Frühe Naturforscher:Welt der Wunder

Eine Frau, die vor 400 Jahren das Leben der Spinnen erkundete. Ein Mann, der 40 Grad Kälte trotzte, nur um Pinguine zu finden. Das Natural History Museum London widmet frühen Naturforschern ein wunderbares Buch.

Von Joachim Käppner

Später vermochte Edward Adrian Wilson selber kaum zu fassen, auf was er sich da eingelassen hatte. Sein Assistent Apsley Cherry-Garrard beschrieb die Erlebnisse in "Die schlimmste Reise der Welt" noch im Nachhinein voller Schauder: "Um das Grauen des neunzehntägigen Weges von Cape Evans nach Cape Crozier zu verstehen, muss man es erlebt haben. Und wer diesen Weg noch einmal geht, muss verrückt sein. Es ist unbeschreiblich."

19 Tage Marsch durch die Eiswüsten der Antarktis, 40 Grad minus, drei Männer zogen einen Schlitten mit Proviant und Ausrüstung. Tobende Schneestürme zwangen sie zum Halten, sie bauten zum Schutz einen Iglu, der scharfe Wind riss das Zeltdach fort, wundersamerweise fanden sie es wieder, sonst wären sie vielleicht niemals heimgekehrt, um der Welt von den Kaiserpinguinen zu erzählen.

Das Ziel der Reise im Jahre 1911 war nämlich nicht, hier am Ende der Welt Gebiete für die Regierung daheim zu beanspruchen oder Ankerplätze auszumachen oder Bodenschätze zu finden. Das Ziel waren Pinguine.

Die Welt, die damals vor ihnen lag, musste noch entdeckt werden

Der kränkliche Brite Wilson war Zeitgenosse und auch Wegbegleiter berühmter Antarktisforscher wie Kapitän Robert Falcon Scott, 1901 fuhr er auf der Discovery mit ins südliche Eismeer und trug Unmengen neues zoologisches Wissen zusammen, vor allem über die Pinguine, die ihn faszinierten.

Zahlreiche Präparate und Zeichnungen brachte er heim und übergab sie dem Natural History Museum in London. Es war eine wissenschaftliche Sensation, die Wilson auch mithilfe von Schnapsflaschen geschafft hatte: Wenn die Mannschaften ihm Funde brachten, zahlte er mit Hochprozentigem.

Das Natural History Museum ist immer noch eine der großen Attraktionen in London und hat zuletzt ein ganz wunderbares, verschollene Welten öffnendes Buch mit Bildern und Berichten von 23 Forschungsreisenden aus vier Jahrhunderten herausgebracht ("Naturerkundungen mit Skizzenheft und Staffelei", deutsche Ausgabe: Haupt Verlag, Bern, 240 Seiten mit vielen Abbildungen).

2019 stand im Zeichen des 250. Geburtstags Alexander von Humboldts, des wohl bedeutendsten unter ihnen; auch er ist im Buch vertreten. Aber wie viele da sind, deren Namen man in seinem Schatten vergaß: Maria Sibylla Merian etwa, die von 1679 an, für eine Frau damals höchst ungewöhnlich, Insekten und Spinnen untersuchte, das ferne Surinam an der Nordostküste Südamerikas erforschte und eine große Leserschaft fand (vielleicht war es hilfreich, dass ihr Mann als "geistig und moralisch weit unter dem Niveau seiner Frau" beschrieben wurde und daheim blieb).

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(Foto: © The Trustees of the Natural History Museum, London)

Oder der gebürtige Franzose John James Audubon, der später in die USA ging und die Tierwelt Nordamerikas malte, die Bisons und rosa Flamingos und Papageitaucher, und über den der britische Naturforscher William Swainson schrieb: "Er zeichnet sich durch eine Perfektion aus, die in es in der zeitgenössischen Malerei zuvor nicht gegeben hat." Das Werk "Birds of America", begonnen 1827, ist bis heute ein Klassiker.

Oder Thomas Watling, der Ende des 18. Jahrhunderts systematisch Australiens Tierwelt malte, darunter den wirklich hübschen Gelbohr-Rabenkakadu. Das ist das Besondere an all diesen Frauen und Männern: Die meisten von ihnen lebten lange vor Erfindung der Fotografie oder zumindest der Farbfotos; wer wissenschaftlich überzeugen wollte, musste zugleich auch ein begnadeter Künstler sein.

Die Welt, die damals vor ihnen lag, musste noch entdeckt werden. Aber vieles, was sie vorfanden, die Tiere und Pflanzen, sind später ausgestorben. Das Werk der Menschen, die den Entdeckern folgten und nicht deren liebendes Auge für die Grandiosität der Schöpfung besaßen.

Daher ist dieses Buch, in einer Zeit schmelzender Pole und brennender Regenwälder, auch etwas wie eine Mahnung. Ob Wilson sich das hätte vorstellen können, als er 1912 bei seiner nächsten Antarktisexpedition mit seinen Begleitern an Kälte starb, nur 39 Jahre alt?

Dieser Text erschien erstmals in der Print-SZ vom 18.01.2020.

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