Historie:Als die Welt zum Wurstelprater kam

Historie: Der größte Kuppelbau seiner Zeit: Darstellung der Rotunde im Wiener Prater 1873.

Der größte Kuppelbau seiner Zeit: Darstellung der Rotunde im Wiener Prater 1873.

(Foto: Willfried Gredler-Oxenbauer/picture alliance)

Mit der Weltausstellung vor 150 Jahren wollte das Wien der Habsburger mit London und Paris gleichziehen. Ganz geklappt hat das nicht, aber trotz Regen, Schulden und Schmäh geriet die Schau zu einer spektakulären Inszenierung des industriellen Aufbruchs.

Von Cord Aschenbrenner

Das Geld war da, freilich als "ein unter keinerlei Vorwande zu überschreitender Credit im Maximalbetrage von 6 Millionen Gulden", bewilligt von Seiner Majestät. Mehr sollte die Weltausstellung nicht kosten dürfen, die Wien für das Jahr 1873 plante. Schon wenige Jahre nach der ersten Weltausstellung in London 1851 waren Unternehmer in Niederösterreich und in Wien sich einig, dass auch hier, in der Hauptstadt des Habsburger Reiches, möglichst bald eine solche neuartige Schau stattfinden solle, ja müsse. Eine Leistungsschau der Industrie und des Kunsthandwerks, wie sie Prinz Albert, der Ehemann Queen Victorias, im Sinn gehabt hatte, der das Projekt in London maßgeblich vorangetrieben hatte.

Nicht zuletzt dachte man auch schon an die Erschließung neuer Märkte, das Etablieren neuer Handelsbeziehungen. Nach der österreichischen Niederlage gegen Preußen 1866 war jedoch erst einmal alles wieder nichtig. Überflüssigerweise, jedenfalls nach vorherrschender Meinung in Wien, fand zudem 1867 eine weitere Weltausstellung in Paris statt. Kurz hielt man in Wien den Atem an und besann sich.

Aber schon 1868 veröffentlichte der einflussreiche Industrielle Franz von Wertheim, Besitzer einer Tresorfabrik, einen Aufruf, auch in Wien eine Weltausstellung zu veranstalten. Im Jahr darauf setzte man eine Kommission ein. Um die Sache zu beschleunigen, wies Wertheim im Frühjahr 1870 darauf hin, dass man in England bereits für eine neue Ausstellung plane. Nun endlich stellte der österreichische Handelsminister den Antrag an Kaiser Franz Joseph I., in Wien eine Weltausstellung abzuhalten.

"Sich bei dieser dubiosen Unternehmung so passiv als tunlich zu verhalten ..."

Bereits drei Tage später, am 24. Mai 1870, unterschrieb der Kaiser einen entsprechenden Erlass. Der Bruder des Kaisers, Erzherzog Karl Ludwig, wurde zum "Protektor", sein Cousin, Erzherzog Rainer, zum Präsidenten der künftigen Weltausstellung berufen - beides Männer mit vielfachen diplomatischen Beziehungen. Einer halboffiziellen Kommission mit immerhin 215 Mitgliedern vertraute man die Ausführung an. Dem Magistrat der Stadt Wien sollte es obliegen, für die ausländischen Gäste zu sorgen. Bürgermeister Cajetan von Felder allerdings, der die kommende Ausstellung zwar begrüßte, wollte doch die Kosten für die Stadt gering halten und wies seinen Gemeinderat an, "sich bei dieser dubiosen Unternehmung so passiv als tunlich zu verhalten".

Der entscheidende Mann trat sein Amt im Januar 1871 an: Generaldirektor Wilhelm von Schwarz-Senborn, Diplomat mit exzellenten Kontakten und Ausstellungsfachmann. Schwarz-Senborn gelang es von Anfang an, Zuversicht in seine Fähigkeiten und das Gelingen der Ausstellung zu verbreiten.

Historie: Kaiser Franz Joseph I. bei der Eröffnung der Weltausstellung 1873: Insgesamt besuchte er die Schau gleich 48 Mal.

