Männlichkeit und Homosexualität:"Ist das jetzt schon schwul?"

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Mal angenommen, einer davon wäre schwul, wäre das ein Problem? (im Bild die mutmaßlich heterosexuellen Spieler des italienischen Fußballclubs Unione Sportiva Città di Palermo beim Torjubel) (Foto: Getty Images)

Wir sind eine liberale Gesellschaft. Doch im Sport endet die Toleranz häufig. Soziologen bestätigen, dass gerade Fußballer die heterosexuelle Männlichkeit symbolisieren. Über den modernen Mann und sein widersprüchliches Verhältnis zur Homosexualität.

Von Violetta Simon

Fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung sind homosexuell. Man muss davon ausgehen, dass das für Fußballer und deren Fans genauso wie für Bundeswehrsoldaten, Kirchenvertreter und konservative Politiker zutrifft. Unter Soziologen und Biologen gilt homosexuelles Verhalten als normal, weil es kultur- und gattungsübergreifend vorkommt. Doch von einem unbeschwerten Umgang mit Homosexualität sind manche Bereiche der Gesellschaft weiter entfernt, als es unser Ideal von einer liberalen Gesellschaft erlauben dürfte. Wenn Schwule darüber sprechen, warum sie sich nicht outen oder es erst so spät getan haben, lautet die Antwort meist: Angst vor den Konsequenzen - vor Ablehnung, Ausgrenzung, Spott, dem Karriere-Aus. Dabei verstehen wir uns als tolerante Gesellschaft. Wie passt das zusammen?

Schwulsein passt nicht in unser patriarchalisch geprägtes Selbstverständnis, mit anderen Worten: Es widerspricht dem traditionellen Männlichkeitsbild. Und das bestimmt nach Ansicht vieler Wissenschaftler nach wie vor, was geht und was nicht. "In unserer Kultur sind Männlichkeit und Heterosexualität eng miteinander verknüpft, bis heute hat sich das Bild vom Ernährer und Familienvater erhalten", sagt Soziologin Sylka Scholz, Autorin und Privatdozentin an der TU Dresden. "Männlichkeit definiert sich immer in Abgrenzung zur Weiblichkeit." Sie müsse sich immer wieder bestätigen. "Daraus resultieren viele Konflikte, die wir heute haben. Und darin liegt der Kern der Homophobie."

Was unmännlich ist, ist schwul

Schwulsein ist häufig weiblich konnotiert. Viele Jugendliche werten alles, was in ihren Augen nicht männlich ist, als "schwul" ab. Das habe erst mal nicht viel mit Homosexualität zu tun, erklärt die Expertin für Geschlechterforschung, sondern diene dazu, den Status in der männlichen Hierarchie zu untermauern. "Wenn man Jugendliche zum Thema Homosexualität befragt, sind sie ganz offen. Dennoch setzen sie diese Begriffe gezielt ein - um dazuzugehören, um auszutesten, welche Werte als männlich und unmännlich gelten". Je nachdem, ob Skater oder Hip-Hopper, seien die Vorstellungen dabei durchaus different und müssten im alltäglichem Umgang miteinander ausgehandelt werden. "Dennoch erschwert dieses Verhalten ein Outing, weil es so negativ konnotiert ist", sagt Scholz. Daran zeige sich, wie weit die Gesellschaft von einem offenen Umgang entfernt sei. "Wenn das nicht so wäre, würde eine Bezeichnung wie 'schwul' ins Leere laufen."

Zum Beispiel gelte es unter Jugendlichen, die in einem traditionell orientierten Hintergrund aufwachsen, als besonders männlich, Homosexualität abzulehnen. Paradoxerweise ist es bisweilen so, dass häufig gerade junge Männer aus patriarchalisch geprägten Solzialstrukturen und solchen, in denen Werte des Machismo eine Rolle spielen, extrem auf ihr Äußeres und ihre Proportionen achten und sich geradezu geckenhaft stylen - ein Attribut, das sonst eher schwulen Männern zugeordnet wird.

"Ich bin mir sicher, dass sie diese Attribute für sich nicht als 'schwul' definieren", sagt Scholz. "Die körperlichen Normen haben sich verändert. Der Körper ist nicht mehr so bedeutsam für den Beruf, also muss der Mann sich fithalten." Nacktfotos von Männern galten früher als proletarisch, inzwischen sind sie, etwa bei Werbebildern, gängig. Dahinter stecke ein grundlegender Bedeutungswandel des Aussehens für Männer.

