Süddeutsche Zeitung

Hörschaden durch laute Musik:Immer am Anschlag

Mit dem Stöpsel im Ohr die Umwelt vergessen: Wer seinen MP3-Player jedoch häufig auf volle Lautstärke dreht, muss damit rechnen, später schwerhörig zu werden.

Ohne Musik wäre die Welt langweilig. Mit ihr lässt sich die Umwelt einfach wegschalten. Keine lästigen Bahngeräusche mehr, und auch die laut kreischende Mädchengruppe im Abteil nebenan ist per Knopfdruck einfach stumm gestellt. Der Lautstärkepegel des MP3-Players ist dabei oft am Anschlag: Das ist vielleicht bequem, aber nicht unbedingt gesund.

Studien legen nahe: Wer heute zu laut und zu lange Musik hört, kann im Alter schneller einen Hörschaden erleiden. "Ab einer Beschallung von etwa 85 Dezibel fängt der Lärm an", sagt Hals-Nasen-Ohren-Arzt Michael Deeg aus Freiburg. "Im Arbeitsbereich hat man bereits strenge Grenzen gesetzt. Ab diesem Wert müssen die Arbeiter einen Hörschutz tragen, um sich nicht zu gefährden." Im Freizeitbereich hingegen gebe es solche verbindlichen Regeln nicht. Und die MP3-Player schaffen es weit über diese Lautstärkegrenze.

Ein weiteres Problem: An den kleinen Musikgeräten lässt sich nicht ablesen, mit wie viel Dezibel das Ohr gerade beschallt wird. "Man kann zwar den Lautstärkepegel einstellen, weiß aber nicht, was das bedeutet", sagt der Experte. Problematisch werde das vor allem, wenn Umgebungsgeräusche dazu kommen. "Der Straßenverkehr beispielsweise hat einen Lärmpegel zwischen 70 und 80 Dezibel. Um den auszuschalten, muss man die Musik lauter drehen." Nur empfindet der Hörer die Musik dann nicht als wirklich laut.

Dass Lärm schon im Kindesalter Folgen haben kann, beweist eine Untersuchung des Umweltbundesamtes (UBA) in Berlin. Von rund 1000 untersuchten Kindern im Alter von acht bis 14 Jahren wies etwa jedes achte eine auffällige Minderung der Hörfähigkeit auf. Das sei zwar nicht nur auf die Wirkung von MP3-Playern zurückzuführen - die Studie beschäftigte sich auch mit anderen Lärmquellen. Dennoch gaben über elf Prozent der Kinder an, den Lautstärkepegel ihres Musikplayers immer am oberen Anschlag zu haben.

Das hält Wolfgang Babisch vom UBA für gefährlich. "Zwar gibt es jetzt noch keinen direkten Zusammenhang zwischen der Lärmbelastung und der Hörfähigkeit der Kinder", sagt der Lärmexperte. Das sei aber mit deren jungen Alter zu begründen. "Viele Hörschäden prägen sich erst dann aus, wenn man über Jahre hinweg dem Lärm ausgesetzt ist." Wer sich also in der Jugend zu häufig und zu lange mit dröhnender Musik beschallt, droht im Alter schneller schwerhörig zu werden.

Aktuelle Musikstücke sind lauter als alte

Dennoch bedeutet eine Überschreitung der zulässigen Belastung nicht einen sicheren Hörschaden. Das Risiko sei jedoch gegeben, sagt Beat Hohmann von der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt SUVA in Luzern - vor allem, weil aktuelle Musikstücke einfach lauter seien als alte. So erreicht die Musik von 1985 einen Dauerschallpegel von etwa 90 Dezibel, aktuelle Musiktitel belasten das Ohr mit etwa 100 Dezibel oder mehr. Das entspreche der Lautstärke einer Diskothek bis hin zur Motorkettensäge. "Gerade was die Information über dieses Risiko angeht, versagen die MP3-Player", sagt Hohmann.

Zwar sollten die Hersteller seiner Meinung nach den Lautstärkepegel nicht von vornherein begrenzen. Hohmann fordert aber eine optische oder akustische Warnung an den Geräten, die bei Überschreiten der Tagesdosis an lauter Musik ausgelöst wird. Einer Maximallautstärke von 100 Dezibel sollten sich Jugendliche höchstens eine Stunde pro Woche aussetzen, rät die SUVA.

Solange die Abspielgeräte diese Informationen nicht bieten, sollte der Hörer unbedingt selbst auf die Zeichen seiner Ohren achten. "Das Ohr darf nicht taub werden, und auch Ohrgeräusche wie Fiepen oder Rauschen sind ein schlechtes Signal", sagt Ohrenarzt Deeg. Ist das Fiepen wieder abgeklungen, könne das zwar eine Erholung des Ohres bedeuten. Stellt es sich jedoch öfter ein, kann es sich auch um einen bleibenden Schaden handeln.

Dem Ohr Ruhe gönnen

Wer später nicht an Schwerhörigkeit oder gar chronischen Ohrgeräuschen wie Tinnitus leiden will, kann bei beim HNO-Arzt einen Hörtest machen lassen. Damit es gar nicht erst zu Schäden kommt, gilt: "Schallpegel nie auf höchste Lautstärke drehen und dem Ohr ab und zu Ruhe gönnen", so Deeg. Nach einer Stunde sei es in jedem Fall gut, eine Musikpause einzulegen.

Bei lauten Umgebungsgeräuschen wie dem Straßenverkehr ist besondere Vorsicht geboten. Um nicht in Gefahr zu geraten, die Musik bis zum Anschlag zu drehen, können große Kopfhörer Abhilfe schaffen.

Dadurch werden die Ohren beschallt und nicht die Umwelt. "Beim Freizeitlärm haben wir die volle Kontrolle und können etwas dagegen tun", sagt Wolfgang Babisch. Auch Konzerte sollten nur mit einem geeigneten Hörschutz besucht werden.

Auch EU-Kommission warnt vor MP3-Risiken

Die EU-Kommission hat kürzlich Normen gefordert, die kleine technische Veränderungen an MP3-Geräten vorsehen, so dass der standardmäßige Gebrauch sicher ist. Die Verbraucher können zwar die Musik lauter machen, als die Standarteinstellung vorsieht, werden dann aber klar vor Hörschäden gewarnt. Obergrenzen für die Lautstärke sollen nicht vorgeschrieben werden. Nach derzeit gültigen EU-Normen muss lediglich in der Bedienungsanleitung ein Warnhinweis enthalten sein, dass zu laute Musik schädlich sein kann.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.44318
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
dpa/sueddeutsche.de/pfau
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.