Kaiser Franz Joseph I. bei der Eröffnung der Weltausstellung 1873: Insgesamt besuchte er die Schau gleich 48 Mal.

(Foto: picture-alliance/brandstaetter)

Bereits im Oktober 1872 war von den bewilligten sechs Millionen Gulden nichts mehr übrig, aufgebraucht für die Arbeiten auf dem Ausstellungsgelände, dem Prater. Das ehemalige Jagdrevier der Habsburger hatte Kaiser Joseph II. den Wienern 1766 zur Ergötzung und Erbauung geschenkt. Dieses gewaltige Areal im 2. Wiener Bezirk, im Südosten durch Auenniederungen, im Nordosten durch die Donau begrenzt, bot genügend Platz für das Ausstellungsgelände, das deutlich größer war als das Pariser Marsfeld, Schauplatz der vorherigen Weltausstellung. Den bisher dort ansässigen "Wurstelprater", einen bei den Wienern höchst beliebten Freizeit- und Vergnügungsort, umzugestalten, kostete Geld. Die Regierung bewilligte einen weiteren Kredit von fast zehn Millionen Gulden, Schwarz-Senborn, der als chaotisch galt, wurde ein Aufsichtsrat an die Seite gestellt.

Wasserklosetts als Sensation des Fortschritts

Die Bauarbeiten gingen währenddessen voran, renommierte Fachleute wie der Ringstraßenarchitekt Carl von Hasenauer entwarfen die Anlage der Ausstellung und sorgten für die notwendige Logistik. Bald führte vom Wiener Nordbahnhof eine "Weltausstellungsbahn" direkt zum Prater. Überhaupt, die Eisenbahn: Um die erwarteten Besuchermassen in Wien empfangen zu können, wurden sechs neue Bahnhöfe sowie die dazugehörigen Bahntrassen angelegt und Straßen, Brücken, das gesamte Verkehrswesen modernisiert.

Auf dem Weltausstellungsgelände selbst, das man durch Grünanlagen, Wasserspiele und Baumgruppen unterteilte, entstanden an die 200 Hallen und Pavillons für die 35 teilnehmenden Nationen - gebaut in historistischer Manier oder auch landestypisch, also etwa Schweizer- oder Tirolerhäuser. Tausende Gasflammen sollten das Areal in der Dämmerung erleuchten. Ein englisches Unternehmen installierte seine patentierten water closets, die für die meisten Wiener Anlass zu größtem Staunen gewesen sein dürften.

Die Umgestaltung und Zivilisierung des vorher eher urwüchsigen Praters mit seinen Buden, Schänken und Kasperltheatern zum "Volksprater" gefiel jedoch nicht jedem. Ein Kritiker schrieb nicht nur missmutig von der "Zierlichkeit und bunten Tünche dieser 'Schweizerhäuser'", seine Unzufriedenheit reichte weiter: "Vornehmlich musste der 'Wurstelprater' sich dem Fortschritte anbequemen.(...) Dem Wesen nach hat man die entschieden originellen Praterwirthschaften nur in gewöhnliche Vorstadtkneipen umgeschaffen." Kinder dürften den Rasen nicht mehr betreten, und "seitdem der Wurstelprater um seine Volksthümlichkeit gekommen ist, heißt er Volksprater".

"Grau düsterndes Gewölk am Himmel"

Dennoch, die Erwartungen nicht nur der Wiener Bevölkerung, sondern auch die der anreisenden auswärtigen Gäste - für die repräsentative Hotels gebaut wurden - waren gewaltig. Die eigens gegründete Wiener Weltausstellungs-Zeitung hatte schon am 8. Januar 1873 geschrieben: "Die Wiener Weltausstellung macht vom 1. Mai ab Oesterreich, speciell Wien, zum Mittelpunkt der gesammten civilisierten Welt."