Prominente Männer wie David Beckham, Joachim Löw oder Brad Pitt verkörpern eine Ästhetik der Metrosexualität und haben den Bezug der Männer zu ihrem Äußeren verändert. "Zwar hat die Transformation der Geschlechter, die man sich von diesem Trend erwartet hatte, nicht stattgefunden. Doch es ging ein anderer Umgang mit dem Körper daraus hervor", erklärt Scholz. "Die Frage wäre, wie weit dieser gehen sollte", sagt Scholz. Unter Jugendlichen sei derzeit etwa das Thema Körperrasur häufig Inhalt von Diskussionen: Intimrasur und Achseln - ja. Brust - nur zum Teil. Und die Beine? An diesem Punkt, sagt Scholz, würden sich junge Männer häufig fragen: "Ist das jetzt schon schwul oder nicht?"

Der feine Unterschied zwischen schwul und schwul zeigt sich auf dem öffentlichen Parkett: Im Gegensatz zu Fußballern können manche Politiker zu ihrer Homosexualität stehen und dabei Karriere machen - allerdings unter gewissen Bedingungen. In seinem Buch über Outings von schwulen Politikern fasst der Soziologe Andreas Heilmann diese Voraussetzungen zusammen, der Titel: "Normalität auf Bewährung". Darin heißt es unter anderem: "Der offen homosexuelle Politiker bewegt sich genau so lange im zulässigen Toleranzbereich, wie er seine Männlichkeit glaubhaft von der Weiblichkeit abgrenzen kann. Außerdem muss er sich anhand einer festen Partnerschaft als sexuell kontrolliert darstellen."

Dass es akzeptiert ist, wenn ein Außenminister oder Berlins Regierender Bürgermeister offen schwul lebt und regiert, hat also einen bestimmten Grund: "Homosexuelle Partnerschaften werden toleriert, solange sie sich an Hetero-Werten orientieren", erklärt Scholz. "Sobald sie nicht diesen Normen entsprechen, wird es kritisch." Die Konsequenzen für einen Verstoß gegen diese "Bewährungsauflagen" beschreibt der Blogger Steven Milverton auf seiner Webseite: "Dem heterosexuellen Politiker wird man allenfalls seine Vielweiberei ... vorwerfen, niemals aber seine Heterosexualität an sich. Dem schwulen Politiker wird man ... nachhaltig und intensiv seine Homosexualität vorhalten."

Die letzte Bastion des heterosexuellen Mannes

Doch selbst wenn Thomas Hitzlsberger einen Mann geheiratet hätte und mit ihm eine Doppelhaushälfte bewohnen würde - als aktiver Fußballer konnte er offenbar nicht darauf vertrauen, dass man ihm diese "Normalität auf Bewährung" zusprechen würde. Weil der Fußball als eine der letzten Bastionen des heterosexuellen Mannes gilt: "Fußballer stehen noch immer als Symbol für Männlichkeit", sagt Scholz. "Trotz der Existenz von Frauenfußball schauen die meisten Männerfußball, er spielt für die nationale Identität eine zentrale Rolle. Schon immer haben Männer das Nationalgefühl stärker verkörpert als Frauen."

Bemerkenswert ist, wie sich die Repräsentanten des als homophob geltenden Fußballs nach einem Torerfolg verhalten: Da springen Spieler sich gegenseitig an, liegen manchmal in mehreren Schichten aufeinander, liebkosen und herzen sich sogar. "Das funktioniert eben genau unter der Prämisse, dass diese Spieler alle hetero sein müssen", erklärt Scholz. Sportarten wie Fußball seien die einzigen gesellschaftlichen Bereiche, in denen sich auch Männer bedingungslos und uneingeschränkt in die Arme fallen dürften - Spieler wie Fans.

Doch was, wenn der erste aktive Spieler sich outet? Werden dann solche Rituale überhaupt noch möglich sein oder schleichen die Herren erst einmal misstrauisch umeinander herum und klären, wer wen knuddeln darf und bei wem ein Handschlag reichen muss? "In diesem Fall müssen die Beteiligten neu aushandeln, wie sie damit umgehen wollen", sagt Scholz. Das Beste wäre natürlich, die sexuelle Orientierung würde keine Rolle mehr spielen und wäre losgelöst von diesen Ritualen. "Dann würde der Beschimpfung 'schwul' auch die Luft rausgenommen werden. Und der Fußball könnte wirklich eine Vorbildfunktion haben."

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