Höhenangst:Angst zum Abgewöhnen

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Ist sie unbegründet oder biologischer Schutzinstinkt? Der Psychologe Fabian Andor über die Furcht vor dem Abgrund und Möglichkeiten, sie zu überwinden.

Dominik Prantl

SZ: Wann sprechen Sie als Psychologe von Höhenangst?

Sind wir nicht für die Höhe gemacht? Angst ist also ein normales und wichtiges Gefühl. Problematisch wird es, wenn es völlig unbegründet auftritt. (Foto: Foto: iStockphotos)

Fabian Andor: Für uns müssen zwei Kriterien erfüllt sein. Es muss erstens eine Situation vorliegen, die objektiv eigentlich nicht gefährlich ist, wie beispielsweise die Wanderung auf einem gesicherten Bergweg. Wenn es einen Freeclimber, der ohne Sicherung klettert, tatsächlich einmal schwindeln sollte, würde ich das nicht als Höhenangst bewerten. Zweitens muss die betreffende Person die Einschränkungen wahrnehmen, und es muss sie belasten, dass ihr die Höhe wie beim Wandern, Klettern oder während des Berufs etwas ausmacht.

SZ: Sind wir ursprünglich vielleicht gar nicht für die Berge geschaffen? Oder woher kommt diese Angst?

Andor: Tatsächlich basiert sie auf einem biologischen Angstprogramm, weil es früher in der Evolution einmal sinnvoll war, vor bestimmten Tieren oder Gefahrensituationen wie eben der Höhe Angst zu haben und diese Situation zu meiden. Angst ist also ein normales und wichtiges Gefühl. Problematisch wird es, wenn es völlig unbegründet auftritt.

SZ: Warum ist die Höhenangst bei manchen Menschen stärker als bei anderen ausgeprägt?

Andor: Das liegt an dem persönlichen Erfahrungsschatz, aber auch der biologischen Grundausstattung. Manche Menschen sind leichter erregbar. Frauen leiden beispielsweise doppelt so häufig an Angsterkrankungen wie Männer.

SZ: Manche fürchten sich auch erst im Alter vor dem Abgrund.

Andor: Generell manifestieren sich die meisten Angststörungen in der dritten Lebensdekade und chronifizieren anschließend, wenn sie nicht behandelt werden. Aber auch im späteren Lebensalter können sie noch auftreten. Ängste aus dem Kindesalter verschwinden andererseits manchmal auch einfach wieder.

SZ: Worin liegt der Unterschied zum Höhenschwindel?

Andor: Der Höhenschwindel ist meistens das erste Angstsymptom, ausgelöst durch das Problem, ein Objekt mit den Augen zu fixieren. Denn um das Gleichgewicht zu halten, benötige ich unter anderem einen visuellen Anker. In der Höhe tut sich das Auge jedoch schwerer, weil die Referenzpunkte fehlen, was zu Gleichgewichtsstörungen führt. Der Schwindel tritt bei den meisten Personen auf, jedoch unterschiedlich stark ausgeprägt, je nachdem, wie irritierbar das Gleichgewichtssystem ist. Manche Personen bewerten den Schwindel problematisch. Die Folge ist dann ein Gefühl der Angst und eine körperliche Angstreaktion.

SZ: Was folgt auf den Schwindel?

Fabian Andor ist Institutsleiter der Christoph-Dornier-Siftung für Klinische Psychologie in Münster (Foto: Foto: privat)

Andor: Es folgen weitere Symptome, unmittelbar und schnell, Herzrasen, Schwitzen, Kälteschauer, Zittern, Übelkeit, was wiederum zu Leistungsverlust und noch mehr Angst - einer Angstspirale - führt. Diese übertriebenen Angstreaktionen sind erlernt.

SZ: Was lässt sich dagegen tun?

Andor: Angstreaktionen können auch wieder verlernt werden, indem sich die Leute der Situation bewusst aussetzen. Beim Wandern zum Beispiel: stehenbleiben, runtergucken. Das lässt die Angstreaktion einfach abflauen. Ich muss genau das machen, wonach mir eigentlich nicht ist. Das wirkt mit Sicherheit.

SZ: Moment, es heißt doch immer: "Nicht nach unten schauen!"

Andor: Genau das ist das Problem. Bei einem Fünf-Meter-Pfad mag das wirksam sein, bei längeren Wegen ist das nicht mehr möglich. Wir sagen den Leuten deshalb: "Egal, wie ihr euch fühlt, geht einmal vor an einen gesicherten Abgrund und bleibt stehen." Wichtig ist, sich der Sache langsam auszusetzen. In der Wissenschaft nennt sich das Habituation: Nach ein paar Minuten vergeht die körperliche Reaktion.

SZ: Wandern und Klettern können folglich als Therapie dienen?

Andor: Richtig. Es beinhaltet zentrale Wirkmechanismen einer Therapie. Nämlich, sich der Angst bewusst zu stellen. Wenn man allerdings merkt, man schafft es alleine nicht, dann sollte man sich Hilfe holen. Dann ist eine Verhaltenstherapie beim Psychologen das Wirksamste.

SZ: In einem Internetforum wird von einem Diskussionsteilnehmer als Therapie die Möglichkeit vorgeschlagen: "Ein Bier hat mir dann auch geholfen."

Andor: Ja, klar! Alkohol ist ein angstlösendes Mittel. Aber ich weiß nicht, ob es so ratsam ist, sich beim Klettern vor jeder Route ein Bier zu genehmigen.

© SZ vom 07.05.2009/mmk - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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