Am 1. Mai regnete es in Strömen, das Ausstellungsgelände verwandelte sich in einen Morast. "Wien erwachte heute zu einem kühlen, unfreundlichen Tage. Grau düsterndes Gewölk am Himmel, feiner, feuchter Nebel in der Luft, Koth auf der Erde. Und doch athmet Alles eine eigenthümlich feiertägige Stimmung, die heute gleich einem unsichtbaren, aber mit allen Sinnen fühlbaren Dufte über der ganzen Riesenstadt schwebt." So schilderte es der Arzt und Schriftsteller Max Nordau, später neben Theodor Herzl einer der Mitbegründer des politischen Zionismus, im Pester Lloyd, einer deutschsprachigen ungarischen Tageszeitung.

Hämmern und Nageln bis zum letzten Moment

Das von Carl Hasenauer entworfene zentrale Ausstellungsgebäude, die Rotunde, eine monumentale Eisenkonstruktion von 108 Metern Durchmesser und damit der größte Kuppelbau der Welt, war noch nicht ganz fertig. "Das mag heute eine schwüle, fieberische Nacht im Ausstellungsraume gewesen sein", schrieb Nordau. "Da wurde noch gehämmert und genagelt und gegraben und gekarrt bis in den Vormittag hinein." Den Kaiser hinderte dies nicht, dort um zwölf Uhr mittags inmitten einer Phalanx von Staatsgästen und habsburgischen Würdenträgern die Ausstellung zu eröffnen: "Mit lebhafter Befriedigung sehe ich die Vollendung eines Unternehmens, dessen Wichtigkeit und Bedeutung ich im vollsten Maße würdige."

Franz Joseph I. tat dies für alle sichtbar auch dadurch, dass er die Schau mit ihren rund 53 000 Ausstellern gleich 48 Mal besuchte. Zwar konnte auch der Kaiser das Ausbleiben der erhofften 20 Millionen Gäste nicht ausgleichen; immerhin aber kamen bis zum 2. November knapp 7,3 Millionen Besucherinnen und Besucher, um zu sehen, was die "gesammte civilisierte Welt" an technischen und wirtschaftlichen Neuerungen in Industrie und Landwirtschaft, im Bergbau, im Maschinenbau und im Erziehungswesen, in Kunst, Kunstgewerbe und Architektur zu bieten hatte.

Historie: "Mittelpunkt der gesammten civilierten Welt": Haupteingang der Wiener Weltausstellung.

"Mittelpunkt der gesammten civilierten Welt": Haupteingang der Wiener Weltausstellung.

(Foto: De Agostini Editorial/Biblioteca Ambrosiana/Getty Images)

Ein Novum und ein ungewöhnlicher Fortschritt war der Frauenpavillon in der "Additionellen Ausstellung". Er war der weiblichen Arbeitswelt gewidmet und damit etwas, das die bürgerlichen Besucherinnen aus eigener Erfahrung kaum kannten. Für ihren Lebensunterhalt arbeiten mussten Frauen aus den unteren Schichten, bürgerlichen Frauen war dies meist gesellschaftlich verwehrt. Die Idee und das Konzept des Pavillons hatten Frauenkomitees erarbeitet und durchgesetzt.

Für die Zeitgenossen stand die Wiener Weltausstellung unter keinem guten Stern. Erst der verregnete Beginn; dann, wenige Tage nach der Eröffnung, der Börsenkrach am 9. Mai 1873 mit einem massiven Kurssturz und Panikverkäufen an der Wiener Börse, der dem wirtschaftlichen Aufschwung der Monarchie ein jähes Ende setzte; schließlich eine Cholera-Epidemie im Hochsommer, die allein in Wien an die 3000 Opfer forderte - in Hochstimmung verabschiedeten die Menschen sich nicht von dem Ereignis, das ihre Stadt mit London und Paris hätte gleichziehen lassen sollen. Allgemein war von einem Fehlschlag die Rede. Hinzu kam ein Defizit von fast 15 Millionen Gulden. Die Wiener konnten schließlich nicht ahnen, dass man das Jahr 1873 einst als den Anstoß für die Entwicklung der modernen Stadt Wien betrachten würde. Die Rotunde freilich überlebte nicht lange: 1937 fiel sie einem Großbrand zum Opfer.

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