Homosexualität:Schwuler Körperkult

Lesezeit: 4 Min.

Unter Schwulen stark verbreitet: Körperkult auf Dating-Apps. (Foto: Christian Sterk/Unsplash)

Viele homosexuelle Männer sehen ihren Körper deutlich kritischer als heterosexuelle. In schwulen Dating-Apps steigt der Anspruch auf Perfektion - bis hin zu Bodyshaming. Woher kommt dieser Körperkult?

Von Leonie Gubela

Bear, Hunk, Twink und Otter klingen wie lustige Charaktere einer Zeichentrickserie. Sind aber vier von insgesamt zwölf "Körperkategorien", in die sich Männer nach der Registrierung bei der Dating-App Grindr einordnen. Behaart und kräftig, durchtrainiert, zierlich und unbehaart, behaart und schmaler.

Grindr ist das Tinder-Äquivalent für homosexuelle Männer und hat nicht zuletzt wegen der zahlreichen Kategorisierungsmöglichkeiten den Ruf, noch oberflächlicher zu sein. Muskeln, Alter und Dichte der Körperbehaarung bestimmen maßgeblich den eigenen Erfolg beziehungsweise Misserfolg auf dem virtuellen Markt. Dabei sind Bear, Hunk und Co. die geläufigeren Vorlieben. Das aktuelle Ideal heißt: "Heterolike" - man(n) ist so männlich wie möglich.

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Auf Dating-Apps wie Grindr betreiben die Nutzer Körperkult. Und die daraus resultierende Diskriminierung derjenigen, die nicht "heterolike" sind und sich ebensowenig einer der Nischen zugehörig fühlen. Ein populärer Hashtag bei Grindr ist #nofatsnofems, was in etwa so viel bedeutet wie "Keine Fetten, keine Tunten".

Attitude, ein britisches Gesellschaftsmagazin für Schwule, befragte vor kurzem seine Leser nach deren Beziehung zu ihrem Körper. Ergebnis: Mehr als die Hälfte der 5 000 Teilnehmer sind unzufrieden mit ihrem Aussehen - insgesamt 84 Prozent fühlen sich außerdem stark dem Druck ausgesetzt, durchtrainiert zu sein.

Einer aktuellen Studie zweier US-amerikanischer Wissenschaftler zufolge beschränkt sich diese kritische Wahrnehmung des Körpers nicht nur auf den eigenen: Sie fanden heraus, dass Homosexuelle andere Männer bereits als übergewichtig empfinden, wenn sie für Heterosexuelle noch normalgewichtig wirken - und dass man als leicht übergewichtiger Mann in einer Schwulenbar eher beleidigt wird, als in einer Bar mit heterosexuellen Besuchern.

Die Wissenschaftler zeigen auf, dass Bodyshaming und Ausgrenzung aufgrund von Äußerlichkeiten in der schwulen Community seit Jahren steigt und momentan offenbar einen Höhepunkt erreicht hat. Woran liegt es, dass Homosexuelle offenbar kritischer mit dem Aussehen des potentiellen Partners sind als Heterosexuelle und sich auch selbst bereitwillig in Kategorien stecken lassen?

In seinem Buch "The Velvet Rage" versucht sich der Psychologe Alan Downs an einer Erklärung. Er schreibt von einer "unerreichbaren Perfektion", die viele homosexuelle Männer anstrebten, um erfahrene Ablehnung beim Erwachsenwerden zu kompensieren. Das Gefühl mangelnder Akzeptanz in Kindheit und Jugend führe zu Selbstoptimierung - dem Wunsch, besser, schöner, sexier zu werden - um Liebe und Anerkennung zu verdienen.

Homosexuelle müssen sich früher mit ihrer Sexualität auseinandersetzen

Auch im Münchner Jugendzentrum "diversity" bietet die Frage Stoff für Diskussionen. Josef, Benedikt, Benedict und Markus sitzen am Tisch des Gruppenraums, alle vier wollen ihren Nachnamen nicht öffentlich nennen. Sie studieren in München, sind homosexuell, in ihren Zwanzigern und Single. Sie alle haben Grindr auf ihren Smartphones installiert und sind mit Begrifflichkeiten und optischen Anforderungen vertraut: "Ich glaube, es hängt damit zusammen, dass man sich als schwuler Mann schon früh und sehr intensiv mit seiner eigenen Sexualität auseinandersetzen muss", sagt Benedikt, 25 Jahre alt und Informatikstudent an der Uni München. Die schwule Dating-Szene sei dadurch sehr viel tabuloser und transparenter.

"In erster Linie belustigt mich Grindr", sagt Benedict, 21, Psychologiestudent. "Trotzdem kann ich nicht leugnen, dass mich die Gewichtsangaben in den Profilen beeinflussen." Er werde dort permanent mit jungen Männern konfrontiert, die gleich groß sind und weniger wiegen. "Da entwickelt sich in mir schon eher der Gedanke, vielleicht abnehmen zu wollen."

