgebauschten Ohren.

Design

Die meisten Hundebesitzer, das fand die Bonner Sozialpsychologin Silke Wechsung heraus, wählen ihren Hund immer noch nach dem Aussehen. Medienberichte, Filme und Promis beeinflussen den Geschmack und kreieren neue Moden.

Für die aktuelle Mode gilt: Schlicht ist Trumpf. Schnörkelige Locken wie beim Cocker Spaniel oder dicke Pelzbatzen, die noch Tage später durch die Wohnung wehen, beleidigen das moderne Schönheits- und Hygieneempfinden. Bauhaus, Braun und iPhone geben auch hier den Style vor. Die Linienführung geht weg vom Rechteck - besonders extrem: der Dackel - hin zum Quadrat: siehe Mops. Der kompakte Körper ruht auf kräftigen Beinchen, die zum Schlafen und Hinlegen rasch eingefaltet werden können. Das Fell ist kurz und glatt.

So wie das Handy nur noch wenig nach Telefonhörer aussieht, werde auch der Hund immer unhündischer, glaubt Designexperte Albus. Auch der Philosoph Pfaller begreift die modernen Hunde vielmehr als "interpassive Medien". Sie müssten die Laster und heimlichen Genüsse übernehmen, die sich ihre Besitzer selbst nicht mehr gönnten. "Eine Zeit, in der allen Genüssen der Zahn gezogen ist und in der wir Bier ohne Alkohol, Schlagsahne ohne Fett und Sex ohne Körper konsumieren, bringt als entsprechendes Gegenüber Hunde ohne Würde hervor - und zwar entweder, weil die Besitzer darin ein Ideal erblicken, oder weil sie genau diesen Makel auf diese Weise loswerden wollen."

Die Wahl nach äußerlichen Kriterien führt mitunter zu bösen Überraschungen, sagt die Psychologin Wechsung. Plötzlich stellt sich das coole Design doch als eigenwilliger Charakter heraus. Den Australian Shepherd etwa, den größten Aufsteiger der vergangenen Jahre, finden viele Menschen witzig, weil er so schön bunt ausschaut. Zudem hat er oft verschiedenfarbige Augen. Doch eigentlich ist er ein Hütehund und lechzt nach einer Aufgabe. "So ein Hund fristet sein Dasein nur ungern als Schoßhund und immobiles Statussymbol." Mögliche Folge: der "Problemhund". Der gehört wohl eigentlich auch in die Top Ten.

Wohnen

Zuerst ist der gezähmte Wolf, das Arbeitstier, der wachsame Aufpasser, vom Land in die randstädtischen Gärten eingewandert. Dann ist er von der Hütte vorm Haus in die Wohnräume und letztendlich in die Betten von Herrchen und Frauchen geschlüpft. Das heißt zunächst: Die neuen Hunde dürfen weniger bellen, laufen, schmutzen.

"So wie heute jeder öffentliche Platz hinsichtlich seiner Materialien und Raumaufteilung wie ein Wohnzimmer gestaltet wird, werden auch Hunde mittlerweile eher als Innenraumwesen wahrgenommen", sagt der Kunstwissenschaftler Wolfgang Ullrich. Die modernen Hunde sähen aus wie aus dem Ikea-Katalog. "Kurze Haare und in einem Beige gehalten, das gut zum Sofa passt." Der Trend zum Cocooning hält an, und der Hund muss mitmachen, "obwohl er Frauchen und Herrchen doch lange Zeit das Hauptargument dafür lieferte, wenigstens ab und zu die Bude zu verlassen und ins Freie zu gehen."

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Der Anteil der Halter, die sich vor allem aus Naturverbundenheit für einen Hund entscheiden, könnte in Zukunft weiter abnehmen, vermutet auch Heimtierexpertin Wechsung. Sie unterscheidet diesen Typus (derzeit: 43 Prozent) vom prestigeorientierten, vermenschlichenden Tierfreund (22 Prozent) und den auf den Hund fixierten, emotional gebundenen Hundebesitzer (35 Prozent).

Zukunft

Für die nächsten zehn Jahre ist an deutschen Hundeleinen mit zwei widersprüchlichen Szenarien zu rechnen. Zum einen: weitere Ausdifferenzierung und Individualisierung. Neue, ausgefallene Züchtungen werden das Angebot erweitern. Wollen sie zum Massenerfolg werden, sollten sie möglichst viele der gewünschten Kriterien in sich vereinen. Reinhardt schlägt daher einen etwa schienenbeinhohen, charakterlich wie äußerlich pflegeleichten Labrador mit wechselnder Augenfarbe vor, haptisch von einem Kopfkissen kaum zu unterscheiden, bei gleichbleibend hohem Freizeitwert.

Als große Herausforderung sieht Ullrich das Problem der Hinterlassenschaften. Dass man in der Stadt ständig mit einem Beutel Hundekot in der Hand herumlaufen müsse, sei seiner Meinung nach das größte Hindernis für eine Anschaffung. Die Zukunft: "Ein Hund, der weniger oder zumindest geruchsarm und trocken verdaut." Albus setzt auf das iMops-Design. Er fürchtet jedoch, dem Hund könne hier bald Konkurrenz durch vollelektronische Varianten erwachsen. Reinhardt weist noch darauf hin, dass sein Mini-Labrador eine maximale Lebenserwartung von sieben bis acht Jahren aufweisen sollte. Das klingt makaber. Aber so ein bis zu 15-jähriges Hundeleben passe einfach nicht mehr in die Lebensplanung des modernen Menschen.

Und das zweite Szenario? Es kommt - wie in Popmusik und Mode üblich - zu einem Revival. Plötzlich erinnert sich die ausgewachsene Generation wehmütig an die Straßenzüge ihrer Kindheit. Und die "Generation Cocker Spaniel" besinnt sich der guten, alten Rassen.

© SZ vom 26.01.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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