Süddeutsche Zeitung

Hitze in Italien:Die Krawatten-Krise

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Die Hitze macht Italiens Politikern schwer zu schaffen. Jetzt ist auch noch ein heftiger Streit unter den Schlipsträgern ausgebrochen.

Stefan Ulrich

Sage keiner, die Krawatte sei nur ein lästiges Accessoire. Denn zum einen schützt sie ihren Träger vor Halsentzündungen, zum anderen verrät sie einiges über seine Persönlichkeit. Das wussten schon die Soldaten Napoleons, die an der Farbe seiner Schlipse die Tageslaune des Imperators erkannten. Der Romancier Honoré de Balzac konstatierte: "Ein Mann ist so viel wert wie seine Krawatte. Durch sie enthüllt sich sein Wesen, in ihr manifestiert sich sein Geist."

Trotz alledem wird dem Stoffstreifen derzeit am Zeug geflickt; und das in Italien, dem Land der edelsten Krawatten. Schuld daran ist das überhitzte Klima - im meteorologischen wie politischen Sinne. Kein Tag vergeht, an dem nicht Prominente zur Krawatte Stellung nehmen. Sogar der Senat zu Rom diskutiert darüber, die Schlipspflicht zu lockern. Ein grüner Politiker beantragte einen "No cravatta day" im Parlament. Kulturverfechter befürchten da den Untergang des Abendlandes. "Vergessen wir nicht, dass Krawatte und Sakko die Grenze zwischen Europa und Afrika markieren", mahnte der Modeschöpfer Gianni Battistoni.

Ausgelöst hat den Krawattenkrach ausgerechnet Silvio Berlusconi. Dabei hatte der pfauenhafte Oppositionsführer blaue Binder mit feinen Punkten des Krawattenmachers Maurizio Marinella zu seiner persönlichen Flagge gemacht. Besuchten ihn andere Politiker binderlos in seiner Residenz in Rom, pflegte er ihnen eine Schachtel von Marinella zu schenken. Francesco Storace, ein Ex-Minister, meinte begeistert: "Nächstes Mal komme ich nackt."

In diesem Frühjahr aber trat der Cavaliere selbst mit nacktem Halse auf. Immer wieder wurde Berlusconi krawattenlos gesichtet, sogar bei offiziellen Anlässen. Freund und Feind waren verdattert, eine italienische Zeitung schrieb von einer "echten Revolution". Berlusconi aber erklärte maliziös, unter der Links-Regierung seines Rivalen Romano Prodi sei die Atmosphäre im Land unerträglich geworden. Da müsse er sich Luft verschaffen.

Den nächsten Streich gegen den Schlips führte in diesem Juli der Energiekonzern Eni. Dessen Chef Paolo Scaroni befand, die Klimaanlagen in den Büros könnten schwächer eingestellt werden, wenn die Angestellten ohne Krawatte arbeiteten. So ließe sich Energie sparen und etwas für die Umwelt tun. Bei einer Abstimmung votierten 90 Prozent seiner Mitarbeiter für eine Lockerung der Kleidersitten. Nun ermuntert das Unternehmen mit dem Slogan "Eni zieht die Krawatte aus" alle Italiener zum Energiesparen. Die Gesundheitsministerin und der Umweltminister reagierten begeistert und forderten sämtliche öffentlichen und privaten Unternehmen auf, dem Beispiel von Eni zu folgen. Doch die Regierung Prodi wäre nicht die Regierung Prodi, wenn es nicht auch in dieser Frage Streit gäbe. So machte sich Justizminister Clemente Mastella für den Schlips stark. Er kritisierte Berlusconi und forderte seine Linkskoalition auf, mit gutem Beispiel zu kontern. "Mehr Krawatten für alle", das müsse zum Motto der Linken werden.

Auch andere Prominente fühlen sich auf den Schlips getreten. So findet der Politiker und Kunstkritiker Vittorio Sgarbi, die Krawatte werde zwar vorne getragen, sei aber ein Rückgrat des Mannes - und der ganzen Gesellschaft. Der Stilist Battistoni will nicht einmal das Energiespar-Argument der Umweltpolitiker anerkennen. Er lästert: "Wenn wir alle in Badehosen herumlaufen würden, könnten wir noch viel mehr Energie sparen."

Doch was halten die "normalen" Italiener von der Debatte? Ein Herr im korrekten Anzug, der sich gerade in der hitzeflirrenden römischen Innenstadt auf seine Vespa schwingt, seufzt: "Statt die Krawatten abzulegen, sollten unsere Politiker die Ärmel hochkrempeln."

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Quelle:
SZ vom 31.7.2007
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