2014 erschien im International Journal of Eating Disorders eine Studie, nach der zwei Drittel aller Männer, die eine Essstörung haben, schwul sind. Eine großangelegte Umfrage in den USA zeigte, dass homosexuelle Männer im Durchschnitt mehr Geld für Fitnessstudios ausgeben als heterosexuelle.

Benedict hatte erst vor Kurzem sein Coming Out. Vor zwei Jahren hatte er seine letzte Freundin: "Ich habe mich bis dahin bei Weitem nicht so unter Druck gesetzt gefühlt, total gut in Form zu sein", sagt er jetzt. Mittlerweile ertappt er sich regelmäßig dabei, wie er sich mit anderen Männern vergleicht.

Im Gegensatz zu Tinder können Grindr-Nutzer im Chat-Fenster Bilder verschicken. "Da bekommt man vor dem ersten Wortwechsel schon explizite Fotos", sagt er. Wenn man als Gesprächspartner dann nicht bereit ist, ebenfalls "Tatsachen zu schaffen", sei die Konversation schnell vorbei.

Andererseits hält ihn die Angst vor Zurückweisung davor ab, die App zu löschen. "Es frustriert mich extrem, wenn ich jemanden im echten Leben kennen und mögen lerne und aus der Unterhaltung heraus höre, dass er nicht auf Jungs steht." Er schaue dann lieber gleich auf sein Handy, um genau zu wissen, wer überhaupt zur Verfügung steht. "Natürlich finde ich es prickelnder und spannender, jemanden einfach anzusprechen, wenn ich ihn attraktiv finde. Bei Schwulen ist die Hemmschwelle aber insgesamt höher, da man wahrscheinlichkeitsbedingt einfach oft danebenliegt."

Der 25-jährige Benedikt sagt: "Auch wenn man das Treiben auf der App ironisch-distanziert betrachtet, möchte man eine Chance haben. Im Idealfall umworben, bewundert werden - viele Nachrichten bekommen."

Markus ist Leiter der Gruppe im "diversity" und ist mit 27 der Älteste in der Runde. Er gibt zu, sich hin und wieder zu fragen, bei welchen der zahlreichen Filtereinstellungen er wohl rausfliegen würde. Filtern können Grindr-User unter anderem nach Größe, Body-Mass-Index, Ethnie oder Alter. Wer die 30 überschreitet, gilt in der Dating-App-Welt als Rentner. "Ab diesem Zeitpunkt tickt die Paarungsuhr unüberhörbar", sagt Benedikt. Und fügt hinzu: Übers Altern mache er sich viel mehr Gedanken als über seinen Körper. "Ich bin Mitte 20 und habe schon oft gehört, dass ich jetzt alt bin", sagt er. Alle Pärchen in seinem Umkreis hätten sich noch in ihren Zwanzigern kennengelernt. "Das macht mir schon zu schaffen."

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Ihre ersten Erfahrungen auf sozialen Netzwerken für Schwule haben die fünf Jungs mit www.dbna.de gemacht. Die Abkürzung der Plattform steht für "Du bist nicht allein", sie richtet sich an Teenager. Benedict erinnert sich an die Funktion "Laufsteg": "Ich glaube, das gibt es mittlerweile nicht mehr, aber man konnte dort seine Bilder hochladen und sich bewerten lassen." Er habe die Auswirkungen damals gar nicht so genau reflektiert, aber ist sich heute sicher: "Obwohl dbna sonst nicht besonders sexualisiert ist, hat es dort mit der Body Pressure angefangen."

Teenager würden also früh mit einem vermeintlichen Ideal konfrontiert, nachdem sie streben und das der künftige Partner möglichst ebenfalls verkörpern soll. "Und im Laufe der Zeit kommt dann die Resignation, dass man sowohl den Ansprüche an sich, als auch an den Partner gar nicht richtig nachkommen kann."

Markus beobachtet gerade bei den Jüngeren einen Hang zur bewussten Ernährung: "Morgen ist hier wieder Kochabend und es ist definitiv unkomplizierter, wenn ich etwas mit meinem gemischten Freundeskreis zubereite." Ständig werde er danach gefragt, wie viel Öl jetzt darein komme und wie viel Käse darüber. "Meine schwulen Freunde haben um ein Vielfaches mehr Beautyprodukte zuhause rumstehen, um irgendwas zu kaschieren", sagt Josef, 24, Student der Kunstgeschichte. Was ja wiederum eigentlich dem besonders männlichen "Hetero-Ideal" widerspreche, sagt er dann und lacht. "Es ist kompliziert."

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