Homosexualität und Katholizismus:"Wer etwas verändern will, muss bleiben"

Schwul und katholisch - für Markus Gutfleisch ist das kein Widerspruch. Er hat Theologie studiert und ist Sozialarbeiter bei der Caritas. Die Haltung von Benedikt XVI. gegenüber Homosexuellen findet er respektlos. Von Protesten gegen den Papstbesuch hält er trotzdem nichts. Ein Gespräch über die Liebe, die Gott für alle empfindet - und die Kirche nur für manche.

Sabrina Ebitsch

Markus Gutfleisch ist katholisch - und schwul. Ein Widerspruch ist das für ihn nicht. Der 45-Jährige hat Theologie studiert, ist Sozialarbeiter bei der Caritas und besucht regelmäßig den Gottesdienst. Die Haltung von Benedikt XVI. gegenüber Homosexuellen findet er respektlos, aber von den Protesten gegen den Papstbesuch hält er trotzdem nichts.

gutfleisch

Markus Gutfleisch will stärker an die Öffentlichkeit gehen, um in der Kirche etwas zu bewegen. Er ist überzeugt davon, dass die Seelsorge zusammenbrechen würde, wenn Homosexuelle in der katholischen Kirche nicht mehr mitarbeiten würden.

sueddeutsche.de: Herr Gutfleisch, werden Sie öffentlich protestieren, wenn der Papst kommt?

Markus Gutfleisch: Nein, ich finde es in Ordnung, dass er nach Deutschland kommt, das soll er ruhig machen. Aber dann, um mit den Menschen, auch gerne mit Vertretern der Schwulen und Lesben, zu reden. Sein Besuchsprogramm ist völlig durchorganisiert; die Kirche inszeniert sich selbst. Ein echter Dialog ist nicht vorgesehen. Zum Glück gibt es genug Theologen, die anders denken. Die Kirche ist vielfältig. Aber sie muss sich der gesellschaftlichen Debatte stellen, sonst werden die Christen irgendwann ebenfalls zu einer Minderheit.

sueddeutsche.de: Der Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit hat als Gastgeber des Papstes Sympathien mit den Protesten bekundet. Wo liegen Ihre Sympathien - eher auf Seite der Katholiken oder der der Homosexuellen?

Gutfleisch: Das kann ich nicht trennen - ich bin ja beides. Aber der Katholizismus besteht nicht nur aus dem Papst und den Bischöfen. Benedikt XVI. lebt in einer anderen, fast mittelalterlichen Welt, in der er sich im Vatikan abgeschottet einrichten kann. Viele seiner Botschaften wirken in der gesellschaftlichen Realität relativ altbacken. Gegen die menschenverachtende Sexualmoral ist öffentlicher Protest angesagt.

sueddeutsche.de: Welche Rolle spielen der Glaube und die Kirche in Ihrem Leben?

Gutfleisch: Sie haben eine große Bedeutung für mich. Ich bin mit der Kirche aufgewachsen: Ich war Messdiener, war in der christlichen Jugendarbeit aktiv und habe drei Jahre Theologie studiert. Nach meinem Coming-Out habe ich das Studium abgebrochen, weil ich mir nicht vorstellen konnte, als Priester schwul zu leben. Aber ich bin nahe an der Kirche geblieben, habe an einer Katholischen Fachhochschule studiert und mich in der Pfarrgemeinde engagiert - auch mit einer Arbeitsgruppe zum Thema Homosexualität.

sueddeutsche.de: Sie gehen nicht nur regelmäßig in die Kirche, sondern besuchen auch Queer-Gottesdienste in katholischen Gotteshäusern, die sich an Schwule und Lesben richten - wie passen diese Angebote zur grundsätzlichen Haltung der Kirche?

Gutfleisch: Queer-Gottesdienste werden mit Seelsorgern gefeiert, die keine Berührungsängste mit uns haben. Sie wissen, dass das, was Herr Ratzinger gesagt hat, nicht geeignet ist, um Menschen anzusprechen und ihnen eine Heimat in der Kirche zu bieten. Es gibt einen Kreis von Priestern, die dazu bereit sind und das gerne tun. Schwieriger ist es, eine Kirche zu finden, die sich für so ein Projekt zur Verfügung stellt - da braucht es Gemeinden, die Mut dazu haben.

sueddeutsche.de: Wie ist die grundsätzliche Haltung der Kirche dazu?

Gutfleisch: Diese Angebote haben wir uns erkämpft. Sie sind von unten her entstanden und alles, was von unten her kommt, findet die Kirche suspekt. Es hat durchaus Auseinandersetzungen und Verbote gegeben.

sueddeutsche.de: Sie arbeiten als Sozialarbeiter für die Caritas und damit auch für die katholische Kirche. Sind Sie Ihrer sexuellen Orientierung wegen auf Widerstände gestoßen?

Gutfleisch: Konflikte habe ich nicht erlebt. Viele Lesben und Schwule im kirchlichen Dienst halten sich ohnehin zurück, deswegen gibt es kaum Fälle von offener Diskriminierung. Ich laufe auch nicht mit rosa Schuhen oder Regenbogenfahnen durchs Büro, einige Kollegen wissen aber, dass ich schwul bin. Auch ich habe mir jahrelang Sorgen wegen meiner Arbeit für die Ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche (HuK) gemacht - mittlerweile bin ich zu dem Entschluss gekommen, sogar stärker an die Öffentlichkeit zu gehen, weil sich etwas ändern muss. Ich werde für meine Arbeit bei der Caritas bezahlt - was ich privat oder ehrenamtlich für die HuK mache, muss eine andere Geschichte sein. In der heutigen Zeit sollte die Kirche das vielfältige Engagement von Menschen, die sich in ihrer Freizeit für andere Menschen einsetzen, unterstützen.

Schwulsein und Kirche - wie passt das zusammen?

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Vorbereitungen zum Papstbesuch in Freiburg

Ein schwules Paar protestiert gegen den Besuch von Papst Benedikt XVI. mit aufgeblasenen Kondomen und einem Paar roter Schuhe. Davon hält Markus Gutfleisch nichts.

(Foto: dapd)

Gutfleisch: Die Haltung der Kirche ist eine nicht mehr nachvollziehbare Form der Ablehnung. Es gibt Äußerungen von Kirchenvertretern, die verletzend und dreist sind - etwa wenn Homosexuelle als Sünder und unsere Lebensweise als Untergang des Abendlandes bezeichnet werden. Die Kirche begründet das damit, dass der liebe Gott Männer und Frauen erschaffen hat und Sexualität nur zwischen Mann und Frau erlaubt ist, um Nachkommen zu zeugen. Das ist respektlos gegenüber Menschen, die anders leben, und geht auch schlicht an der Realität vorbei. Wenn ich an Gott glaube und dass er mich so geschaffen hat, wie ich bin, dann kann ich meine sexuelle Orientierung nicht als sündhaftes Verhalten definieren, wie es die Kirche tut.

sueddeutsche.de: Und dennoch sind Sie überzeugter Christ.

Gutfleisch: Die Mitte des christlichen Glaubens heißt "Liebe", und wir sind uns gewiss, von Gott geliebt zu sein, mit unserer Veranlagung, mit unserer Lebensweise, mit unseren Partnerschaften. Ich glaube, dass Gottes Liebe über der Engstirnigkeit der Kirche steht.

sueddeutsche.de: Auch der Papst hat sich mehrfach scharf gegen Homosexualität geäußert und sie indirekt als Zerstörung von Gottes Werk bezeichnet - beleidigt Sie das?

Gutfleisch: Ich nehme das nicht mehr ernst - wenn ich das tun würde, hätte ich ein Problem. Natürlich kann man nicht so tun, als wäre das nie gesagt worden, man muss widersprechen. Ein besonders schlimmes Beispiel war das sogenannte Ratzinger-Papier. Josef Ratzinger hat vor 25 Jahren als Präfekt der Glaubenskongregation ein Dokument veröffentlicht, das sich mit Homosexualität auseinandersetzt und alles verurteilt, was damit zu tun hat. Er hat damit alle fortschrittlichen Ansätze, auch Angebote wie Queer-Gottesdienste, verboten. Das alles ist theologisch dünn und wenig fundiert. Zumal auch die Seelsorge zusammenbrechen würde, wenn Homosexuelle in der katholischen Kirche nicht mehr mitarbeiten würden. Nicht nur bei den Ehrenamtlichen gibt es Schwule und Lesben, auch 20 bis 30 Prozent der Priester sind nach Schätzungen homosexuell.

sueddeutsche.de: Haben Sie angesichts all dieser Widerstände je mit ihrer Sexualität und Ihrem Glauben gerungen?

Gutfleisch: Glaubens- und Lebenskrisen gibt es bei jedem Menschen. Da hatte ich Glück, eine Gruppe wie die HuK gefunden zu haben, die mir Rückendeckung gab. Von der Kirche selbst hatte ich die nicht erfahren. Vor meinem Coming-Out habe ich sogar versucht, meine Homosexualität zu beichten, doch die Priester sind inhaltlich gar nicht darauf eingegangen. Ich war nicht imstande, Fragen zu stellen, und die Seelsorger gaben auch keine Antworten.

sueddeutsche.de: Haben Sie nie über einen Kirchenaustritt nachgedacht?

Gutfleisch: Das oder ein Konfessionswechsel kommen für mich nicht in Frage - das ginge auch der Arbeit wegen gar nicht. Ich bin ein sehr sozialer Mensch: Mir ist nicht nur der Glaube, sondern auch die Gemeinschaft in der Kirche wichtig. Es gibt viele Schwule und Lesben, die austreten, weil die Verletzungen durch die Kirche zu heftig sind - davor habe ich Respekt. Aber mein Weg ist, in der Kirche zu bleiben und von innen her etwas zu verändern. Es hat auch keinen Sinn, wenn alle Unzufriedenen austreten - gerade die Leute, die etwas verändern wollen, müssen dabei bleiben.

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